In diesem Augenblick tritt eine alte Kammerfrau durch die gleiche Türe ein. Der Baron zieht sich enttäuscht zurück. Zwei Lakaien kommen von rechts herein, bringen einen Wandschirm aus dem Alkoven. Die Marschallin tritt hinter den Wandschirm, die alte Kammerfrau mit ihr. Der Frisiertisch wird vorgeschoben in die Mitte.
Lakaien öffnen die Flügeltüren rechts. Es treten ein: der Notar, der Küchenchef, hinter diesen ein Küchenjunge, der das Menübuch trägt. Dann die Marchand de Modes, ein Gelehrter mit einem Folianten und der Tierhändler mit winzig kleinen Hunden und einem Aeffchen. Valzacchi und Annina, hinter diesen rasch gleitend, nehmen den vordersten Platz links ein. Die adelige Mutter mit ihren 3 Töchtern, alle in Trauer, stellen sich in den rechten Flügel. Der Haushofmeister führt den Tenor und den Flötisten nach vorne. Baron rückwärts winkt einen Lakaien zu sich, gibt ihm den Auftrag, zeigt: „Hier durch die Hintertür.“
DIE DREI WAISEN
schreiend
Drei arme, adelige Waisen -
DIE ADELIGE MUMR
bedeutet ihnen, nicht so zu schreien und niederzuknien.
DIE DREI WAISEN
niederkniend
Drei arme, adelige Waisen erflehen Dero hohen Schutz!
MODISTIN
laut
Le chapeau Paméla. La poudre à la reine de Golconde.
DER TIERHÄNDLER
Schöne Affen, wenn Durchlaucht schaffen, auch Vögel hab’ ich da aus Afrika.
DIE DREI WAISEN
Der Vater ist jung auf dem Felde der Ehre gefallen, ihm dieses nachzutun ist unser Herzensziel.
MODISTIN
Le chapeau Paméla! C’est la merveille du monde!
DER TIERHÄNDLER
Papageien hätt’ ich da, aus Indien und Afrika. Hunderln so klein und schon zimmerrein.
Die Marschallin tritt hervor, alles verneigt sich. Baron ist links vorgekommen.
MARSCHALLIN
zum Baron
Ich präsentiere Euer Liebden hier den Notar.
Der Notar tritt mit Verneigung gegen den Frisiertisch, wo sich die Marschallin niedergelassen, zum Baron links. Marschallin winkt die jüngste der drei Waisen zu sich, lässt sich vom Haushofmeister einen Geldbeutel reichen, gibt ihn dem Mädchen, indem sie es auf die Stirn küsst.
Gelehrter will vortreten, seine Folianten überreichen. Valzacchi springt vor, drängt ihn zur Seite.
VALZACCHI
ein schwarzgerändertes Zeitungsblatt hervorziehend
Die swarze Seitung! Fürstlike Gnade! Alles ’ier ge’eim gesrieben! nur für ’ohe Persönlikeite. Die swarze Seitung! Eine Leikname in Interkammer von eine gräflike Palais! Eine Bürgersfrau mit der Amante vergiften den Hehemann diese Nackt um dreie Huhr!
MARSCHALLIN
Laß Er mich mit dem Tratsch in Ruh!
VALZACCHI
In Gnaden! tutte quante Vertraulikeite aus die große Welt.
MARSCHALLIN
Ich will nix wissen! Laß er mich mit dem Tratsch in Ruh!
VALZACCHI
mit bedauernder Verbeugung springt zurück.
DIE DREI WAISEN
zuletzt auch die Mutter, haben der Marschallin die Hand geküsst, zum Abgehen bereit, etwas plärrend
Glück und Segen allerwegen
Euer Gnaden hohem Sinn!
Eingegraben steht erhaben
er in unserem Herzen drin.
gehen ab samt der Mutter
Der Friseur tritt hastig auf, der Gehilfe stürzt ihm mit fliegenden Rockschößen nach. Der Friseur fasst die Marschallin ins Auge; verdüstert sich, tritt zurück; er studiert ihr heutiges Aussehen. Der Gehilfe packt indessen aus, am Frisiertisch. Der Friseur schiebt einige Personen zurück, sich Spielraum zu schaffen.
