ZWEITER AKT
AUSRUFER
Mackie Messer nimmt Abschied von seiner Frau, um vor seinem Schwiegervater auf das Moor von Highgate zu fliehen.
Melodram
POLLY
Ach, Mac, reiß mir nicht das Herz aus dem Leibe. Bleibe bei mir and laß uns glücklich sein.
MACHEATH
Ich muß mir ja selber das Herz aus dem Leibe reißen, denn ich muß fort, und niemand weiß, wann ich wiederkehre.
POLLY
Es hat so kurz gedauert, Mac.
MACHEATH
Hört es denn auf?
POLLY
Ach, gestern hatte ich einen Traum. Da sah ich aus dem Fenster and hörte ein Gelächter in der Gasse, und wie ich hinaussah, sah ich unseren Mond, und der Mond war ganz dünn, wie ein Penny, der schon abgegriffen ist. Vergiß mich nicht, Mac, in den fremden Städten.
MACHEATH
Sicher vergesse ich dich nicht, Polly. Küß mich, Polly.
POLLY
Adieu, Mac
MACHEATH
Adieu. Polly.
Ab, singt hinter der Szene.
Die Liebe dauert oder dauert nicht
An dem oder jenem Ort.
Pollys Lied
POLLY
Und er kommt doch nicht wieder.
Hübsch als es währte
Und nun ist's vorüber
Reiß aus dein Herz
Sag "Goodbye", mein Lieber!
Was nützt all dein Jammer -
Leih, Maria, dein Ohr mir! -
Wenn meine Mutter selber
Wußte all das vor mir?
Glocken.
Jetzt zieht die Königin in dieses London ein
Wo werden wir am Tag der Krönung sein!
AUSRUFER
Die Krönungsglocken waren noch nicht verklungen und Mackie Messer saß bei den Huren in Turnbridge!
Zwischenspiel
FRAU PEACHUM
Also, wenn ihr Mackie Messer in den nächsten Tagen seht, lauft ihr zu nächsten Konstabler und zeigt ihn an, dafür bekommt ihr zehn Schillinge.
JENNY
Aber werden wir ihn denn sehen, wenn die Konstabler hinter ihm her sind? Wenn die Jagt auf ihn anfängt, wird er sich doch nicht mit uns seine Zeit vertreiben.
FRAU PEACHUM
Ich sage dir, Jenny, und wenn ganz London hinter ihm her ist, Macheath ist nicht der Mann, der seine Gewohnheiten deswegen aufgibt.
Ballade von der sexuellen Hörigkeit
FRAU PEACHUM
Da ist nun einer schon der Satan selber
Der Metzger: er! Und alle andern Kälber!
Der frechste Hund! Der schlimmste Hurentreiber!
Wer kocht ihn ab, der alle abkocht? Weiber.
Das fragt nicht, ob er will, er ist bereit.
Das ist die sexuelle Hörigkeit.
Er glaubt nicht an die Bibel, nicht an's B.G.B.
Er meint, er ist der größte Egoist
Weiß, daß wer'n Weib sieht, schon verschoben ist.
Und läßt kein Weib in seine Näh:
Er soll den Tag nicht vor dem Abend loben
Denn vor es Nacht wird, liegt er wieder droben.
So mancher Mann sah manchen Mann verrecken:
Ein großer Geist blieb in 'ner Hure stecken!
Und die's mit ansahn, was sie sich auch schwuren -
Als sie verreckten, wer begrub sie? Huren.
Das fragt nicht, ob sie wolln, sie sind bereit.
Das ist die sexuelle Hörigkeit.
Der hält sich an die Bibel, der an's B.G.B.
Ein Mann ein Christ! Ein Jud, ein Anarchist!
Am Mittag zwingt men sich, daß man nicht Sell'rie frißt.
Nachmittags weiht man sich noch 'ner Idee.
Am Abend sagt man: mit mir geht's nach oben
Und vor es Nacht wird, liegt man wieder droben.
Da steht nun einer fast schon unterm Galgen
Der Kalk ist schon gekauft, ihn einzukalken
Sein Leben hängt an einem brüchigen Fädchen
Und was hat er im Kopf, der Bursche? Mädchen.
Schon unterm Galgen ist er noch bereit.
Das ist die sexuelle Hörigkeit.
Er ist shon sowieso verkauft mit Haut und Haar
Er hat in ihrer Hand den Judaslohn gesehn
Und sogar er beginnt nun zu verstehn
Daß ihm des Weibes Loch das Grabloch war.
