ZWEITER AKT
ERSTE SZENE
In der Burg von Antwerpen. In der Mitte des Hintergrundes der Palas (Ritterwohnung), links im Vordergrunde die Kemenate (Frauenwohnung); rechts im Vordergrunde die Pforte des Münsters; ebenda im Hintergrunde das Turmtor. Es ist Nacht. Die Fenster des Palas sind hell erleuchtet; aus dem Palas hört man jubelnde Musik, Hörner und Posaunen klingen lustig daraus her.
Auf den Stufen zur Münsterpforte sitzen Friedrich und Ortrud, beide in düsterer, ärmlicher Kleidung. Ortrud, die Arme auf die Knie gestützt, heftet unverwandt ihr Auge auf die leuchtenden Fenster des Palas; Friedrich blickt finster zur Erde.
FRIEDRICH
erhebt sich rasch
Erhebe dich, Genossin meiner Schmach!
Der junge Tag darf hier uns nicht mehr sehn.
ORTRUD
ohne ihre Stellung zu ändern
Ich kann nicht fort, hierher bin ich gebannt.
Aus diesem Glanz des Festes unsrer Feinde
lass saugen mich ein furchtbar tödlich Gift,
das unsre Schmach und ihre Freuden ende!
FRIEDRICH
finster vor Ortrud hintretend
Du fürchterliches Weib, was bannt mich noch
in deine Nähe? Warum lass ich dich nicht
allein und fliehe fort, dahin, dahin,
wo mein Gewissen Ruhe wieder fänd'!
Durch dich musst' ich verlieren
mein' Ehr, all meinen Ruhm;
nie soll mich Lob mehr zieren,
Schmach ist mein Heldentum!
Die Acht ist mir gesprochen,
zertrümmert liegt mein Schwert,
mein Wappen ward zerbrochen,
verflucht mein Vaterherd!
Wohin ich nun mich wende,
geflohn, gefemt bin ich;
dass ihn mein Blick nicht schände,
flieht selbst der Räuber mich!
Durch dich musst' ich verlieren usw.
O hätt' ich Tod erkoren, da ich so elend bin!
Mein Ehr' hab' ich verloren,
mein Ehr', mein Ehr' ist hin!
Er stürzt, von Schmerz überwältigt, zu Boden. Musik aus dem Palas
ORTRUD
immer in ihrer ersten Stellung, während Friedrich sich erhebt
Was macht dich in so wilder Klage doch vergehn?
FRIEDRICH
Dass mir die Waffe selbst geraubt,
mit einer heftigen Bewegung gegen Ortrud
mit der ich dich erschlüg'!
ORTRUD
Friedreicher Graf von Telramund!
Weshalb misstraust du mir?
FRIEDRICH
Du fragst? War's nicht dein Zeugnis, deine Kunde,
die mich bestrickt, die Reine zu verklagen?
Die du im düstren Wald zu Haus, logst du
mir nicht, von deinem wilden Schlosse aus
die Untat habest du verüben sehn
mit eignem Aug', wie Elsa selbst den Bruder
im Weiher dort ertränkt? Umstricktest du
mein stolzes Herz durch die Weissagung nicht,
bald würde Radbods alter Fürstenstamm
von neuem grünen und herrschen in Brabant?
Bewogst du so mich nicht, von Elsas Hand,
der Reinen, abzustehn und dich zum Weib
zu nehmen, weil du Radbods letzter Spross?
ORTRUD
leise, doch grimmig
Ha, wie tödlich du mich kränkst!
laut
Dies alles, ja, ich sagt' und zeugt' es dir!
FRIEDRICH
Und machtest mich, dess' Name hochgeehrt,
dess' Leben aller höchsten Tugend Preis,
zu deiner Lüge schändlichem Genossen?
ORTRUD
Wer log?
FRIEDRICH
Du! Hat nicht durch sein Gericht
Gott mich dafür geschlagen?
