ERSTER AKT
Eine Aue am Ufer der Schelde bei Antwerpen.
Der Fluss macht dem Hintergrund zu eine Biegung, so dass rechts durch einige Bäume der Blick auf ihn unterbrochen wird und man erst in weiterer Entfernung ihn wieder sehen kann.
ERSTE SZENE
Im Vordergrund sitzt König Heinrich unter einer mächtigen alten Eiche (Gerichtseiche), ihm zunächst stehen sächsische und thüringische Grafen, Edle und Reisige, welche des Königs Heerbann bilden.
Gegenüber stehen die brabantischen Grafen und Edlen, Reisige und Volk, an ihrer Spitze Friedrich von Telramund, zu dessen Seite Ortrud.
Die Mitte bildet ein offener Kreis. Der Heerrufer des Königs und vier Hornbläser schreiten in die Mitte.
Die Bläser blasen den Königsruf.
DER HEERRUFER
Hört! Grafen, Edle, Freie von Brabant!
Heinrich, der Deutschen König, kam zur Statt,
mit euch zu dingen nach des Reiches Recht.
Gebt ihr nun Fried' und Folge dem Gebot?
DIE BRABANTER
Wir geben Fried' und Folge dem Gebot.
Willkommen, willkommen, König, in Brabant!
KÖNIG HEINRICH
erhebt sich
Gott grüss' euch, liebe Männer von Brabant!
Nicht müssig tat zu euch ich diese Fahrt!
Der Not des Reiches seid von mir gemahnt!
Soll ich euch erst der Drangsal Kunde sagen,
die deutsches Land so oft aus Osten traf?
In fernster Mark hiesst Weib und Kind ihr beten:
»Herr Gott, bewahr uns vor der Ungarn Wut!«
Doch mir, des Reiches Haupt, musst' es geziemen,
solch wilder Schmach ein Ende zu ersinnen;
als Kampfes Preis gewann ich Frieden auf
neun Jahr - ihn nützt' ich zu des Reiches Wehr;
beschirmte Städt' und Burgen liess ich baun,
den Heerbann übte ich zum Widerstand.
Zu End' ist nun die Frist, der Zins versagt -
mit wildem Drohen rüstet sich der Feind.
Nun ist es Zeit, des Reiches Ehr' zu wahren;
ob Ost, ob West, das gelte allen gleich!
Was deutsches Land heisst, stelle Kampfesscharen,
dann schmäht wohl niemand mehr das Deutsche Reich!
DIE SACHSEN UND THÜRINGER
Wohlauf! Mit Gott für Deutschen Reiches Ehr!
KÖNIG HEINRICH
hat sich wieder gesetzt
Komm' ich zu euch nun, Männer von Brabant,
zur Heeresfolg' nach Mainz euch zu entbieten,
wie muss mit Schmerz und Klagen ich ersehn,
dass ohne Fürsten ihr in Zwietracht lebt!
Verwirrung, wilde Fehde wird mir kund;
drum ruf ich dich, Friedrich von Telramund!
Ich kenne dich als aller Tugend Preis,
jetzt rede, dass der Drangsal Grund ich weiss.
FRIEDRICH
Dank, König, dir, dass du zu richten kamst!
Die Wahrheit künd' ich, Untreu' ist mir fremd.
Zum Sterben kam der Herzog von Brabant,
und meinem Schutz empfahl er seine Kinder,
Elsa, die Jungfrau, und Gottfried, den Knaben;
mit Treue pflog ich seiner grossen Jugend,
sein Leben war das Kleinod meiner Ehre.
Ermiss nun, König, meinen grimmen Schmerz,
als meiner Ehre Kleinod mir geraubt!
Lustwandelnd führte Elsa den Knaben einst
zum Wald, doch ohne ihn kehrte sie zurück;
mit falscher Sorge frug sie nach dem Bruder,
da sie, von ungefähr von ihm verirrt,
bald seine Spur - so sprach sie - nicht mehr fand.
Fruchtlos war all Bemühn um den Verlornen;
als ich mit Drohen nun in Elsa drang,
da liess in bleichem Zagen und Erbeben
der grässlichen Schuld Bekenntnis sie uns sehn.
