Der alte finstre Diener stürzt, gefolgt von drei andern Dienern, aus dem Hof lautlos herein, wirft sich vor Orest nieder, küsst seine Füsse, die andern Orests Hände und den Saum seines Gewandes

ELEKTRA
kaum ihrer mächtig:
Wer bist du denn? Ich fürchte mich.

OREST
sanft:
Die Hunde auf dem Hof erkennen mich,
und meine Schwester nicht?

ELEKTRA
aufschreiend:
Orest!

ELEKTRA
ganz leise, bebend:
Orest! Orest! Orest!
Es rührt sich niemand. O lass deine Augen
mich sehn! Traumbild, mir geschenktes
Traumbild, schöner als alle Träume.
Hehres, unbegreifliches, erhabenes Gesicht,
o bleib bei mir! Lös nicht
in Luft dich auf, vergeh mir nicht, vergeh mir nicht,
es sei denn, das ich jetzt gleich
sterben muss und du dich anzeigst
und mich hollen kommst: dann sterb ich
seliger als ich gelebt. Orest! Orest! Orest!
Nein, du sollst mich nicht umarmen!
Tritt weg, ich schäme mich vor dir. Ich weiss nicht,
wie du mich ansiehst.
Ich bin nur mehr der Leichnam deiner Schwester,
mein armes Kind. Ich weiss, es schaudert dich
vor mir. Und war doch eines Königs Tochter!
Ich glaube, ich war schön: wenn ich die Lampe
ausblies vor meinem Spiegel, fühlt ich
es mit keuschem Schauer.
Ich fühlt' es, wie der dünne Strahl des Mondes
in meines Körpers weisser Nacktheit badete
so wie in einem Weiher, und mein Haar
war solches Haar, vor dem die Männer zittern,
dies Haar, versträhnt, beschmutzt, erniedrigt,
verstehst du's, Bruder? Ich habe alles, was ich war,
hingeben müssen. Meine Scham hab' ich geopfert,
die Scham, die süsser als Alles ist, die Scham,
die wie der Silberdunst, der milchige des Monds,
um jedes Weib herum ist und das Grässliche
von ihr und ihrer Seele weghält,
Verstehst du's, Bruder! diese süssen Schauder
hab' ich dem Vater opfern müssen. Meinst du,
wenn ich an meinem Leib mich freute, drangen
seine Seufzer, drang nicht sein Stöhnen
an mein Bette? Eifersüchtig sind
die Toten: und er schickte mir den Hass,
den hohläugigen Hass als Bräutigam.
So bin ich eine Prophetin immerfort gewesen
und habe nichts hervorgebracht aus mir
und meinem Leib als Flüche und Verzweiflung.
Was schaust du ängstlich um dich? sprich zu mir!
sprich doch! Du zitterst ja am ganzen Leib!

OREST
Lass zittern diesen Leib.
Er ahnt welchen Weg ich ihn führe.

ELEKTRA
Du wirst es tun? Allein? Du armes Kind.

OREST
Die diese Tat mir auferlegt,

ELEKTRA
Du wirst es tun!

OREST
die Götter, werden da sein, mir zu helfen.
Ich will es tun,
ich will es eilig tun.

ELEKTRA
Der ist selig,
der tun darf! Die Tat ist wie ein Bette,
auf dem die Seele ausruht, wie ein Bett
von Balsam, drauf die Seele ruhen kann,
die eine Wunde ist, ein Brand, ein Eiter
und eine Flamme!

OREST
Ich werde es tun! Ich werde es tun!

ELEKTRA
Der ist selig, der seine Tat zu tun kommt,
selig der, der ihn ersehnt, selig der ihn erschaut!
Selig, wer ihn erkennt, selig, wer ihn berührt!
Selig, wer ihm das Beil aus der Erde gräbt,
selig, wer ihm die Fakkel hält, selig,
selig, wer ihm öffnet die Tür.