Der Flötist ist inzwischen vorgetreten und beginnt seine Cadenz. Die Lakaien haben rechts ganz vorne Stellung genommen, andere stehen im Hintergrunde. Nach einer kurzen Überlegung hat der Friseur seinen Plan gefaßt, er eilt mit Entschlossenheit auf die Marschallin zu, beginnt zu frisieren. Ein Lauffer in rosa, schwarz und silber, tritt auf, überbringt ein Billet. Haushofmeister mit Silbertablett ist schnell zur Hand, präsentiert es der Marschallin. Friseur hält inne, sie lesen zu lassen. Gehilfe reicht ihm ein neues Eisen, Friseur schwenkt es: es ist zu heiß. Gehilfe reicht ihm nach fragendem Blick auf die Marschallin, die nickt, das Billet, das er lächelnd verwendet, um das Eisen zu kühlen.
Der Sänger hat sich in Positur gestellt, mit dem Notenblatt in der Hand.
DER TENOR
Di rigori armato il seno
contro amor mi ribellai,
ma fui vinto in un baleno
in mirar due vaghi rai.
Ahj! che resiste puoco a stral di fuoco
Cor di gelo di fuoco a stral!
Der Friseur übergibt dem Gehilfen das Eisen und applaudiert dem Sänger. Dann fährt er im Arrangement des Lockenbaues fort.
Ein Bedienter hat indessen bei der kleinen Tür den Kammerdiener des Barons, den Almosenier und den Jäger eingelassen. Es sind drei bedenkliche Gestalten. Der Kammerdiener ist ein junger großer Lümmel, der dumm und frech aussieht. Er trägt unterm Arm ein Futteral aus rotem Saffian. Der Almosenier ist ein verwilderter Dorfkooperator, ein drei Schuh hoher, aber stark und verwegen aussehender Gnom. Der Leibjäger mag, bevor er in die schlecht sitzende Livree gesteckt wurde, Mist geführt haben. Der Almosenier und der Kammerdiener scheinen sich um den Vortritt zu streiten und steigen einander auf die Füße. Sie steuern längs der linken Seite auf ihren Herrn zu, in dessen Nähe sie Halt machen.
BARON
sitzend zum Notar, der vor ihm steht, seine Weisungen entgegen nimmt. halblaut
Als Morgengabe ganz separatim jedoch - und vor der Mitgift - bin ich verstanden, Herr Notar? - kehrt Schloß und Herrschaft Gaunersdorf an mich zurück! Von Lasten frei und ungemindert an Privilegien, so wie mein Vater selig sie besessen hat.
NOTAR
kurzatmig
Gestatten, hochfreiherrliche Gnaden die submisseste Belehrung, dass eine Morgengabe wohl vom Gatten an die Gattin, nicht aber von der Gattin an den Gatten
tief aufatmend
bestellet und stipuliert zu werden, fähig ist.
BARON
Das mag wohl sein!
NOTAR
Das ist so.
BARON
Aber im besondern Fall -
Nach längerer Rücksprache mit dem Haushofmeister beschäftigt sich die Marschallin mit der Abfassung des Menus und fertigt dann den Küchenchef ab.
NOTAR
Die Formen und die Präscriptionen kennen keinen Unterschied.
BARON
schreit
Haben ihn aber zu kennen!
NOTAR
erschrocken
In Gnaden!
BARON
Wo eines hochadeligen Blutes blühender Spross sich herablässt im Ehebette einer so gut als bürgerlichen Mamsell Faninal - bin ich verstanden? - acte de présence zu machen vor Gott und der Welt und sozusagen angesichts kaiserlicher Majestät, -
DER FLÖTIST
beginnt wieder zu präludieren.
BARON
da wird, corpo di Bacco! von Morgengabe als geziemendem Geschenk dankbarer Devotion für die Hingab’ so hohen Blutes sehr wohl die Rede sein!
Der Sänger macht Miene wieder anzufangen, wartet noch, bis der Baron still wird.
DER TENOR
Ma si caro è’l mio tormento
dolce è si la piaga mia,
Ch’il penare è mio contento
e’l sanarmi è tirannia.