Es fasste mich Entsetzen vor der Magd;
dem Recht auf ihre Hand, vom Vater mir
verliehn, entsagt' ich willig da und gern
und nahm ein Weib, das meinem Sinn gefiel:
Er stellt Ortrud vor, die sich vor dem König verneigt
Ortrud, Radbods, des Friesenfürsten Spross.
Er schreitet feierlich einige Schritte vor
Nun führ' ich Klage wider Elsa von
Brabant; des Brudermordes zeih' ich sie.
Dies Land doch sprech' ich für mich an mit Recht,
da ich der Nächste von des Herzogs Blut,
mein Weib dazu aus dem Geschlecht, das einst
auch diesen Landen seine Fürsten gab.
Du hörst die Klage, König! Richte recht!
ALLE MÄNNER
Ha, schwerer Schuld zeiht Telramund!
Mit Grausen werd' ich der Klage kund!
KÖNIG HEINRICH
Welch fürchterliche Klage sprichst du aus!
Wie wäre möglich solche grosse Schuld?
FRIEDRICH
O Herr, traumselig ist die eitle Magd,
die meine Hand voll Hochmut von sich stiess.
Geheimer Buhlschaft klag' ich drum sie an:
Sie wähnte wohl, wenn sie des Bruders ledig,
dann könnte sie als Herrin von Brabant
mit Recht dem Lehnsmann ihre Hand verwehren
und offen des geheimen Buhlen pflegen.
KÖNIG HEINRICH
durch eine ernste Gebärde Friedrichs Eifer
unterbrechend
Ruft die Beklagte her!
Beginnen soll nun das Gericht!
Gott lass mich weise sein!
DER HEERRUFER
schreitet feierlich in die Mitte
Soll hier nach Recht und Macht Gericht gehalten sein?
KÖNIG HEINRICH
hängt mit Feierlichkeit den Schild an der Eiche auf
Nicht eh'r soll bergen mich der Schild,
bis ich gerichtet streng und mild!
ALLE MÄNNER
die Schwerter entblössend, welche die Sachsen und Thüringer vor sich in die Erde stossen, die Brabanter flach vor sich niederstrecken
Nicht eh'r zur Scheide kehr' das Schwert,
bis ihm durch Urteil Recht gewährt!
DER HEERRUFER
Wo ihr des Königs Schild gewahrt,
dort Recht durch Urteil nun erfahrt!
Drum ruf ich klagend laut und hell:
Elsa, erscheine hier zur Stell'!
ZWEITE SZENE
Elsa tritt auf in einem weissen, sehr einfachen Gewande; sie verweilt eine Zeitlang im Hintergrunde, dann schreitet sie sehr langsam und mit grosser Verschämtheit der Mitte des Vordergrundes zu; Frauen, sehr einfach weiss gekleidet, folgen ihr, diese bleiben aber zunächst im Hintergrunde an der äussersten Grenze des Gerichtskreises.
DIE MÄNNER
Seht hin! Sie naht, die hart Beklagte!
Ha! Wie erscheint sie so licht und rein!
Der sie so schwer zu zeihen wagte,
wie sicher muss der Schuld er sein!
KÖNIG HEINRICH
Bist du es, Elsa von Brabant?
Elsa neigt das Haupt bejahend
Erkennst du mich als deinen Richter an?
Elsa wendet ihr Haupt nach dem König, blickt ihm ins Auge und bejaht dann mit vertrauensvoller Gebärde
So frage ich weiter:
Ist die Klage dir bekannt,
die schwer hier wider dich erhoben?
Elsa erblickt Friedrich und Ortrud, erbebt, neigt traurig das Haupt und bejaht
Was entgegnest du der Klage?
Elsa durch eine Gebärde: »Nichts!«
So bekennst du deine Schuld?
ELSA
blickt eine Zeitlang traurig vor sich hin
Mein armer Bruder!
ALLE MÄNNER
Wie wunderbar! Welch seltsames Gebaren!
KÖNIG HEINRICH
Sag, Elsa! Was hast du mir zu vertraun?