Der Pfleger Orests steht in der Hoftür, ein starker Greis mit blitzenden Augen

DER PFLEGER DES OREST
Seid ihr von Sinnen, dass ihr euren Mund
nicht bändigt, wo ein Hauch, ein Laut, ein Nichts
uns und das Werk verderben kann --
Zu Orest in fliegender Eile
Sie wartet drinnen. Ihre Mägde suchen
nach dir. Es ist kein Mann im Haus. Orest!

Orest reckt sich auf, seinen Schauder bezwingend. Die Tür des Hauses erhellt sich. Es erscheint eine Dienerin mit einer Fackel, hinter ihr die Vertraute. Elektra ist zurückgesprungen, steht im Dunkel. Die Vertraute verneigt sich gegen die beiden Fremden, winkt, ihr hinein zu folgen. Die Dienerin befestigt die Fackel an einem eisernen Ring im Türpfosten. Orest und der Pfleger gehen hinein. Orest schliesst einen Augenblick, schwindelnd, die Augen, der Pfleger ist dicht hinter ihm, sie tauschen einen schnellen Blick. Die Tür schliesst sich hinter ihnen

ELEKTRA
allein, in entsetzlicher Spannung. Sie läuft auf einem Strich vor der Tür hin und her, mit gesenkten Kopf, wie das gefangene Tier im Käfig. Steht plötzlich still
Ich habe ihm das Beil nicht geben können!
Sie sind gegangen und ich habe ihm
das Beil nicht geben können. Es sind keine
Götter im Himmel!

Abermals ein furchtbares Warten. Von ferne tönt drinnen, gellend, der Schrei Klytämnestras.

ELEKTRA
schreit auf wie ein Dämon:
Triff noch einmal!

Von drinnen ein zweiter Schrei. Aus dem Wohngebäude links kommen Chrysothemis und eine Schar Dienerinnen heraus. Elektra steht in der Tür, mit dem Rücken an die Tür gepresst

CHRYSOTHEMIS
Es muss etwas geschehen sein.

ERSTE MAGD
Sie schreit
so aus dem Schlaf.

ZWEITE MAGD
Es müssen Männer drin sein.
Ich habe Männer gehen hören.

DRITTE MAGD
Alle Türen sind verriegelt.

VIERTE MAGD
Es sind Mörder!
Es sind Mörder im Haus!

ERSTE MAGD
schreit auf:
Oh!

ZWEITE und DRITTE MAGD, sechs andere DIENERINEN
Was ist?

ERSTE MAGD
Seht ihr denn nicht: dort in der Tür steht einer!

CHRYSOTHEMIS
Das ist Elektra! das ist ja Elektra!

ERSTE, ZWEITE, DRITTE und VIERTE MAGD
Elektra, Elektra!

ERSTE UND ZWEITE MAGD
Warum spricht sie denn nicht?

CHRYSOTHEMIS
Elektra,
warum sprichst du denn nicht?

VIERTE MAGD
Ich will hinaus
und Männer holen.
Läuft rechts hinaus

CHRYSOTHEMIS
Mach uns doch die Tür auf,
Elektra! Elektra!

6 DIENERINNEN
Elektra, lass uns in's Haus!

VIERTE MAGD
zurückkommend:
Zurück!
Aegisth! Zurück in unsre Kammern! schnell!
Aegisth kommt durch den Hof! Wenn er uns findet
und wenn im Hause was geschehen ist,
lässt er uns töten.

6 DIENERINNEN
Aegisth!

ERSTE, ZWEITE und DRITTE MAGD
Aegisth!

CHRYSOTHEMIS
Zurück!

ALLE
zurück! zurück!

Sie verschwinden im Hause links. Aegisth tritt rechts durch die Hoftür auf

AEGISTH
an der Tür stehend bleibend:
He! Lichter! Lichter!
Ist niemand da, zu leuchten? Rührt sich keiner
von allen diesen Schuften? Kann das Volk
mir keine Zucht annehmen!