Und er mag wüten gegen sich und toben -
Bevor es Nacht wird, liegt er wieder droben.
MACHEATH
Meine Damen, lange bevor mein Stern über dieser Stadt aufging, lebte ich in den dürftigsten Verhältnissen mit einer von Ihnen: Jenny, die mir die liebste war von den Mädchen.
Zuhälter-Ballade
MACHEATH
In einer Zeit, die jetzt vergangen ist
Lebten wir schon zusammen, sie und ich
Die Zeit liegt fern wie hinter einem Rauch.
Ich schützte sie, und sie ernährte mich.
Es geht such anders, doch so geht es auch.
Und wenn ein Freier kam, kroch ich aus unserm Bett
Und drückte mich zu meinem Kirsch und war sehr nett
Und wenn er blechte, sprach ich zu ihm: Herr
Wenn Sie mal wieder wollen — bitte sehr.
So hielten wir's um gutes halbes Jahr
In dem Bordell, wo unser Haushalt war.
JENNY
In jener Zeit, die jetzt vergangen ist,
War er mein Freund und ich ein junges Ding.
Und wenn kein Zaster war, hat er mich angehaucht
Da hieß es gleich: du, ich versetz dir deinen Ring.
Ein Ring, ganz gut, doch ohne geht es auch.
Da wurde ich aber tückisch, na ja, weißte!
Ich fragt ihn manchmal direkt, was er sich erdreiste.
Da hat er mir aber eins ins Zahnfleisch gelangt
Da bin ich manchmal direkt drauf erkrankt!
Das war so schön in diesem halben Jahr,
In dem Bordell, wo unser Haushalt war.
BEIDE
In jener Zeit, die jetzt vergangen ist
MACHEATH
Die aber doch nicht ganz so trüb wie jetzt war
JENNY
Wenn man auch nur bei Tag zusammenlag
MACHEATH
Da sie ja, wie gesagt, nachts meist besetzt war!
(Nachts ist es üblich, doch geht's auch bei Tag!)
JENNY
War ich dann auch einmal hops von dir.
MACHEATH
Da machten wir's s dann so: dann lag ich unter ihr
JENNY
Weil er das Kind nicht schon im Leib erdrücken wollte
MACHEATH
Das aber doch dann in die Binsen gehen sollte.
BEIDE
Und dann war aus auch bald das halbe Jahr
In dem Bordell, wo unser Haushalt war.
AUSRUFER
Die Huren verraten Macheath.
JENNY
Meine Herren, heut sehen Sie mich Gläser abwaschen
Und ich mache das Bett für jeden.
Und Sie geben mir einen Penny und ich bedanke mich schnell
Und Sie sehen meine Lumpen and dies lumpige Hotel
Und Sie wissen nicht, mit wem Sie reden.
Aber eines Tags wird ein Geschrei sein am Hafen
Und man fragt: Was ist das für ein Geschrei?
Und man wird mich lächeln sehn bei meinen Gläsern
Und man sagt: Was lächelt die dabei?
Und ein Schiff mit acht Segeln
Und mit fünfzig Kanonen
Wird liegen am Kai.
Man sagt: Geh, wisch deine Gläser, mein Kind!
Und man reicht mir den Penny hin.
Und der Penny wird genommen und das Bett wird gemacht.
(Es wird keiner mehr drin schlafen in dieser Nacht)
Und Sie wissen immer noch nicht, wer ich bin.
Aber eines Tags wird ein Getös sein am Hafen
Und man fragt: Was ist das für ein Getös?
Und man wird mich stehen sehn bei meinem Fenster,
Und man sagt: Was lächelt die so bös?
Und das Schiff mit acht Segeln
Und mit fünfzig Kanonen
Wird beschießen die Stadt.
MeineHerren, da wird wohl Ihr Lachen aufhören
Denn die Mauern werden fallen hin
Und die Stadt wird gemacht dem Erdbodn gleich
Nur ein lumpige Hotel wird verschont von jedem Streich
Und man fragt: Wer wohnt Besonderer darin?
Und in dieser Nacht wird ein Geschrei um das Hotel sein
Und man fragt: Warum wird das Hotel verschont?
Und man wird mich sehen treten aus der Tür gen Morgen
Und man sagt: Die hat darin gewohnt?
Und das Schiff mit acht Segeln
Und mit fünfzig Kanonen
Wird beflaggen den Mast.
