VORSPIEL
AUSRUFER
Sie werden heute abend eine Oper für Bettler sehen. Weil diese Oper so prunkvoll gedacht war, wie nur Bettler sie erträumen, und weil sie doch so billig sein sollte, daß Bettler sie bezahlen können, heißt sie "Die Dreigroschenoper".
Ouvertüre
AUSRUFER
Jahrmarkt in Soho. Die Moritat von Mackie Messer.
Moritat von Mackie Messer
AUSRUFER
Und der Haifisch, der hat Zähne.
Und die trägt er im Gesicht,
Und Macheath, der hat ein Messer,
Doch das Messer sieht man nicht.
Ach, es sind des Haifischs Flossen.
Rot, wenn dieser Blut vergießt.
Mackie Messer trägt 'nen Handschuh,
drauf man keine Untat sieht.
An 'nem schönen blauen Sonntag
Liegt ein toter Mann am Strand.
Und ein Mensch geht um die Ecke,
Den man Mackie Messer nennt.
Und Schmul Meier bleibt verschwunden,
Und so mancher reiche Mann,
Und sein Geld hat Mackie Messer,
Dem man nichts beweisen kann.
Jenny Towler ward gefunden
Mit 'nem Messer in der Brust.
Und am Kai geht Mackie Messer,
Der von allem nichts gewußt.
Und das große Feuer in Soho.
Sieben Kinder und ein Greis.
In der Menge Mackie Messer,
den man nicht fragt und der nichts weiß.
Und die minderjähr'ge Witwe,
Deren Namen jeder weiß,
Wachte auf und war geschändet,
Mackie. welches war dein Preis?
ERSTER AKT
AUSRUFER
Um der zunehmenden Verhärtung der Menschen zu begegnen, hatte der Geschäftsmann Jonathan Jeremiah Peachum einen Laden eröffnet, in dem die Elendesten den Elenden jenes Aussehen erhielten, das zu den immer verstockteren Herzen sprach. Der Morgenchoral des Peachum.
Morgenchoral des Peachum
PEACHUM
Wach auf, du verrotteter Christ!
Mach dich an dein sündiges Leben.
Zeig, was für ein Schurke du bist.
Der Herr wird es dir dann schon geben.
Frau Peachum singt airs dam Nebenzimmer mit.
Verkauf deinen Bruder. du Schuft!
Verschacher dein Eh'weib, du Wicht!
Der Herrgott, für dich ist er Luft?
Er zeigt dir's beim Jüngsten Gericht!
PEACHUM
Frau Peachum! Wo ist deine Tochter?
FRAU PEACHUM
Polly ist nicht nach Hause gekommen. Das Bett ist unberührt.
Anstatt-daß-Song
PEACHUM
Anstatt daß, anstatt daß
Sie zu Hause bleiben und im warmer Bett,
Brauchen sie Spaß, brauchen sir Spaß
Grad als ob man ihnen eine Extrawurst gebraten hätt'.
FRAU PEACHUM
Das ist den Mond über Soho,
Das ist der verdammte "Fühlst-du-mein-Herz-schIagen"-Text.
Das ist das "Wenn du wohingehst, geh ich auch wohin, Jonny!"
Wenn die Liebe anhebt und der Mond noch wächst.
PEACHUM
Anstatt daß, anstatt daß
Sie was täten, was 'nen Sinn hat und 'nen Zweck
Machen sie Spaß, machen sie Spaß
Und verrecken dann natürlich glatt im Dreck.
FRAU PEACHUM
Des ist der Mond über Soho.
Des ist der verdammte "Fühlst-du-mein-Herz-schlagen"-Text.
Das ist das "Wenn du wohingehst, geh ich auch wohin, Jonny!"
Wenn die Liebe anhebt und der Mond noch wächst.
PEACHUM
Was nützt dann der Mond über Soho,
Wo bleibt dann ihr verdammter "Fühlst-du-mein-Herz-schlagen"-Text.
Wo ist dann das "Wenn du wohingehst, geh ich auch wohin. Jonny!"
Wenn die Liebe anhebt und der Mond noch wächst.
AUSRUFER
Tief im Herzen Sohos feiert der Bandit Mackie Messer seine Hochzeit mit Polly Peachum.