ELSA
in ruhiger Verklärung vor sich hinblickend
Einsam in trüben Tagen
hab' ich zu Gott gefleht,
des Herzens tiefstes Klagen
ergoss ich im Gebet.
Da drang aus meinem Stöhnen
ein Laut so klagevoll,
der zu gewalt'gem Tönen
weit in die Lüfte schwoll:
Ich hört' ihn fernhin hallen,
bis kaum mein Ohr er traf;
mein Aug' ist zugefallen,
ich sank in süssen Schlaf.
ALLE MÄNNER
Wie sonderbar! Träumt sie? Ist sie entrückt?
KÖNIG HEINRICH
als wolle er Elsa aus dem Traume wecken
Elsa, verteid'ge dich vor dem Gericht!
Elsas Mienen gehen von dem Ausdruck träumerischen Entrücktseins zu dem schwärmerischer Verklärung über
ELSA
In Lichter Waffen Scheine
ein Ritter nahte da,
so tugendlicher Reine
ich keinen noch ersah:
Ein golden Horn zur Hüften,
gelehnet auf sein Schwert -
so trat er aus den Lüften
zu mir, der Recke wert;
mit züchtigem Gebaren
gab Tröstung er mir ein;
des Ritters will ich wahren,
er soll mein Streiter sein!
ALLE MÄNNER
Bewahre uns des Himmels Huld,
dass klar wir sehen, wer hier schuld!
KÖNIG HEINRICH
Friedrich, du ehrenwerter Mann,
bedenke wohl, wen klagst du an?
FRIEDRICH
Mich irret nicht ihr träumerischer Mut;
ihr hört, sie schwärmt von einem Buhlen!
Wess' ich sie zeih', dess' hab' ich sichren Grund.
Glaubwürdig ward ihr Frevel mir bezeugt;
doch eurem Zweifel durch ein Zeugnis wehren,
das stünde wahrlich übel meinem Stolz!
Hier steh' ich, hier mein Schwert! Wer wagt von euch,
zu streiten wider meiner Ehre Preis!
DIE BRABANTER
Keiner von uns! Wir streiten nur für dich!
FRIEDRICH
Und, König, du! Gedenkst du meiner Dienste,
wie ich im Kampf den wilden Dänen schlug?
KÖNIG HEINRICH
Wie schlimm, liess' ich von dir daran mich mahnen!
Gern geb' ich dir der höchsten Tugend Preis;
in keiner andern Hut, als in der deinen,
möcht' ich die Lande wissen. Gott allein
soll jetzt in dieser Sache noch entscheiden!
ALLE MÄNNER
Zum Gottesgericht!
Zum Gottesgericht!
Wohlan!
KÖNIG HEINRICH
Dich frag' ich, Friedrich, Graf von Telramund!
Willst du durch Kampf auf Leben und auf Tod
im Gottesgericht vertreten deine Klage?
FRIEDRICH
Ja!
KÖNIG HEINRICH
Und dich nun frag' ich, Elsa von Brabant!
Willst du, dass hier auf Leben und auf Tod
im Gottesgericht ein Kämpe für dich streite?
ELSA
ohne die Augen aufzuschlagen
Ja!
KÖNIG HEINRICH
Wen wählest du zum Streiter?
FRIEDRICH
Vernehmet jetzt
den Namen ihres Buhlen!
DIE BRABANTER
Merket auf!
ELSA
hat Stellung und schwärmerische Miene nicht verlassen; alles blickt mit Gespanntheit auf sie
Des Ritters will ich wahren,
er soll mein Streiter sein!
ohne sich umzublicken
Hört, was dem Gottgesandten
ich biete für Gewähr:
In meines Vaters Landen
die Krone trage er;
mich glücklich soll ich preisen,
nimmt er mein Gut dahin -
will er Gemahl mich heissen,
geb' ich ihm, was ich bin!
ALLE MÄNNER
unter sich
Ein schöner Preis, stünd' er in Gottes Hand!
Wer für ihn stritt', wohl setzt' er schweres Pfand!