ELEKTRA
nimmt die Fackel von dem Ring, läuft hinunter, ihm entgegen, und verneigt sich vor ihm

AEGISTH
erschrickt vor der wirren Gestalt im zuckenden Licht,weicht zurück:
Was ist das für ein unheimliches Weib?
Ich hab' verboten, dass ein unbekanntes
Gesicht mir in die Nähe kommt!
Erkennt sie, zornig.
Was, du?
Wer heisst dich, mir entgegentritten?

ELEKTRA
Darf ich
nicht leuchten?

AEGISTH
Nun, dich geht die Neuigkeit
ja doch vor allen an. Wo find' ich
die fremden Männer, die das von Orest
uns melden?

ELEKTRA
Drinnen. Eine liebe Wirtin
fanden sie vor, und sie ergetzen sich
mit ihr.

AEGISTH
Und melden also wirklich, dass er
gestorben ist, und melden so, dass nicht
zu zweifeln ist?

ELEKTRA
O Herr, sie melden's nicht
mit Worten bloss, nein, mit leibhaftigen Zeichen,
an denen auch kein Zweifel möglich ist.

AEGISTH
Was hast du in der Stimme? Und was ist
in dich gefahren, dass du nach dem Mund
mir redest? Was taumelst du so hin
und her mit deinem Licht!

ELEKTRA
Es ist nichts anderes,
als dass ich endlich klug ward und zu denen
mich halte, die die Stärkern sind. Erlaubst du,
dass ich voran dir leuchte?

AEGISTH
etwas zaudernd
Bis zur Tür.
Was tanzest du? Gib Obacht.

ELEKTRA
indem sie ihn, wie in einem unheimlichen Tanz, umkreist, sich plötzlich tief bückend:
Hier! die Stufen,
dass du nicht fällst.

AEGISTH
an der Haustür:
Warum ist hier kein Licht?
Wer sind die dort?

ELEKTRA
Die sind's, die in Person
dir aufzuwarten wünschen, Herr. Und ich,
die so oft durch freche unbescheidne Näh'
dich störte, will nun endlich lernen, mich
im rechten Augenblick zurückzuziehen.

Aegisth geht ins Haus. Stille. Lärm drinnen.

AEGISTH
erscheint an einem kleinen Fenster, reisst den Vorhang weg, schreiend:
Helft! Mörder! helft dem Herren! Mörder, Mörder!
Sie morden mich!
Hört mich niemand? hört
mich niemand?
Er wird weggezerrt. Noch einmal erscheint Aegisths Gesicht am Fenster

ELEKTRA
reckt sich auf:
Agamemnon hört dich!

AEGISTH
er wird fortgerissen:
Weh mir!

Elektra steht, furchtbar atmend, gegen das Haus gekehrt. Die Frauen kommen von links herausgelaufen, Chrysothemis unter ihnen. Wie besinnungslos laufen sie gegen die Hoftür. Dort machen sie plötzlich Halt, wenden sich

CHRYSOTHEMIS
Elektra! Schwester! komm mit uns! O komm
mit uns! es ist der Bruder drin im Haus!
es ist Orest, der es getan hat!

Stimmen hinter der Scene im Hause Orest! Orest! Orest! Getümmel im Hause, Stimmengewirr, aus dem sich ab und zu die Rufe des Chors: "Orest" bestimmter abheben

Komm!
Er steht im Vorsaal, alle sind um ihn,
und küssen seine Füsse, alle, die
Aegisth von Herzen hassten, haben sich
geworfen auf die andern, überall
in allen Höfen liegen Tote, alle,
die leben, sind mit Blut bespritzt und haben
selbst Wunden, und doch strahlen alle, alle
umarmen sich --
Draussen wachsender Lärm, der sich jedoch, wenn Elektra beginnt, mehr und mehr nach den äusseren Höfen rechts und im Hintergrunde verzogen hat. die Frauen sind hinausgelaufen, Chrysothemis allein, von draussen fällt Licht herein
und jauchzen, tausend Fackeln
sind angezündet. Hörst du nicht, so hörst du
denn nicht?