MACHEATH
Kann nicht einer mal was singen? Was Ergötzliches? Ich verlange ja keine Oper hier, aber irgend was, was nicht bloß aus Fressen und Zotenreißen besteht, hättet ihr schließlich vorbereiten können.
Hochzeitslied
VIER GANGSTER
Bill Lawgen und Mary Syer
Wurden letzten Mittwoch Mann und Frau.
(Hoch sollen sie leben, hoch, hoch, hoch!)
Als sie drin standen vor dam Standesamt,
Wußte er nicht, woher ihr Brautkleid stammt,
Aber sie wußte seinen Namen nicht genau.
(Hoch!)
Wissen Sie was Ihre Frau treibt? Nein!
Lassen Sie Ihr Lasterleben sein? Nein!
(Hoch sollen sie leben, hoch, hoch, hoch!)
Billy Lawgen sagte neulich mir
Mir genügt ein kleiner Teil von ihr
Das Schwein.
(Hoch!)
MACHEATH
Ist das alles? Kärglich!
POLLY
Meine Herren, wenn keiner etwas vortragen will, dann will ich selber eine Kleinigkeit zum Besten geben, und zwar werde ich ein Mädchen nachmachen, das ich einmal in einer dieser kleinen Vier-Penny-Kneipen in Soho gesehen habe.
Seeräuber-Jenny
POLLY
Meine Herren, heute sehen Sie mich Gläser abwaschen,
Und ich mache das Bett für jeden,
Und Sie geben mir einen Penny,
Und ich bedanke mich schnell,
Und Sie sehen meine Lumpen und dies lumpige Hotel,
Und Sie wissen nicht. mit wem Sie reden.
Aber eines Abends wird ein Geschrei sein am Hafen,
Und man fragt: Was ist das für ein Geschrei?
Und man wird mach lächeln sehn bei meinen Gläsern,
Und man sagt: Was lächelt die dabei?
Und ein Schiff mit acht Segeln
Und mit fünfzig Kanonen
Wird liegen am Kai.
Man sagt: Geh, wisch deine Gläser, mein Kind!
Und man reicht mir den Penny hin,
Und der Penny wird genommen,
Und das Bett wird gemacht.
Es wird keiner mehr drin schlafen in dieser Nacht.
Und Sie wissen immer noch nicht, wer ich bin.
Aber eines Abends wird ein Getös sein am Hafen,
Und man fragt: Was ist das für ein Getös?
Und man wird mich stehen sehn bei meinem Fenster,
Und man sagt: Was lächelt die so bös?
Und das Schiff mit acht Segeln
Und mit fünfzig Kanonen
Wird beschießen die Stadt.
Und es werden kommen hundert gen Mittag an Land
Und werden in den Schatten treten
Und fangen einen jeglichen vor jeglicher Tur
Und legen ihn in Ketten und bringen ihn vor mir,
Und fragen: Welchen sollen wir töten?
Und an diesem Mittag wird es still sein am Hafen
Wenn man fragt: Wer wohl sterben muß.
Und dann werden Sie mich sagen hören: Alle!
Und wenn dann den Kopf fällt, sag ich: Hoppla!
Und das Schiff mit acht Segeln
Und mit fünfzig Kanonen
Wird entschwinden mit mir…
GANGSTER
Polente! Der Sheriff selbst! Tiger-Brown!
MACHEATH
Ja, Londons oberster Sheriff ist es, der Pfeiler von Old Bailey, der jetzt hereintreten wird in Captn Macheaths armselige Hütte! Jackie, erinnerst du dich, wie wir bei der Armee in Indien dienten? Ach, Jackie, singen wir gleich das Kanonenlied!
Kanonen-Song
MACHEATH
John war darunter und Jim war dabei,
BROWN
Und Georgie ist Sergeant geworden,
MACHEATH
Doch, die Armee, sie frägt keinen, wer er sei,
BROWN
Und marschierte hinauf nach dam Norden.
BEIDE
Soldaten wohnen
Auf den Kanonen
Vom Cap bis Couch-Behar,
Wenn es mal regnete
Und es begegnete
Ihnen 'ne neue Rasse,
'ne braune oder blasse,
Dann machen sie vielleicht daraus ihr Beefsteak Tartar.