Ahi! che resiste, puoco cor .....
bricht jäh ab
NOTAR
zum Baron leise
Vielleicht, dass man die Sache separatim
BARON
leise
Er ist ein schmählicher Pedant: als Morgengabe will ich das Gütel!
NOTAR
ebenso
Als einen wohl verklausulierten Teil der Mitgift.
BARON
halblaut
Als Morgengabe! geht das denn nicht in seinen Schädel?
NOTAR
Als eine Schenkung inter vivos oder -
BARON
schlägt wütend auf den Tisch, schreiend
Als Morgengabe!
NOTAR
zieht sich erschrocken in die Ecke zurück.
MARSCHALLIN
winkt den Sänger zu sich, reicht ihm die Hand zum Kuss.
SÄNGER NEBST FLÖTIST
ziehen sich unter tiefen Verbeugungen zurück.
BARON
tut, als ob nichts geschehen wäre, winkt dem Sänger leutselig zu, tritt dann zu seiner Dienerschaft, streicht dem Leiblakai die bäurisch in die Stirn gekämmten Haare hinaus; geht dann, als suchte er jemand, zur kleinen Tür, öffnet sie, spioniert hinaus, ärgert sich, schnüffelt gegen’s Bett, schüttelt den Kopf, kommt dann wieder vor.
MARSCHALLIN
sieht sich in dem Handspiegel, halblaut
Mein lieber Hippolŷte heut’ haben Sie ein altes Weib aus mir gemacht.
Der Friseur mit Bestürzung, wirft sich fieberhaft auf den Lockenbau der Marschallin und verändert ihn aufs Neue. Das Gesicht der Marschallin bleibt traurig.
MARSCHALLIN
über die Schulter, zum Haushofmeister
Abtreten die Leut’!
Die Lakaien eine Kette bildend, schieben die aufwartenden Personen zur Tür hinaus, die sie dann verschließen. Nur der Gelehrte, vom Haushofmeister ihr zugeführt, bleibt noch im Gespräch mit der Marschallin bis zum Schluss des Intermezzos zwischen Valzacchi, Annina und dem Baron. Valzacchi und hinter ihm Annina, haben sich im Rücken aller rings um die Bühne zum Baron hinübergeschlichen und präsentieren sich ihm mit übertriebener Devotion.
VALZACCHI
zum Baron
Ihre Gnade sukt etwas. Ik seh. Ihre Gnade at eine Bedürfnis. Ik kann dienen, ik kann besorgen.
BARON
tritt zurück
Wer ist Er, was weiß Er?
VALZACCHI
Ihre Gnade Gesikt sprikt ohne Sunge. Wie ein Hantike: come statua di Giove.
ANNINA
Wie ein Hantike ... di Giove.
BARON
Das ist ein besserer Mensch.
VALZACCHI und ANNINA
fällt auf die Knie
Erlaukte Gnade, attachieren uns an Sein Gefolge:
BARON
Euch?
VALZACCHI
Onkel und Nickte: Su sweien maken alles besser. Per esemplo. Ihre Gnade at eine junge Frau -
ANNINA
Nichte und Onkel. ... alles besser.
BARON
Woher weiß Er denn das, Er Teufel Er?
VALZACCHI
eifrig
Ihre Gnade ist in Eifersukt: dico per dire!
VALZACCHI und ANNINA
Eut oder morgen könnte sein. Affare nostro! Jede Sritt die Dame sie tut, jede Wagen die Dame steigt, jede Brief, die Dame bekommt - wir sind da! An die Ecke, in die Kamin, wir sind da - ’inter die Bette, in die Komodie, in eine Schranke, unter die Dache, wir sind da!
Ihre Gnade wird nicht bedauern!
Sie halten ihm die Hände hin, Geld heischend, er tut, als bemerke er es nicht
BARON
halblaut
Hm! Was es alles gibt in diesem Wien? Zur Probe nur: kennt Sie die Jungfer Mariandel?
ANNINA
halblaut
Mariandel?
BARON
Das Zofel hier im Haus bei Ihrer Gnaden.
VALZACCHI
leise zu Annina
Sai tu? Cosa vuole?
ANNINA
Niente!