Und es werden kommen hundert gen Mittag an Land
Und werden in den Schatten treten
Und fangen einen jeglichen vor jeglicher Tür
Und legen in Ketten und bringen vor mir
Und fragen: Welchen sollen wir töten?
Und an diesem Mittag wird es still sein am Hafen
Wenn man fragt, wer wohl sterben muß.
Und dann werden Sie mich sagen hören: Alle!
Und wenn dann der Kopf fällt, sag ich: Hoppla!
Und das Schiff mit acht Segeln
Und mit fünfzig Kanonen
Wird entschwinden mit mir.
Ballade vom angenehmen Leben
MACHEATH
Ihr Herrn, urteilt jetzt selbst, Ist das ein Leben?
Ich finde nicht Geschmack an alledem.
Als kleines Kind schon hörte ich mit Beben:
Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm!
Da preist man uns das Leben großer Geister
Das lebt mit einem Buch and nichts im Magen
In einer Hütte, daran Ratten nagen.
Mir bleibe man vom Leib mit solchem Kleister!
Das simple Leben lebe, wer da mag!
Ich habe (unter uns) genug davon.
Kein Vögelchen von hier bis Babylon
Vertrüge diese Kost nur einen Tag.
Was hilft da Freiheit? Es ist nicht bequem.
Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm!
Die Abenteurer mit dem kühnen Wesen
Und ihrer Gier, die Haut zum Markt zu tragen
Die stets so frei sind und die Wahrheit sagen
Damit die Spießer etwas Kühnes lesen:
Wenn man sie sieht, wie das am Abend friert
Mit kalter Gattin stumm zu Bette geht
Und horcht, ob niemand klatscht und nichts versteht
Und trostlos in das Jahr fünftausend stiert.
Jetzt frag ich Sie nur noch: Ist das bequem?
Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm!
Ich selber könnte mich durchaus begreifen
Wenn ich mich lieber groß und einsam sähe
Doch sah ich solche Leute aus der Nähe
Da sagt ich mir: Das mußt du dir verkneifen.
Armut bringt außer Weisheit auch Verdruß
Und Kühnheit außer Ruhm auch bittre Mühn.
Jetzt warst du arm und einsam, weis und kühn
Jetzt machst du aber mit der Größe aber Schluß.
Dann löst sich ganz von selbst das Glücksproblem:
Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm!
AUSRUFER
Macheath wird durch die Liebe eines anderen Weibes aus dem Gefängnis befreit.
LUCY
Du gemeiner Schuft, du. Du glaubst also, ich wisse nichts von der Geschichte mit Fräulein Peachum!
POLLY
Wo ist mein Mann? Oh, Mac, da bist du ja. Schau doch nicht weg, du brauchst dich nicht zu schämen vor mir. Ich bin doch deine Frau.
LUCY
Was hast du dir denn da ausgesucht?
Eifersuchts-Duett
LUCY
Komm heraus, du Schönheit von Soho!
Zeig doch mir mal deine schönen Beine!
POLLY
Bitte sehr!
LUCY
Ich möchte auch mal was Schönes sehen
Denn so schön wie du gibt es doch keine!
POLLY
Gibt's auch nicht!
LUCY
Du sollst ja auf meinen Mac solch einen Eindruck machen!
POLLY
Soll ich das, soll ich das?
LUCY
Na, da muß ich aber wirklich lachen.
POLLY
Mußt du das, mußt du das?
LUCY
Ha, das wäre ja gelacht!
POLLY
So, das wär' also gelacht?
LUCY
Wenn sich Mac aus dir was macht!
POLLY
Wenn sich Mac aus mir was macht?
LUCY
Ha ha ha ha ha! Mit so einer
Befaßt sich sowieso keiner.
POLLY
Na, das werden wir ja sehn.
LUCY
Ja, das werden wir ja sehn.
BEIDE
Mackie und ich, wir lebten wie die Tauben
Er liebt nur mich, das laß ich mir nicht rauben.
Da muß ich schon so frei sein
Das kann doch nicht vorbei sein
Wenn da so 'n Mistvieh auftaucht!
Lächerlich!
POLLY
Ach, man nennt mich Schönheit von Soho
Und man sagt, ich hab so schöne Beine.
LUCY
Meinst du die?
POLLY
Man will ja auch mal was Schönes sehen
Und man sagt, so schön gibt es nur eine.
LUCY
Du Dreckhaufen!
POLLY
Selber Dreckhaufen!
Ich soll ja auf meinen Mann so einen Eindruck machen.
LUCY
Sollst du das? Sollst du das?