ELEKTRA
auf der Schwelle kauernd:
Ob ich nicht höre? ob ich die
Musik nicht höre? sie kommt doch aus mir.
Die Tausende, die Fackeln tragen
und deren Tritte, deren uferlose
Myriaden Tritte überall die Erde
dumpf dröhnen machen, alle warten
auf mich: ich weiss doch, dass sie alle warten,
weil ich den Reigen führen muss, und ich
kann nicht, der Ozean, der ungeheure,
der zwanzigfache Ozean begräbt
mir jedes Glied mit seiner Wucht, ich kann mich
nicht heben!

CHRYSOTHEMIS
fast schreiend vor Erregung:
Hörst du denn nicht, sie tragen ihn,
sie tragen ihn auf ihren Händen,

ELEKTRA
springt auf. Vor sich hin, ohne auf Chrysothemis zu achten
Wir sind bei den Göttern, wir Vollbringenden.
Sie fahren dahin wie die Schärfe des Schwerts
durch uns, die Götter,

CHRYSOTHEMIS
allen
sind die Gesichter verwandelt, allen
schimmern die Augen und die alten Wangen
von Tränen! Alle weinen, hörst du's nicht?

ELEKTRA
aber ihre Herrlichkeit
ist nicht zu viel für uns! Ich habe Finsternis
gesät und ernte Lust über Lust.

CHRYSOTHEMIS
Gut sind die Götter,
gut!

ELEKTRA
Ich war ein schwarzer Leichnam unter Lebenden,

CHRYSOTHEMIS
Es fängt ein Leben für dich und mich und alle Menschen an.

ELEKTRA
und diese Stunde bin ich das Feuer des Lebens,
und meine Flamme verbrenn die Finsternis der Welt.

CHRYSOTHEMIS
Die über schwänglich guten Götter sind's,
die das geben haben.

ELEKTRA
Mein Gesicht muss weisser sein
als das weissglüh'nde Gesicht des Monds.

CHRYSOTHEMIS
Wer hat uns je geliebt?

ELEKTRA
Wenn einer auf mich sieht,
muss er den Tod empfangen oder muss vergehn
vor Lust.

CHRYSOTHEMIS
Wer hat uns je geliebt?

ELEKTRA
Seht ihr
denn mein Gesicht? Seht ihr das Licht,
das von mir ausgeht?

CHRYSOTHEMIS
Nun ist der Bruder da,
und Liebe fliesst über uns wie Öl und Myrrhen.
Liebe ist Alles! Wer kann leben ohne Liebe?

ELEKTRA
Ai! Liebe tötet, aber keiner fährt dahin
und hat die Liebe nicht gekannt!

CHRYSOTHEMIS
Elektra,
ich muss bei meinem Bruder stehn!
Sie läuft hinaus

Elektra schreitet von der Schwelle herunter. Sie hat den Kopf zurückgeworfen wie eine Mänade. Sie wirft die Kniee, sie reckt die Arme aus, es ist ein namenloser Tanz, in welchem sie nach vorwärts schreitet

CHRYSOTHEMIS
erscheint wieder an der Tür, hinter ihr Fackeln, Gedräng, Gesichter von Männern und Frauen:
Elektra!

ELEKTRA
bleibt stehen, sieht starr auf sie hin:
Schweig, und tanze. Alle müssen
herbei! hier schliesst euch an! Ich trage die Last
des Glückes, und ich tanze vor euch her.
Wer glücklich ist wie wir, dem ziemt nur eins:
schweigen und tanzen!

Sie tut noch einige Schritte des angespanntesten Triumphes... Elektra stürzt zusammen. Chrysothemis zu ihr. Elektra liegt starr

CHRYSOTHEMIS
läuft an die Tür des Hauses, schlägt daran:
Orest! Orest!