VALZACCHI
zum Baron
Sikker, sicker, mein Nickte wird besorgen, seien sikker, Ihre Gnade! Wir sind da!
Die Marschallin ist aufgestanden.
Friseur nach tiefer Verbeugung eilt ab. Der Gehilfe hinter ihm.
BARON
Baron die beiden Italiener stehen lassend, zur Marschallin
Darf ich das Gegenstück discret vertraulich zu Dero sauberm Kammerzofel präsentieren?
selbstgefällig
Die Ähnlichkeit soll, hör’ ich, unverkennbar sein.
Marschallin
nickt
BARON
Leopold, das Futteral!
Der junge Kammerlakai präsentiert linkisch das Futteral.
MARSCHALLIN
ein bisschen lachend
Ich gratuliere Euer Liebden sehr.
BARON
nimmt das Futteral ab und winkt ihm zurückzutreten
Und da ist nun die silberne Rose.
will’s aufmachen
MARSCHALLIN
Lassen nur drinnen. Haben die Gnad’ und stellen’s dorthin.
BARON
Vielleicht das Zofel soll’s übernehmen? Ruft man ihr?
MARSCHALLIN
Nein, lassen nur. Die hat jetzt keine Zeit. Doch sei Er sicher: den Grafen Octavian bitt’ ich ihm auf, er wird’s mir zu lieb schon tun und als Euer Liebden Kavalier vorfahren mit der Rosen zu der Jungfer Braut.
leichthin
Stellen indeß nur hin. Und jetzt, Herr Vetter, sag’ ich ihm Adieu. Man retiriert sich jetzt von hier. Ich werd’ jetzt in die Kirchen gehn.
Die Lakaien öffnen die Flügeltür.
BARON
Euer Gnaden haben heut’ durch unversiegte Huld mich tiefst beschämt.
Er macht die Reverenz, entfernt sich unter Ceremoniell. Der Notar hinter ihm, auf seinen Wink. Seine drei Leute hinter diesem, in mangelhafter Haltung.
Die beiden Italiener lautlos und geschmeidig, schließen sich unbemerkt an.
Haushofmeister tritt ab. Lakaien schließen die Tür.
MARSCHALLIN
allein
Da geht er hin, der aufgeblasne, schlechte Kerl, und kriegt das hübsche junge Ding und einen Pinkel Geld dazu,
seufzend
als müßt’s so sein. Und bildet sich noch ein, dass er es ist, der sich was vergibt. Was erzürn’ ich mich denn? ’s ist doch der Lauf der Welt.
Kann mich auch an ein Mädel erinnern, die frisch aus dem Kloster ist in den heiligen Ehstand kommandiert word’n.
nimmt den Handspiegel
Wo ist die jetzt? Ja,
seufzend
such’ dir den Schnee vom vergangenen Jahr!
ruhig
Das sag’ ich so: aber wie kann das wirklich sein, dass ich die kleine Resi war, und dass ich auch einmal die alte Frau sein werd’.... Die alte Frau, die alte Marschallin! „Siegst es, da geht die alte Fürstin Resi!“
ruhig
Wie kann denn das geschehn? Wie macht denn das der liebe Gott? Wo ich doch immer die gleiche bin. Und wenn er’s schon so machen muss, warum lasst er mich zuschau’n dabei, mit gar so klarem Sinn? Warum versteckt er’s nicht vor mir?
immer leiser
Das alles ist geheim, so viel geheim, und man ist dazu da,
seufzend
dass man’s ertragt. Und in dem „Wie“
sehr ruhig
da liegt der ganze Unterschied.
OCTAVIAN
tritt von rechts ein, in einem Morgenanzug mit Reitstiefeln.
MARSCHALLIN
ruhig, mit halbem Lächeln
Ach! Du bist wieder da?
OCTAVIAN
zärtlich
Und Du bist traurig!
MARSCHALLIN
Es ist ja schon vorbei. Du weißt ja, wie ich bin. Ein halb Mal lustig, ein halb Mal traurig. Ich kann halt meine Gedanken nicht kommandiern.
OCTAVIAN
Ich weiß, warum du traurig bist, mein Schatz. Weil du erschrocken bist und Angst gehabt hast. Hab’ ich nicht recht? Gesteh’ mir nur: Du hast Angst gehabt, du Süße, du Liebe, um mich, um mich!