KÖNIG HEINRICH
Im Mittag hoch steht schon die Sonne:
So ist es Zeit, dass nun der Ruf ergeh'!
Der Heerrufer tritt mit den vier Heerhornbläsern vor, die er, den vier Himmelsgegenden zugewendet, an die äussersten Grenzen des Gerichtskreises vorschreiten und so den Ruf blasen lässt.
DER HEERRUFER
Wer hier im Gotteskampf zu streiten kam
für Elsa von Brabant, der trete vor,
der trete vor!
Langes Stillschweigen. Elsa, welche bisher in ununterbrochen ruhiger Haltung verweilt, zeigt entstehende Unruhe der Erwartung.
ALLE MÄNNER
Ohn' Antwort ist der Ruf verhallt!
FRIEDRICH
auf Elsa deutend
Gewahrt, ob ich sie fälschlich schalt?
ALLE MÄNNER
Um ihre Sache steht es schlecht!
FRIEDRICH
Auf meiner Seite bleibt das Recht!
ELSA
etwas näher zum König tretend
Mein lieber König, lass dich bitten,
noch einen Ruf an meinen Ritter!
Wohl weilt er fern und hört' ihn nicht.
KÖNIG HEINRICH
zum Heerrufer
Noch einmal rufe zum Gericht!
Auf das Zeichen des Heerrufers richten die Heerhornbläser sich wieder nach den vier Himmelsgegenden.
DER HEERRUFER
Wer hier im Gotteskampf zu streiten kam
für Elsa von Brabant, der trete vor,
der trete vor!
Wiederum langes, gespanntes Stillschweigen.
ALLE MÄNNER
In düstrem Schweigen richtet Gott!
Elsa sinkt zu inbrünstigem Gebet auf die Knie. Die Frauen, in Besorgnis um ihre Herrin, treten etwas näher in den Vordergrund.
ELSA
Du trugest zu ihm meine Klage,
zu mir trat er auf dein Gebot:
O Herr, nun meinem Ritter sage,
dass er mir helf in meiner Not!
DIE FRAUEN
auf die Knie sinkend
Herr! Sende Hilfe ihr!
Herr Gott! Höre uns!
ELSA
Lass mich ihn sehn, wie ich ihn sah,
mit freudig verklärter Miene
wie ich ihn sah, sei er mir nah!
Die auf einer Erhöhung dem Ufer des Flusses zunächststehenden Männer gewahren zuerst die Ankunft Lohengrins, welcher in einem Nachen, von einem Schwan gezogen, auf dem Flusse in der Ferne sichtbar wird. Die vom Ufer entfernter stehenden Männer im Vordergrunde wenden sich zunächst ohne ihren Platz zu verlassen mit immer regerer Neugier fragend an die dem Ufer näher stehenden; sodann verlassen sie den Vordergrund, um selbst am Ufer nachzusehen.
DIE MÄNNER
Seht! Seht! Welch ein seltsam Wunder! Wie? Ein Schwan?
Ein Schwan zieht einen Nachen dort heran!
Ein Ritter drin hoch aufgerichtet steht!
Wie glänzt sein Waffenschmuck! Das Aug' vergeht
vor solchem Glanz! Seht, näher kommt er schon heran!
An einer goldnen Kette zieht der Schwan!
Auch die letzten eilen noch nach dem Hintergrunde; im Vordergrunde bleiben nur der König, Elsa, Friedrich, Ortrud und die Frauen. Von seinem erhöhten Platze aus überblickt der König alles; Friedrich und Ortrud sind durch Schreck und Staunen gefesselt; Elsa, die mit steigender Entzückung den Ausrufen der Männer gelauscht hat, verbleibt in der Mitte der Bühne; sie wagt gleichsam nicht, sich umzublicken.
DIE MÄNNER
stürzen in höchster Ergriffenheit wieder nach vorn
Ein Wunder! Ein Wunder!
Ein Wunder ist gekommen,
ein unerhörtes, nie gesehnes Wunder!
Ein Wunder! Ein Wunder! usw.
DIE FRAUEN
Dank, du Herr und Gott, der die Schwache beschirmet!