Stille

Vorhang
Der alte finstre Diener stürzt, gefolgt von drei andern Dienern, aus dem Hof lautlos herein, wirft sich vor Orest nieder, küsst seine Füsse, die andern Orests Hände und den Saum seines Gewandes

ELEKTRA
kaum ihrer mächtig:
Wer bist du denn? Ich fürchte mich.

OREST
sanft:
Die Hunde auf dem Hof erkennen mich,
und meine Schwester nicht?

ELEKTRA
aufschreiend:
Orest!

ELEKTRA
ganz leise, bebend:
Orest! Orest! Orest!
Es rührt sich niemand. O lass deine Augen
mich sehn! Traumbild, mir geschenktes
Traumbild, schöner als alle Träume.
Hehres, unbegreifliches, erhabenes Gesicht,
o bleib bei mir! Lös nicht
in Luft dich auf, vergeh mir nicht, vergeh mir nicht,
es sei denn, das ich jetzt gleich
sterben muss und du dich anzeigst
und mich hollen kommst: dann sterb ich
seliger als ich gelebt. Orest! Orest! Orest!
Nein, du sollst mich nicht umarmen!
Tritt weg, ich schäme mich vor dir. Ich weiss nicht,
wie du mich ansiehst.
Ich bin nur mehr der Leichnam deiner Schwester,
mein armes Kind. Ich weiss, es schaudert dich
vor mir. Und war doch eines Königs Tochter!
Ich glaube, ich war schön: wenn ich die Lampe
ausblies vor meinem Spiegel, fühlt ich
es mit keuschem Schauer.
Ich fühlt' es, wie der dünne Strahl des Mondes
in meines Körpers weisser Nacktheit badete
so wie in einem Weiher, und mein Haar
war solches Haar, vor dem die Männer zittern,
dies Haar, versträhnt, beschmutzt, erniedrigt,
verstehst du's, Bruder? Ich habe alles, was ich war,
hingeben müssen. Meine Scham hab' ich geopfert,
die Scham, die süsser als Alles ist, die Scham,
die wie der Silberdunst, der milchige des Monds,
um jedes Weib herum ist und das Grässliche
von ihr und ihrer Seele weghält,
Verstehst du's, Bruder! diese süssen Schauder
hab' ich dem Vater opfern müssen. Meinst du,
wenn ich an meinem Leib mich freute, drangen
seine Seufzer, drang nicht sein Stöhnen
an mein Bette? Eifersüchtig sind
die Toten: und er schickte mir den Hass,
den hohläugigen Hass als Bräutigam.
So bin ich eine Prophetin immerfort gewesen
und habe nichts hervorgebracht aus mir
und meinem Leib als Flüche und Verzweiflung.
Was schaust du ängstlich um dich? sprich zu mir!
sprich doch! Du zitterst ja am ganzen Leib!

OREST
Lass zittern diesen Leib.
Er ahnt welchen Weg ich ihn führe.

ELEKTRA
Du wirst es tun? Allein? Du armes Kind.

OREST
Die diese Tat mir auferlegt,

ELEKTRA
Du wirst es tun!

OREST
die Götter, werden da sein, mir zu helfen.
Ich will es tun,
ich will es eilig tun.

ELEKTRA
Der ist selig,
der tun darf! Die Tat ist wie ein Bette,
auf dem die Seele ausruht, wie ein Bett
von Balsam, drauf die Seele ruhen kann,
die eine Wunde ist, ein Brand, ein Eiter
und eine Flamme!

OREST
Ich werde es tun! Ich werde es tun!

ELEKTRA
Der ist selig, der seine Tat zu tun kommt,
selig der, der ihn ersehnt, selig der ihn erschaut!
Selig, wer ihn erkennt, selig, wer ihn berührt!
Selig, wer ihm das Beil aus der Erde gräbt,
selig, wer ihm die Fakkel hält, selig,
selig, wer ihm öffnet die Tür.