MARSCHALLIN
Ein biss’l vielleicht, aber ich hab’ mich erfangen und hab’ mir vorgesagt: Es wird schon nicht dafür steh’n. Und wär’s dafür gestanden?
OCTAVIAN
heiter
Und es war kein Feldmarschall, nur ein spaßiger Herr Vetter, und du gehörst mir, du gehörst mir!
MARSCHALLIN
ihn abwehrend
Taverl, umarm’ Er nicht zu viel: Wer all zu viel umarmt, der hält nichts fest.
OCTAVIAN
leidenschaftlich
Sag’, dass du mir gehörst! Mir!
MARSCHALLIN
Oh! sei Er jetzt sanft, sei Er gescheidt und sanft und gut.
OCTAVIAN
will lebhaft erwidern
MARSCHALLIN
Nein, bitt’ schön, sei Er nur nicht, wie alle Männer sind.
OCTAVIAN
misstrauisch auffahrend
Wie alle Männer?
MARSCHALLIN
schnell gefasst
Wie der Feldmarschall und der Vetter Ochs.
OCTAVIAN
nicht dabei beruhigt
Bichette!
MARSCHALLIN
mit Nachdruck
Sei Er nur nicht, wie alle Männer sind.
OCTAVIAN
zornig
Ich weiß nicht, wie alle Männer sind.
plötzlich sanft
Weiß nur, dass ich dich lieb hab’, Bichette, sie haben dich mir ausgetauscht. Bichette, wo ist sie denn!
MARSCHALLIN
ruhig
Sie ist wohl da, Herr Schatz.
OCTAVIAN
Ja, ist sie da? Dann will ich sie halten, dass sie mir nicht wieder entkommt!
leidenschaftlich
Pakken will ich sie, pakken, dass sie es spürt, zu wem sie gehört zu mir! denn ich bin ihr, und sie ist mein!
MARSCHALLIN
sich ihm entwindend
Oh, sei Er gut, Quinquin. Mir ist zu Mut, dass ich die Schwäche von allem Zeitlichen recht spüren muss. Bis in mein Herz hinein, wie man nichts halten soll, wie man nichts packen kann. Wie alles zerläuft, zwischen den Fingern, wie alles sich auflöst, wonach wir greifen, alles zergeht wie Dunst und Traum.
OCTAVIAN
Mein Gott, wie Sie das sagt! Sie will mir doch nur zeigen, dass sie nicht an mir hängt.
er weint
MARSCHALLIN
Sei Er doch gut, Quinquin!
OCTAVIAN
weint stärker.
MARSCHALLIN
ruhig
Jetzt muss ich noch den Buben dafür trösten, dass er mich über kurz oder lang wird sitzen lassen.
Sie streichelt ihn.
OCTAVIAN
Über kurz oder lang?
heftig
Wer legt dir heut’ die Wörter in den Mund, Bichette?
MARSCHALLIN
Dass Ihn das Wort so kränkt!
OCTAVIAN
er hält sich die Ohren zu.
MARSCHALLIN
Die Zeit im Grunde, Quinquin, die Zeit, die ändert doch nichts an den Sachen. Die Zeit, die ist ein sonderbar’ Ding. Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar Nichts. Aber dann auf einmal, da spürt man nichts als sie. Sie ist um uns herum, sie ist auch in uns drinnen. In den Gesichtern rieselt sie, im Spiegel da rieselt sie, in meinen Schläfen fließt sie. Und zwischen mir und dir, da fließt sie wieder. Lautlos, wie eine Sanduhr.
warm
Oh, Quinquin! Manchmal hör’ ich sie fließen, unaufhaltsam.
leise
Manchmal steh’ ich auf mitten in der Nacht und lass die Uhren alle, alle stehn. Allein man muss sich auch vor ihr nicht fürchten. Auch sie ist ein Geschöpf des Vaters, der uns alle erschaffen hat.
OCTAVIAN
mit ruhiger Zärtlichkeit
Mein schöner Schatz, will Sie sich traurig machen mit Gewalt? Wo Sie mich da hat, wo ich meine Finger in Ihre Finger schlinge, wo ich mit meinen Augen Ihre Augen suche, wo Sie mich da hat - gerade da ist Ihr so zu Mut?