ORTRUD
Gott?
FRIEDRICH
Entsetzlich!
Wie tönt aus deinem Munde furchtbar der Name!
ORTRUD
Ha, nennst du deine Feigheit Gott?
FRIEDRICH
Ortrud!
ORTRUD
Willst du mir drohn? Mir, einem Weibe drohn?
O Feiger! Hättest du so grimmig ihm
gedroht, der jetzt dich in das Elend schickt,
wohl hättest Sieg für Schande du erkauft!
Ha, wer ihm zu entgegnen wüsst, der fänd'
ihn schwächer als ein Kind!
FRIEDRICH
Je schwächer er,
desto gewalt'ger kämpfte Gottes Kraft!
ORTRUD
Gottes Kraft? Ha, ha!
Gib mir die Macht, und sicher zeig' ich dir,
welch schwacher Gott es ist, der ihn beschützt.
FRIEDRICH
von Schauer ergriffen
Du wilde Seherin, wie willst du doch
geheimnisvoll den Geist mir neu berücken?
ORTRUD
auf den Palas deutend, in dem das Licht verlöscht ist
Die Schwelger streckten sich zur üpp'gen Ruh'.
Setz dich zur Seite mir! Die Stund' ist da,
wo dir mein Seherauge leuchten soll!
Während des Folgenden nähert sich Friedrich, wie unheimlich von ihr angezogen, Ortrud immer mehr und neigt sein Ohr aufmerksam zu ihr herab
Weisst du, wer dieser Held, den hier
ein Schwan gezogen an das Land?
FRIEDRICH
Nein!
ORTRUD
Was gäbst du doch, es zu erfahren,
wenn ich dir sag': Ist er gezwungen,
zu nennen, wie sein Nam' und Art,
all seine Macht zu Ende ist,
die mühvoll ihm ein Zauber leiht?
FRIEDRICH
Ha! Dann begriff ich sein Verbot!
ORTRUD
Nun hör! Niemand hier hat Gewalt,
ihm das Geheimnis zu entreissen,
als die, der er so streng verbot,
die Frage je an ihn zu tun.
FRIEDRICH
So gält' es, Elsa zu verleiten,
dass sie die Frag' ihm nicht erliess'?
ORTRUD
Ha, wie begreifst du schnell und wohl!
FRIEDRICH
Doch wie soll das gelingen?
ORTRUD
Hör!
Vor allem gilt's, von hinnen nicht
zu fliehn; drum schärfe deinen Witz!
Gerechten Argwohn ihr zu wecken,
tritt vor, klag ihn des Zaubers an,
mit dem er das Gericht getäuscht!
FRIEDRICH
Ha! Trug und Zaubers List!
ORTRUD
Missglückt's,
so bleibt ein Mittel der Gewalt!
FRIEDRICH
Gewalt?
ORTRUD
Umsonst nicht bin ich in
geheimsten Künsten tief erfahren;
drum achte wohl, was ich dir sage!
Jed' Wesen, das durch Zauber stark,
wird ihm des Leibes kleinstes Glied
entrissen nur, muss sich alsbald
ohnmächtig zeigen, wie es ist.
FRIEDRICH
Ha, sprächst du wahr!
ORTRUD
O hättest du
im Kampf nur einen Finger ihm,
ja, eines Fingers Glied entschlagen,
der Held - er war in deiner Macht!
FRIEDRICH
Entsetzlich! Ha, was lässest du mich hören!
Durch Gott geschlagen wähnt' ich mich:
Nun liess durch Trug sich das Gericht betören,
durch Zaubers List verlor mein' Ehre ich!
Doch meine Schande könnt' ich rächen,
bezeugen könnt' ich meine Treu'?
Des Buhlen Trug, ich könnt' ihn brechen,
und meine Ehr' gewänn' ich neu?
O Weib, das in der Nacht ich vor mir seh',
betrügst du jetzt mich noch, dann weh dir! Weh!