Der Pfleger Orests steht in der Hoftür, ein starker Greis mit blitzenden Augen

DER PFLEGER DES OREST
Seid ihr von Sinnen, dass ihr euren Mund
nicht bändigt, wo ein Hauch, ein Laut, ein Nichts
uns und das Werk verderben kann --
Zu Orest in fliegender Eile
Sie wartet drinnen. Ihre Mägde suchen
nach dir. Es ist kein Mann im Haus. Orest!

Orest reckt sich auf, seinen Schauder bezwingend. Die Tür des Hauses erhellt sich. Es erscheint eine Dienerin mit einer Fackel, hinter ihr die Vertraute. Elektra ist zurückgesprungen, steht im Dunkel. Die Vertraute verneigt sich gegen die beiden Fremden, winkt, ihr hinein zu folgen. Die Dienerin befestigt die Fackel an einem eisernen Ring im Türpfosten. Orest und der Pfleger gehen hinein. Orest schliesst einen Augenblick, schwindelnd, die Augen, der Pfleger ist dicht hinter ihm, sie tauschen einen schnellen Blick. Die Tür schliesst sich hinter ihnen

ELEKTRA
allein, in entsetzlicher Spannung. Sie läuft auf einem Strich vor der Tür hin und her, mit gesenkten Kopf, wie das gefangene Tier im Käfig. Steht plötzlich still
Ich habe ihm das Beil nicht geben können!
Sie sind gegangen und ich habe ihm
das Beil nicht geben können. Es sind keine
Götter im Himmel!

Abermals ein furchtbares Warten. Von ferne tönt drinnen, gellend, der Schrei Klytämnestras.

ELEKTRA
schreit auf wie ein Dämon:
Triff noch einmal!

Von drinnen ein zweiter Schrei. Aus dem Wohngebäude links kommen Chrysothemis und eine Schar Dienerinnen heraus. Elektra steht in der Tür, mit dem Rücken an die Tür gepresst

CHRYSOTHEMIS
Es muss etwas geschehen sein.

ERSTE MAGD
Sie schreit
so aus dem Schlaf.

ZWEITE MAGD
Es müssen Männer drin sein.
Ich habe Männer gehen hören.

DRITTE MAGD
Alle Türen sind verriegelt.

VIERTE MAGD
Es sind Mörder!
Es sind Mörder im Haus!

ERSTE MAGD
schreit auf:
Oh!

ZWEITE und DRITTE MAGD, sechs andere DIENERINEN
Was ist?

ERSTE MAGD
Seht ihr denn nicht: dort in der Tür steht einer!

CHRYSOTHEMIS
Das ist Elektra! das ist ja Elektra!

ERSTE, ZWEITE, DRITTE und VIERTE MAGD
Elektra, Elektra!

ERSTE UND ZWEITE MAGD
Warum spricht sie denn nicht?

CHRYSOTHEMIS
Elektra,
warum sprichst du denn nicht?

VIERTE MAGD
Ich will hinaus
und Männer holen.
Läuft rechts hinaus

CHRYSOTHEMIS
Mach uns doch die Tür auf,
Elektra! Elektra!

6 DIENERINNEN
Elektra, lass uns in's Haus!

VIERTE MAGD
zurückkommend:
Zurück!
Aegisth! Zurück in unsre Kammern! schnell!
Aegisth kommt durch den Hof! Wenn er uns findet
und wenn im Hause was geschehen ist,
lässt er uns töten.

6 DIENERINNEN
Aegisth!

ERSTE, ZWEITE und DRITTE MAGD
Aegisth!

CHRYSOTHEMIS
Zurück!

ALLE
zurück! zurück!

Sie verschwinden im Hause links. Aegisth tritt rechts durch die Hoftür auf

AEGISTH
an der Tür stehend bleibend:
He! Lichter! Lichter!
Ist niemand da, zu leuchten? Rührt sich keiner
von allen diesen Schuften? Kann das Volk
mir keine Zucht annehmen!