MARSCHALLIN
sehr ernst
Quinquin, heut’ oder morgen geht Er hin und gibt mich auf um einer andern willen, die jünger
etwas zögernd
und schöner ist als ich.
OCTAVIAN
Willst Du mit Worten mich von dir stoßen, weil Dir die Hände den Dienst nicht tun?
MARSCHALLIN
ruhig
Der Tag kommt ganz von selber. Heut’ oder morgen kommt der Tag, Octavian.
OCTAVIAN
Nicht heut, nicht morgen: ich hab’ dich lieb.
gesteigert
Nicht heut’, nicht morgen! Wenn’s so einen Tag geben muss, ich denk’ ihn nicht. Solch schrecklichen Tag! Ich will den Tag nicht seh’n.
sehr leidenschaftlich
Ich will den Tag nicht denken. Was quälst du dich und mich, Theres’?
MARSCHALLIN
Heut’ oder morgen oder den übernächsten Tag. Nicht quälen will ich Dich, mein Schatz. Ich sag’, was wahr ist, sag’s zu mir so gut als wie zu dir. Leicht will ich’s machen dir und mir. Leicht muss man sein, mit leichtem Herz und leichten Händen halten und nehmen, halten und lassen... Die nicht so sind, die straft das Leben und Gott erbarmt sich ihrer nicht.
OCTAVIAN
Sie spricht ja heute wie ein Pater. Soll das heißen, dass ich Sie nie mehr werde küssen dürfen bis Ihr der Atem ausgeht?
MARSCHALLIN
Quinquin, Er soll jetzt geh’n,
sanft
Er soll mich lassen. Ich werd’ jetzt in die Kirchen geh’n, und später fahr ich zum Onkel Greifenklau, der alt und gelähmt ist, und eß’ mit ihm: Das freut den alten Mann. Und Nachmittag werd’ ich Ihm einen Lauffer schicken, Quinquin, und sagen lassen,
zögernd
ob ich in den Prater fahr’. Und wenn ich fahr’, und Er hat Lust, so wird Er auch in den Prater kommen und neben meinem Wagen reiten... jetzt sei Er gut und folg’ Er mir.
OCTAVIAN
leise
Wie Sie befiehlt, Bichette!
Er geht ab.
MARSCHALLIN
allein, fährt leidenschaftlich auf
Ich hab’ ihn nicht einmal geküsst.
Sie klingelt heftig.
Lakaien kommen von rechts.
Lauft’s dem Herrn Grafen nach und bittet’s ihn noch auf ein Wort herauf.
LAKAIEN
schnell ab
MARSCHALLIN
sehr bewegt
Ich hab’ ihn fort geh’n lassen und ihn nicht einmal geküsst.
Die 4 Lakaien kommen zurück ausser Atem.
ERSTER LAKAI
Der Herr Graf sind auf und davon -
ZWEITER LAKAI
Gleich beim Tor sind aufgesessen...
DRITTER LAKAI
Reitknecht hat gewartet,
VIERTER LAKAI
Gleich beim Tor sind aufgesessen wie der Wind.
ERSTER LAKAI
Waren um die Ekken wie der Wind,
ZWEITER LAKAI
Sind nachgelaufen...
DRITTER LAKAI
Wir haben geschrien...
VIERTER LAKAI
War umsonst.
MARSCHALLIN
Es ist gut. Geht nur wieder.
Die Lakaien ziehen sich zurück.
MARSCHALLIN
ruft nach
Den Mohammed!
Der kleine Neger herein, klingelnd, verneigt sich
MARSCHALLIN
Das da trag’...
NEGER
nimmt eifrig das Saffianfutteral
MARSCHALLIN
Weißt ja nicht, wohin. Zum Grafen Octavian. Gib’s ab und sag:
sehr ruhig
Da drinn ist die silberne Ros’n... Der Herr Graf weiß ohnehin...
Der Neger läuft ab.
MARSCHALLIN
stützt den Kopf in die Hand und bleibt so, in träumerischer Haltung bis zum Schluss.