MACHEATH
Johnny war der Whisky zu warm,
BROWN
Und Jimmy hatte nie genug Decken,
MACHEATH
Aber Georgie nahm beide beim Arm
BROWN
Und sagte: Die Armee kann nicht verrecken.
BEIDE
Soldaten wohnen usw.
MACHEATH
John ist gestorben und Jimmy ist tot,
BROWN
Und Georgie ist vermißt und verdorben.
MACHEATH
Aber Blut ist immer noch rot,
BROWN
Für die Armee wird jetzt wieder geworben!
BEIDE
Soldaten wohnen usw.
AUSRUFER
Liebeslied.
Liebeslied
MACHEATH
Siehst du den Mond über Soho?
POLLY
Ich seh ihn, Lieber.
Fühlst du mein Herz schlagen, Geliebter?
MACHEATH
Ich fühl es. Geliebte.
POLLY
Wo du hingehst, will auch ich hingehn.
MACHEATH
Und wo du bleibst, da will auch ich sein.
BEIDE
Und gibt es kein Schriftstück vom Standesamt,
Und keine Blumen auf dem Altar,
Und weißt du (weiß ich) auch nicht, woher dein (mein) Brautkleid stammt,
Und gibt's keine Myrthe im Haar.
Der Teller, von welchem du issest dein Brot,
Schau ihn nicht lang an, wirf ihn fort.
Die Liebe dauert oder dauert nicht
An dem oder jenem Ort.
AUSRUFER
Für Peachum, der die Härte der Welt kennt, bedeutet der Verlust seiner Tochter dasselbe wie vollkommener Ruin.
FRAU PEACHUM
Geheiratet? Erst behängt man sie hinten und vorn mit Kleidern und Hüten und Handschuhen und Sonnenschirmen, und wenn sie soviel gekostet hat wie ein Segelschiff, dann wirft sie sich auf den Mist wie eine faule Gurke!
Barbara-Song
POLLY
Einst glaubte ich, als ich noch unschuldig war,
Und das war ich einst grad so wie du —
Vielleicht kommt auch zu mir einmal einer,
Und dann muß ich wissen, was ich tu.
Und wenn er Geld hatte,
Und wenn er nett war,
Und sein Kragen war auch werktags rein,
Und wenn er wußte, was sich bei einer Dame schickt,
Da sagte ich ihm: "Nein".
Da behält man seinen Kopf oben,
Und man bleibt ganz allgemein.
Sicher schien der Mond die ganze Nacht,
Sicher wird das Boot am Ufer festgemacht,
Aber weiter kann nichts sein.
Ja, da kann man sich doch nicht nun hinlegen,
Ja, da muß man kalt und herzlos sein.
Ja, da könnte so viel geschehen,
Ja, da gibt's überhaupt nur: Nein.
Der erste, der kam, war ein Mann aus Kent,
Der war, wie ein Mann sein soll.
Der zweite, der hatte drei Schiffe im Hafen,
Der dritte war nach mir toll.
Und als sie Geld hatten,
Und als sie nett waren,
Und ihr Kragen war auch werktags rein,
Und als sie wußten, was sich bei einer Dame schickt,
Da sagte ich ihnen: Nein.
Da behielt ich meinen Kopf oben,
Und ich blieb ganz allgemein.
Sicher schien der Mond die ganze Nacht,
Sicher ward das Boot am Ufer festgemacht,
Aber welter konnte nichts sein.
Ja, da kann man sich doch nicht nun hinlegen,
Ja, da mußt' ich kalt und herzlos sein.
Ja, da könnte so viel geschehen,
Aber da gab's überhaupt nur: Nein.
Jedoch eines Tags, und der Tag, der war blau,
Kam einer, der mich nicht bat,
Und er hängte seinen Hut an den Nagel in meiner Kammer,
Und ich wußte nicht mehr, was ich tat.
Und als er kein Geld hatte,
Und als er nicht nett war,
Und sein Kragen war auch am Sonntag nicht rein,
Und als er nicht wußte, was sich bei einer Dame schickt,
Zu ihm sagte ich nicht: Nein.
Da behielt ich meinen Kopf nicht oben,
Und ich blieb nicht allgemein.