ELEKTRA
nimmt die Fackel von dem Ring, läuft hinunter, ihm entgegen, und verneigt sich vor ihm

AEGISTH
erschrickt vor der wirren Gestalt im zuckenden Licht,weicht zurück:
Was ist das für ein unheimliches Weib?
Ich hab' verboten, dass ein unbekanntes
Gesicht mir in die Nähe kommt!
Erkennt sie, zornig.
Was, du?
Wer heisst dich, mir entgegentritten?

ELEKTRA
Darf ich
nicht leuchten?

AEGISTH
Nun, dich geht die Neuigkeit
ja doch vor allen an. Wo find' ich
die fremden Männer, die das von Orest
uns melden?

ELEKTRA
Drinnen. Eine liebe Wirtin
fanden sie vor, und sie ergetzen sich
mit ihr.

AEGISTH
Und melden also wirklich, dass er
gestorben ist, und melden so, dass nicht
zu zweifeln ist?

ELEKTRA
O Herr, sie melden's nicht
mit Worten bloss, nein, mit leibhaftigen Zeichen,
an denen auch kein Zweifel möglich ist.

AEGISTH
Was hast du in der Stimme? Und was ist
in dich gefahren, dass du nach dem Mund
mir redest? Was taumelst du so hin
und her mit deinem Licht!

ELEKTRA
Es ist nichts anderes,
als dass ich endlich klug ward und zu denen
mich halte, die die Stärkern sind. Erlaubst du,
dass ich voran dir leuchte?

AEGISTH
etwas zaudernd
Bis zur Tür.
Was tanzest du? Gib Obacht.

ELEKTRA
indem sie ihn, wie in einem unheimlichen Tanz, umkreist, sich plötzlich tief bückend:
Hier! die Stufen,
dass du nicht fällst.

AEGISTH
an der Haustür:
Warum ist hier kein Licht?
Wer sind die dort?

ELEKTRA
Die sind's, die in Person
dir aufzuwarten wünschen, Herr. Und ich,
die so oft durch freche unbescheidne Näh'
dich störte, will nun endlich lernen, mich
im rechten Augenblick zurückzuziehen.

Aegisth geht ins Haus. Stille. Lärm drinnen.

AEGISTH
erscheint an einem kleinen Fenster, reisst den Vorhang weg, schreiend:
Helft! Mörder! helft dem Herren! Mörder, Mörder!
Sie morden mich!
Hört mich niemand? hört
mich niemand?
Er wird weggezerrt. Noch einmal erscheint Aegisths Gesicht am Fenster

ELEKTRA
reckt sich auf:
Agamemnon hört dich!

AEGISTH
er wird fortgerissen:
Weh mir!

Elektra steht, furchtbar atmend, gegen das Haus gekehrt. Die Frauen kommen von links herausgelaufen, Chrysothemis unter ihnen. Wie besinnungslos laufen sie gegen die Hoftür. Dort machen sie plötzlich Halt, wenden sich

CHRYSOTHEMIS
Elektra! Schwester! komm mit uns! O komm
mit uns! es ist der Bruder drin im Haus!
es ist Orest, der es getan hat!

Stimmen hinter der Scene im Hause Orest! Orest! Orest! Getümmel im Hause, Stimmengewirr, aus dem sich ab und zu die Rufe des Chors: "Orest" bestimmter abheben

Komm!
Er steht im Vorsaal, alle sind um ihn,
und küssen seine Füsse, alle, die
Aegisth von Herzen hassten, haben sich
geworfen auf die andern, überall
in allen Höfen liegen Tote, alle,
die leben, sind mit Blut bespritzt und haben
selbst Wunden, und doch strahlen alle, alle
umarmen sich --
Draussen wachsender Lärm, der sich jedoch, wenn Elektra beginnt, mehr und mehr nach den äusseren Höfen rechts und im Hintergrunde verzogen hat. die Frauen sind hinausgelaufen, Chrysothemis allein, von draussen fällt Licht herein
und jauchzen, tausend Fackeln
sind angezündet. Hörst du nicht, so hörst du
denn nicht?

