DRITTER AKT
ERSTE SZENE
Mariens Stube. Es ist Nacht. Kerzenlicht. Marie sitzt am Tisch, blättert in der Bibel; das Kind in der Nähe. Sie liest in der Bibel
MARIE
Und ist kein Betrug in seinem Munde erfunden worden« ...
Herr-Gott! Herr-Gott! Sieh' mich nicht an!
blättert weiter
»Aber die Pharisäer brachten ein Weib zu ihm, so im Ehebruch lebte. Jesus aber sprach: "So verdamme ich dich auch nicht, geh' hin, und sündige hinfort nicht mehr." «
Herr-Gott!
schlägt die Hände vors Gesicht. Das Kind drängt sich an Marie.
Der Bub' gibt mir einen Stich in's Herz.
Fort!
stösst das Kind von sich
Das brüst' sich in der Sonne!
plötzlich milder
Nein, komm, komm her!
zieht das Kind an sich
Komm zu mir!
»Es war einmal ein armes Kind und hatt' keinen Vater und keine Mutter ... war Alles tot und war Niemand auf der Welt, und es hat gehungert und geweint Tag und Nacht. Und weil es Niemand mehr hatt' auf der Welt ... «
Der Franz ist nit kommen, gestern nit, heut' nit ...
blättert hastig in der Bibel
Wie steht es geschrieben von der Magdalena? ...
»Und kniete hin zu seinen Füssen und weinte und küsste seine Füsse und netzte sie mit Tränen und salbte sie mit Salben.«
schlägt sich auf die Brust
Heiland! Ich möchte Dir die Füsse salben!
Heiland! Du hast Dich ihrer erbarmt,
erbarme Dich auch meiner!
Verwandlung - Orchester-Nachspiel
ZWEITE SZENE
Waldweg am Teich. Es dunkelt. Marie kommt mit Wozzeck von rechts.
MARIE
Dort links geht's in die Stadt.
's ist noch weit. Komm schneller!
WOZZECK
Du sollst dableiben, Marie.
Komm, setz' Dich.
MARIE
Aber ich muss fort.
WOZZECK
Komm.
sie setzen sich
Bist weit gegangen, Marie.
Sollst Dir die Füsse nicht mehr wund laufen.
's ist still hier!
Und so dunkel. -
Weisst noch, Marie, wie lang' es jetzt ist, dass wir uns kennen?
MARIE
Zu Pfingsten drei Jahre.
WOZZECK
Und was meinst, wie lang' es noch dauern wird?
MARIE
springt auf
Ich muss fort.
WOZZECK
Fürchst Dich, Marie?
Und bist doch fromm?
lacht
Und gut! Und treu!
zieht sich wieder auf den Sitz; neigt sich, wieder ernst, zu Marie
Was Du für süsse Lippen hast, Marie!
küsst sie
Den Himmel gäb' ich drum und die Seligkeit,
wenn ich Dich noch oft so küssen dürft!
Aber ich darf nicht!
Was zitterst?
MARIE
Der Nachttau fällt.
WOZZECK
flüstert vor sich hin
Wer kalt ist, den friert nicht mehr!
Dich wird beim Morgentau nicht frieren.
MARIE
Was sagst Du da?
WOZZECK
Nix.
Langes Schweigen. Der Mond geht auf.
MARIE
Wie der Mond rot aufgeht!
WOZZECK
Wie ein blutig Eisen!
zieht ein Messer
MARIE
Was zitterst?
springt auf
Was willst?
WOZZECK
Ich nicht, Marie!
Und kein Andrer auch nicht!
packt sie an und stösst ihr das Messer in den Hals
MARIE
Hilfe!
sinkt nieder. Wozzeck beugt sich über sie.
Marie stirbt.
WOZZECK
Tot!
richtet sich scheu auf und stürzt geräuschlos davon
Verwandlung - Orchester-Uberleitung (H)
DRITTE SZENE
Eine Schenke. Nacht. Schwaches Licht. Dirnen, unter ihnen Margret, und Burschen tanzen eine wilde Schnellpolka. Wozzeck sitzt an einem der Tische.
WOZZECK
Tanzt Alle; tanzt nur zu, springt, schwitzt und stinkt, es holt Euch doch noch einmal der Teufel!
stürzt ein Glas Wein hinunter; den Klavierspieler überschreiend
Es ritten drei Reiter wohl an den Rhein,
Bei einer Frau Wirtin da kehrten sie ein.
Mein Wein ist gut, mein Bier ist klar,
Mein Töchterlein liegt auf der ...
Verdammt!
springt auf
Komm, Margret!
tanzt mit Margret ein paar Sprünge. Bleibt plötzlich stehen
Komm, setz Dich her, Margret!
führt sie an seinen Tisch und zieht sie auf seinen Schoss nieder
Margret, Du bist so heiss
drückt sie an sich; lässt sie los
Wart nur, wirst auch kalt werden!
Kannst nicht singen?
MARGRET
vom Klavierspieler auf der Bühne begleitet, singt
In's Schwabenland, da mag ich nit,
Und lange Kleider trag ich nit,
Denn lange Kleider, spitze Schuh,
Die kommen keiner Dienstmagd zu.