Ach, es schien der Mond die ganze Nacht,
Und es ward das Boot am Ufer losgemacht,
Und es konnte gar nicht anders sein…
Ja, da mußt' ich mich doch einfach hinlegen,
Ja da konnt' ich doch nicht kalt und herzlos sein.
Ja, da mußte so viel geschehen,
Ja, da gab's überhaupt kein Nein.
PEACHUM
Herr Macheath hat meine Tochter unter dem Vorwand der Verehelichung aus dem elterlichen Hause gelockt. Bevor die Woche herum ist, wird man ihn aus diesem Grunde an den Galgen führer den er verdient hat. Mach dich fertig, wir gehen zu dem Sheriff von London. Frau Peachum, du gehst nach Turnbrige.
FRAU PEACHUM
Zu seinen Huren.
POLLY
Meine Liebe laß ich mir nicht rauben.
FRAU PEACHUM
Noch ein Wort und du kriegst eine Ohrfeige.
POLLY
Die Liebe ist aber doch das Höchste auf den Welt!
AUSRUFER
Erstes Dreigroschen-Finale.
Erstes Dreigroschen-Finale
POLLY
Was ich möchte, ist es viel?
Einmal in dem tristen Leben
Einem Mann mich hinzugeben.
Ist das ein zu hohes Ziel?
PEACHUM
mit der Bibel in den Händen.
Das Recht des Menschen ist's auf dieser Erden,
Da er doch nur kurz lebt, glücklich zu sein,
Teilhaftig aller Lust der Welt zu werden,
Zum Essen Brot zu kriegen und nicht einen Stein.
Dies ist des Menschen nacktes Recht auf Erden.
Doch leider hat man bisher nie vernommen,
Daß etwas recht war, und dann war's auch so.
Wer hätte nicht gern einmal Recht bekommen.
Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so.
FRAU PEACHUM
Wie gern wär ich zu dir gut!
Alles möchte ich dir geben,
Daß du etwas hast vom Leben,
Weil man das doch gerne tut.
PEACHUM
Ein guter Mensch sein? Ja, wer wär's nicht gern?
Sein Gut den Armen geben, warum nicht?
Wenn alle gut sind, ist Sein Reich nicht fern,
Wer säße nicht sehr gern in Seinem Licht?
Ein guter Mensch sein? Ja, wer wär's nicht gern?
Doch leider sind auf diesem Sterne eben
Die Mittel kärglich und die Menschen roh.
Wer möchte nicht in Fried und Eintracht leben?
Doch die Verhältnisse. sie send nicht so!
POLLY, FRAU PEACHUM
Da hat er eben leider recht.
Die Welt ist arm, der Mensch ist schlecht.
PEACHUM
Natürlich hab ich leider recht,
Die Welt ist arm, der Mensch ist schlecht.
Wer wollt' auf Erden nicht ein Paradies?
Doch die Verhältnisse, gestatten sie's?
Nein, sie gestatten's eben nicht.
Dein Bruder, welcher an dir hangt,
Wenn halt für zwei das Fleisch nicht langt,
Tritt er dir eben in's Gesicht.
Beständig sein? Wer wollt' es nicht
Und deine Frau, die an dir hangt,
Wenn deine Liebe ihr nicht langt,
Tritt sie dir eben in's Gesicht.
Und dankbar sein! Wer wollt' es nicht?
Und doch, dein Kind, das an dir hangt,
Wenn dir das Altersbrot nicht langt,
Tritt es dir eben in's Gesicht.
Und dankbar sein! Wer wollt' es nicht?
POLLY, FRAU PEACHUM
Ja, das ist eben schade,
Das ist das riesig Fade.
Die Welt ist arm, der Mensch ist schlecht.
Da hat er eben leider recht.
PEACHUM
Natürlich hab ich leider recht,
Die Welt ist arm, der Mensch ist schlecht.
Wir wären gut — anstatt so roh,
Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so.
POLLY, FRAU PEACHUM
Ja, dann ist's eben nichts damit.
Dann ist das eben alles Kitt
PEACHUM
Die Welt ist arm, der Mensch ist schlecht.
Da hab ich eben leider recht!
ALLE DREI
Und das ist eben schade,
Das ist das riesig Fade,
Und damit ist es nichts damit,
Und darum ist das alles Kitt.