ELEKTRA
auf der Schwelle kauernd:
Ob ich nicht höre? ob ich die
Musik nicht höre? sie kommt doch aus mir.
Die Tausende, die Fackeln tragen
und deren Tritte, deren uferlose
Myriaden Tritte überall die Erde
dumpf dröhnen machen, alle warten
auf mich: ich weiss doch, dass sie alle warten,
weil ich den Reigen führen muss, und ich
kann nicht, der Ozean, der ungeheure,
der zwanzigfache Ozean begräbt
mir jedes Glied mit seiner Wucht, ich kann mich
nicht heben!

CHRYSOTHEMIS
fast schreiend vor Erregung:
Hörst du denn nicht, sie tragen ihn,
sie tragen ihn auf ihren Händen,

ELEKTRA
springt auf. Vor sich hin, ohne auf Chrysothemis zu achten
Wir sind bei den Göttern, wir Vollbringenden.
Sie fahren dahin wie die Schärfe des Schwerts
durch uns, die Götter,

CHRYSOTHEMIS
allen
sind die Gesichter verwandelt, allen
schimmern die Augen und die alten Wangen
von Tränen! Alle weinen, hörst du's nicht?

ELEKTRA
aber ihre Herrlichkeit
ist nicht zu viel für uns! Ich habe Finsternis
gesät und ernte Lust über Lust.

CHRYSOTHEMIS
Gut sind die Götter,
gut!

ELEKTRA
Ich war ein schwarzer Leichnam unter Lebenden,

CHRYSOTHEMIS
Es fängt ein Leben für dich und mich und alle Menschen an.

ELEKTRA
und diese Stunde bin ich das Feuer des Lebens,
und meine Flamme verbrenn die Finsternis der Welt.

CHRYSOTHEMIS
Die über schwänglich guten Götter sind's,
die das geben haben.

ELEKTRA
Mein Gesicht muss weisser sein
als das weissglüh'nde Gesicht des Monds.

CHRYSOTHEMIS
Wer hat uns je geliebt?

ELEKTRA
Wenn einer auf mich sieht,
muss er den Tod empfangen oder muss vergehn
vor Lust.

CHRYSOTHEMIS
Wer hat uns je geliebt?

ELEKTRA
Seht ihr
denn mein Gesicht? Seht ihr das Licht,
das von mir ausgeht?

CHRYSOTHEMIS
Nun ist der Bruder da,
und Liebe fliesst über uns wie Öl und Myrrhen.
Liebe ist Alles! Wer kann leben ohne Liebe?

ELEKTRA
Ai! Liebe tötet, aber keiner fährt dahin
und hat die Liebe nicht gekannt!

CHRYSOTHEMIS
Elektra,
ich muss bei meinem Bruder stehn!
Sie läuft hinaus

Elektra schreitet von der Schwelle herunter. Sie hat den Kopf zurückgeworfen wie eine Mänade. Sie wirft die Kniee, sie reckt die Arme aus, es ist ein namenloser Tanz, in welchem sie nach vorwärts schreitet

CHRYSOTHEMIS
erscheint wieder an der Tür, hinter ihr Fackeln, Gedräng, Gesichter von Männern und Frauen:
Elektra!

ELEKTRA
bleibt stehen, sieht starr auf sie hin:
Schweig, und tanze. Alle müssen
herbei! hier schliesst euch an! Ich trage die Last
des Glückes, und ich tanze vor euch her.
Wer glücklich ist wie wir, dem ziemt nur eins:
schweigen und tanzen!

Sie tut noch einige Schritte des angespanntesten Triumphes... Elektra stürzt zusammen. Chrysothemis zu ihr. Elektra liegt starr

CHRYSOTHEMIS
läuft an die Tür des Hauses, schlägt daran:
Orest! Orest!

Stille

Vorhang

(libretto: Hugo von Hofmannsthal)

最終更新:2009年10月07日 23:06