ORTRUD
Ha, wie du rasest! Ruhig und besonnen!
So lehr' ich dich der Rache süsse Wonnen!
Friedrich setzt sich langsam an Ortruds Seite auf die Stufen nieder
ORTRUD und FRIEDRICH
Der Rache Werk sei nun beschworen
aus meines Busens wilder Nacht!
Die ihr in süssem Schlaf verloren,
wisst, dass für euch das Unheil wacht!
ZWEITE SZENE
Elsa, in weissem Gewande, erscheint auf dem Söller; sie tritt an die Brüstungund lehnt den Kopf auf die Hand
ELSA
Euch Lüften, die mein Klagen
so traurig oft erfüllt,
euch muss ich dankend sagen,
wie sich mein Glück enthüllt!
ORTRUD
Sie ist es!
FRIEDRICH
Elsa!
ELSA
Durch euch kam er gezogen,
ihr lächeltet der Fahrt,
auf wilden Meereswogen
habt ihr ihn treu bewahrt.
ORTRUD
Der Stunde soll sie fluchen,
in der sie jetzt mein Blick gewahrt!
ELSA
Zu trocknen meine Zähren
hab' ich euch oft gemüht;
wollt Kühlung nur gewähren
der Wang', in Lieb' erglüht!
ORTRUD
zu Friedrich
Hinweg! Entfern' ein kleines dich von hier!
FRIEDRICH
Warum?
ORTRUD
Sie ist für mich - ihr Held gehöre dir!
Friedrich entfernt sich und verschwindet im Hintergrunde.
ELSA
Wollt Kühlung nur gewähren
der Wang', in Lieb' erglüht!
In Liebe!
ORTRUD
in ihrer bisherigen Stellung verbleibend
Elsa!
ELSA
Wer ruft? Wie schauerlich und klagend
ertönt mein Name durch die Nacht?
ORTRUD
Elsa!
Ist meine Stimme dir so fremd?
Willst du die Arme ganz verleugnen,
die du ins fernste Elend schickst?
ELSA
Ortrud! Bist du's? Was machst du hier, unglücklich Weib?
ORTRUD
»Unglücklich Weib!«
Wohl hast du recht, so mich zu nennen!
In ferner Einsamkeit des Waldes,
wo still und friedsam ich gelebt,
was tat ich dir? Was tat ich dir?
Freudlos, das Unglück nur beweinend,
das lang belastet meinen Stamm,
was tat ich dir? Was tat ich dir?
ELSA
Um Gott, was klagest du mich an?
War ich es, die dir Leid gebracht?
ORTRUD
Wie könntest du fürwahr mir neiden
das Glück, dass mich zum Weib erwählt
der Mann, den du so gern verschmäht?
ELSA
Allgüt'ger Gott! Was soll mir das?
ORTRUD
Musst' ihn unsel'ger Wahn betören,
dich Reine einer Schuld zu zeihn -
von Reu' ist nun sein Herz zerrissen,
zu grimmer Buss' ist er verdammt.
ELSA
Gerechter Gott!
ORTRUD
Oh, du bist glücklich!
Nach kurzem, unschuldsüssem Leiden
siehst lächeln du das Leben nur;
von mir darfst selig du dich scheiden,
mich schickst du auf des Todes Spur,
dass meines Jammers trüber Schein
nie kehr' in deine Feste ein!
ELSA
Wie schlecht ich deine Güte priese,
Allmächt'ger, der mich so beglückt,
wenn ich das Unglück von mir stiesse,
das sich im Staube vor mir bückt!
O nimmer! Ortrud! Harre mein!
Ich selber lass dich zu mir ein!
Sie eilt in die Kemenate zurück.
ORTRUD
springt in wilder Begeisterung von den Stufen auf
Entweihte Götter! Helft jetzt meiner Rache!
Bestraft die Schmach, die hier euch angetan!
Stärkt mich im Dienste eurer heil'gen Sache!