WOZZECK
auffahrend
Nein! keine Schuh, man kann auch blossfüssig in die Höll' geh'n! Ich möcht heut raufen, raufen ...
MARGRET
Aber was hast Du an der Hand?
WOZZECK
Ich? Ich?
MARGRET
Rot! Blut!
WOZZECK
Blut? Blut?
Es stellen sich Leute um sie.
MARGRET
Freilich ... Blut!
WOZZECK
Ich glaub', ich hab' mich geschnitten, da an der rechten Hand ...
MARGRET
Wie kommt's denn zum Ellenbogen?
WOZZECK
Ich hab's daran abgewischt.
BURSCHEN
Mit der rechten Hand am rechten Arm?
WOZZECK
Was wollt Ihr? Was geht's Euch an?
MARGRET
Puh! Puh! Da stinkt's nach Menschenblut!
WOZZECK
Bin ich ein Mörder?
BURSCHEN
Blut, Blut, Blut, Blut!
DIRNEN
Freilich, da stinkt's nach Menschenblut!
WOZZECK
Platz! oder es geht wer zum Teufel!
stürzt hinaus
Verwandlung - Orchester-Nachspiel
VIERTE SZENE
Waldweg am Teich. Mondnacht wie vorher. Wozzeck kommt schnell herangewankt. Bleibt suchend stehen.
WOZZECK
Das Messer? Wo ist das Messer? Ich hab's dagelassen ...
Näher, noch näher.
Mir graut's!
Da regt sich was.
Still! Alles still und tot ...
Mörder! Mörder! Ha! Da ruft's. Nein, ich selbst.
wankt suchend ein paar Schritte weiter und stösst auf die Leiche
Marie! Marie!
Was hast Du für eine rote Schnur um den Hals?
Hast Dir das rote Halsband verdient,
wie die Ohrringlein, mit Deiner Sünde!
Was hängen Dir die schwarzen Haare so wild?
Mörder! Mörder!
Sie werden nach mir suchen ...
Das Messer verrät mich!
sucht fieberhaft
Da, da ist's
am Teich
So! Da hinunter
wirft das Messer hinein
Es taucht ins dunkle Wasser wie ein Stein.
Der Mond bricht blutrot hinter den Wolken hervor. Wozzeck blickt auf
Aber der Mond verrät mich ... der Mond ist blutig.
Will denn die ganze Welt es ausplaudern?! -
Das Messer, es liegt zu weit vorn, sie finden's beim Baden oder wenn sie nach Muscheln tauchen.
geht in den Teich hinein
Ich find's nicht ...
Aber ich muss mich waschen.
Ich bin blutig. Da ein Fleck ... und noch einer.
Weh! Weh! ich wasche mich mit Blut!
Das Wasser ist Blut ... Blut ...
Er ertrinkt.
Der Doktor tritt auf, der Hauptmann folgt ihm.
HAUPTMANN
Halt!
DOKTOR
bleibt stehen
Hören Sie? Dort!
HAUPTMANN
Jesus! Das war ein Ton.
bleibt ebenfalls stehen
DOKTOR
auf den Teich zeigend
Ja, dort!.
HAUPTMANN
Es ist das Wasser im Teich.
Das Wasser ruft.
Es ist schon lange Niemand ertrunken.
Kommen Sie, Doktor!
Es ist nicht gut zu hören.
will den Doktor mit sich ziehen
DOKTOR
bleibt aber stehen und lauscht
Das stöhnt als stürbe ein Mensch.
Da ertrinkt jemand!
HAUPTMANN
Unheimlich! Der Mond rot und die Nebel grau.
Hören Sie? jetzt wieder das Ächzen.
DOKTOR
Stiller ... jetzt ganz still.
HAUPTMANN
Kommen Sie! Kommen Sie schnell.
zieht den Doktor mit sich
Verwandlung - Orchester-Epilog: Invention über eine Tonart
FÜNFTE SZENE
Strasse vor Mariens Tür. Heller Morgen. Sonnenschein. Kinder spielen und lärmen. Mariens Knabe auf einem Steckenpferd reitend.
DIE SPIELENDEN KINDER
Ringel, Ringel, Rosenkranz, Ringelreih'n!
Ringel, Ringel, Rosenkranz, Rin ...
unterbrechen Gesang und Spiel, andere Kinder stürmen herein
EINS VON IHNEN
Du Käthe! ... Die Marie ...
ZWEITES KIND
Was is?
ERSTES KIND
Weisst' es nit? Sie sind schon Alle 'naus.
DRITTES KIND
zu Mariens Knaben
Du! Dein Mutter ist tot!
MARIENS KNABE
immer reitend
Hopp, hopp! Hopp, hopp! Hopp, hopp!
ZWEITES KIND
Wo is sie denn?
ERSTES KIND
Drauss' liegt sie, am Weg, neben dem Teich.
DRITTES
Kommt, anschaun!
Alle Kinder laufen davon.
MARIENS KNABE
reitet
Hopp, hopp! Hopp, hopp! Hopp, hopp!
zögert einen Augenblick und reitet dann den anderen Kindern nach.