POLLY
Ja, da kann ich eben wirklich lachen.
LUCY
Kannst du das? Kannst du das?
POLLY
Ja, das wäre auch gelacht!
LUCY
Ach, das wär ja auch gelacht?
POLLY
Wenn sich wer aus mir nichts macht.
LUCY
Wenn sich wer aus dir nichts macht!
POLLY
Meinen Sie nicht auch: mit so einer
Befaßt sich sowieso keiner?
LUCY
Na, das werden wir ja sehn.
POLLY
Ja, das werden wir ja sehn.
BEIDE
Mackie and ich usw.
Arie der Lucy
LUCY
Eifersucht! Wut, Liebe
Und Furcht zugleich reißen mich in Stücke.
Vom Sturm hin und her geworfen
Vom Kummer zerbrochen.
Das Rattengift steht bereit! Seit gestern kommt sie alle paar Stunden her, um mich zu sprechen.
Oh dieses falsche Aas!
Wahrscheinlich will sie sich an meiner Verzweiflung weiden!
O Welt! O Menschen!
Wie seid ihr schlecht!
Diese Dame kennt mich noch nicht. Meinen Gin wird sie nicht trinken, damit sie nachher mit ihrem Mackie lustig sein kann.
Sie stirbt durch meinen Gin!
Sie stirbt durch meinen Gin!
Sie stirbt! Sie stirbt!
Ja, hier!
Hier will ich sie sich winden sehen!
Ich rette ihm das Leben
Und diese Person soll den Rahm abschöpfen?
Wenn ich dieses Mensch vergifte
Dann kann die Welt aufatmen.
AUSRUFER
Macheath ist entkommen. Peachum rüstet zum Aufbruch. Durch eine Demonstration beabsichtigt er, den Krönungszug zu stören.
PEACHUM
Als der ägyptische König Ramses der Zweite gestorben war, ließ sich der Polizeihauptmann von Ninive, beziehungsweise Kairo, irgendeine Kleinigkeit gegen die untersten Schichten der Bevölkerung zu Schulden kommen. Die Folgen waren schon damals fürchterlich. Der Krönungszug der Thronfolgerin Semiramis wurde, wie's in den Geschichtsbüchern heißt, >>durch die allzu lebhafte Beteiligung der untersten Schichten der Bevölkerung zu einer Kette von Katastrophen<<. Die Historiker sind außer sich vor Entsetzen, wie furchtbar sich Semiramis ihrem Polizeihauptmann gegenüber benahm. Der Herr sei mit Ihnen, Brown.
AUSRUFER
Zweites Dreigroschen-Finale.
Zweites Dreigroschen-Finale
MACHEATH
Ihr Herrn, die ihr uns lehrt, wie man brav leben
Und Sünd und Missetat vermeiden kann
Zuerst müßt ihr uns was zu fressen geben
Dann könnt ihr reden: damit fängt es an.
Ihr, die ihr euren Wanst und unsre Bravheit liebt
Das eine wisset ein für allemal:
Wie ihr es immer dreht und wie ihr's immer schiebt
Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.
Erst muß es möglich sein auch armen Leuten
Vom großen Brotlaib sich ihr Teil zu schneiden.
STIMME HINTER DER SZENE
Denn wovon lebt der Mensch?
MACHEATH
Denn wovon lebt der Mensch? Indem er stündlich
Den Menschen peinigt, auszieht, anfällt, abwürgt und frißt.
Nur dadurch lebt der Mensch, daß er so gründlich
Vergessen kann, daß er ein Mensch doch ist.
CHOR
Ihr Herren, bildet euch nur da nichts ein:
Der Mensch lebt nur von Missetat allein!
FRAU PEACHUM
Ihr lehrt uns, wann ein Weib die Röcke heben
Und ihre Augen einwärts drehen kann.
Zuerst müßt ihr uns was zu fressen geben
Dann könnt ihr reden: damit fängt es an.
Ihr, die auf unsre Scham und eure Lust besteht
Das eine wisset ein für allemal:
Wie ihr es immer schiebt und wie ihr's immer dreht
Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.
Erst muß es möglich sein auch armen Leuten
Vom großen Brotlaib sich ihr Teil zu schneiden.
STIMME HINTER DER SZENE
Denn wovon lebt der Mensch?
FRAU PEACHUM
Denn wovon lebt der Mensch? usw.
CHOR
Ihr Herren, bildet euch nur da nichts ein:
Der Mensch lebt nur von Missetat allein!