Vernichtet der Abtrünn'gen schnöden Wahn!
Wodan! Dich Starken rufe ich!
Freia! Erhabne, höre mich!
Segnet mir Trug und Heuchelei,
dass glücklich meine Rache sei!
ELSA
noch ausserhalb
Ortrud, wo bist du?
Elsa und zwei Mägde mit Lichtern treten aus der unteren Tür der Kemenate.
ORTRUD
sich demütigend vor Elsa niederwerfend
Hier zu deinen Füssen.
ELSA
bei Ortruds Anblick erschreckt zurücktretend
Hilf Gott! So muss ich dich erblicken,
die ich in Stolz und Pracht nur sah!
Es will das Herze mir ersticken,
seh' ich so niedrig dich mir nah!
Steh auf! O spare mir dein Bitten!
Trugst du mir Hass, verzieh ich dir;
was du schon jetzt durch mich gelitten,
das, bitte ich, verzeih auch mir!
ORTRUD
O habe Dank für so viel Güte!
ELSA
Der morgen nun mein Gatte heisst,
anfleh' ich sein liebreich Gemüte,
dass Friedrich auch er Gnad' erweist.
ORTRUD
Du fesselst mich in Dankes Banden!
ELSA
In Frühn lass mich bereit dich sehn -
geschmückt mit prächtigen Gewanden
sollst du mit mir zum Münster gehn:
Dort harre ich des Helden mein,
vor Gott sein Eh'gemahl zu sein!
Sein Eh'gemahl!
ORTRUD
Wie kann ich solche Huld dir lohnen,
da machtlos ich und elend bin?
Soll ich in Gnaden bei dir wohnen,
stets bleibe ich die Bettlerin!
Immer näher zu Elsa tretend
Nur eine Kraft ist mir geblieben,
sie raubte mir kein Machtgebot;
durch sie vielleicht schütz' ich dein Leben,
bewahr' es vor der Reue Not!
ELSA
Wie meinst du?
ORTRUD
Wohl, dass ich dich warne,
zu blind nicht deinem Glück zu traun;
dass nicht ein Unheil dich umgarne,
lass mich für dich zur Zukunft schaun.
ELSA
Welch Unheil?
ORTRUD
Könntest du erfassen,
wie dessen Art so wundersam,
der nie dich möge so verlassen,
wie er durch Zauber zu dir kam!
ELSA
von Grausen erfasst, wendet sich unwillig ab; voll Trauer und Mitleid wendet sie sich dann wieder zu Ortrud
Du Ärmste kannst wohl nie ermessen,
wie zweifellos ein Herze liebt?
Du hast wohl nie das Glück besessen,
das sich uns nur durch Glauben gibt?
Kehr bei mir ein! Lass mich dich lehren,
wie süss die Wonne reinster Treu'!
Lass zu dem Glauben dich bekehren:
Es gibt ein Glück, das ohne Reu'!
ORTRUD
für sich
Ha! Dieser Stolz,
er soll mich lehren,
wie ich bekämpfe ihre Treu'!
Gen ihn will ich die Waffen kehren,
durch ihren Hochmut werd' ihr Reu'! usw.
ELSA
Lass mich dich lehren,
wie süss die Wonne reinster Treu usw.
Ortrud tritt, von Elsa geleitet, mit heuchlerischem Zögern durch die kleine Pforte ein; die Mägde leuchten voran und schliessen; nachdem alle eingetreten. Erstes Tagesgrauen.
FRIEDRICH
tritt aus dem Hintergrunde vor
So zieht das Unheil in dies Haus!
Vollführe, Weib, was deine List ersonnen;
dein Werk zu hemmen fühl' ich keine Macht!
Das Unheil hat mit meinem Fall begonnen,
nun stürzet nach, die mich dahin gebracht!
Nur eines seh' ich mahnend vor mir stehn:
Der Räuber meiner Ehre soll vergehn!