ZWEITE SZENE
Sehr eleganter Salon. Hinten Entréetür. Rechts und links Portièren. Zu der linken führen einige Stufen ins Atelier hinein. An einer Wand über dem Kamin in prachtvollem Brokatrahmen Lulus Bild als Pierrot. Vorne links eine Chaiselongue. Rechts ein Schreibtisch. In der Mitte einige Sessel um ein Tischchen.
LULU
im Morgenkleid auf der Chaiselongue, sieht in einen Handspiegel, runzelt die Stirn, fährt mit der Hand darüber, befühlt ihre Wangen und legt mit einem missmutigen, halb zornigen Blick den Spiegel aus der Hand.
DER MALER
einige Briefe in der Hand, tritt von rechts ein
Eva?
LULU
lächelnd
Befehlen?
DER MALER
Die Post ist gekommen.
LULU
wieder ernst, wie ernüchtert
So?!
DER MALER
Die Briefe sortierend, ihr einen reichend
An Dich.
LULU
führt das Billett zur Nase
Die Corticelli.
Birgt es an ihrem Busen
DER MALER
einen Brief durchfliegend
Dein Bild als "Tänzerin" verkauft - für 50.000 Mark!
LULU
Wer schreibt denn das?
DER MALER
Der Kunsthändler in Paris. Das ist das dritte Bild seit unserer Verheiratung.
Ich weiss mich vor meinem Glück kaum zu retten.
LULU
auf die Briefe deutend
Da kommt noch mehr.
DER MALER
eine Verlobungsanzeige öffnend
Sieh da!
gibt sie Lulu
LULU
liest
Herr Regierungsrat Heinrich Ritter von Zarnikow beehrt sich, Ihnen von der Verlobung seiner Tochter
Charlotte Marie Adelaide mit Herrn Dr. Ludwig Schön ergebenst Mitteilung zu machen.
DER MALER
während er andere Briefe öffnet
Endlich! Es ist ja eine Ewigkeit, dass er darauf lossteuert, sich vor der Welt zu verloben. Ich begreife nicht, ein Gewaltmensch von seinem Einfluss! Was steht denn eigentlich seiner Heirat im Wege?
Nachdem Lulu nichts sagt, die Briefe zusammenfaltend
Jedenfalls müssen wir heute noch gratulieren.
LULU
Das haben wir doch längst getan.
DER MALER
Seiner Braut wegen!
LULU
Du kannst es ihm ja noch einmal schreiben.
DER MALER
Und jetzt zur Arbeit.
Küsst Lulu, geht zur Portière links, die ins Atelier führt, wendet sich aber nochmals um.
Eva!
LULU
lächelnd
Befehlen?
DER MALER
Zurückkommend
Ich finde, Du siehst heute reizend aus.
Dein Haar atmet eine Morgenfrische.
LULU
Ich komme aus dem Bad.
DER MALER
Mir ist täglich, als sehe ich Dich zum allererstenmal.
Sinkt vor der Chaiselongue in die Knie, liebkost ihre Hand.
LULU
Du bist schrecklich!
DER MALER
Du bist schuld.
LULU
Du vergeudest mich!
DER MALER
Du bist ja mein, ich habe nichts mehr, seit ich Dich hab'.
Ich bin mir vollständig abhanden gekommen.
Beugt sich noch mehr über Lulu.
LULU
Sei nicht so aufgeregt.
Es läutet draussen an der Eingangstür eine elektrische Klingel.
DER MALER
sich aufrichtend
Verwünscht, es läutet!
LULU
mit einem schwachen Versuch, ihn zurückzuhalten
Bleib! Es ist ja niemand zuhause!
Wir machen ganz einfach nicht auf!
DER MALER
Vielleicht ist es aber der Kunsthändler…
LULU
Und wenn es der Kaiser von China wär'!
DER MALER
Einen Moment
ab
LULU
allein, in einem verzückt träumenden Zustand...visionär
Du..., Du...
schliesst die Augen - Wie zu sich kommend, mit deutlichen Anzeichen der Entspannung, richtet sich langsam auf
DER MALER
zurückkommend
Ein Bettler. Ich habe kein Kleingeld bei mir. - Es ist auch höchste Zeit, dass ich an die Arbeit gehe.
Nach links ins Atelier ab.
LULU
wieder allein, ordnet ein wenig ihre Toilette, streicht das Haar zurück und geht zur Eingangstür, ins Vorzimmer hinauswinkend
SCHIGOLCH
ein gebrechlicher, asthmatischer Greis, von Lulu hereingeführt
Den hab ich mir auch ganz anders vorgestellt; mehr Nimbus!
LULU
Wie kannst Du ihn auch anbetteln?
Rückt ihm einen Sessel zurecht.
SCHIGOLCH
Deswegen bin ich ja gekommen.
LULU
Wieviel brauchst Du?
Geht an den Schreibtisch und kramt in den Schubladen.
SCHIGOLCH
Zweihundert, wenn Du soviel flüssig hast. Meinetwegen auch dreihundert.
LULU
zu sich
Bin ich müde...
SCHIGOLCH
sich umsehend
Nun hätte ich aber auch lange schon gerne gesehen,
wie es jetzt so bei Dir zuhause aussieht.
LULU
gibt ihm zwei Scheine
Wie findest Du's?
SCHIGOLCH
sich umblickend
So hab' ich es für Dich gedacht! Es überläuft mich!
Wie bei mir vor fünfzig Jahren, nur moderner. Du hast es weit gebracht! Die Teppiche...
LULU
mit Likörflasche und Gläschen nach vorne kommend und hiebei die Schritte markierend
Ich geh' am liebsten bar-... fuss... drauf...
SCHIGOLCH
Lulus Porträt erblickend
Das bist ja Du, Du, ja Du!
ringt keuchend nach Luft
LULU
Geste der Zustimmung, schenkt zwei Gläschen ein und setzt sich Schigolch gegenüber
Erzähl' mir! Nun?
SCHIGOLCH
nachdem er wieder zu Atem gekommen und einen Schluck getrunken hat
Die Strassen werden immer länger - und die Beine immer kürzer.
LULU
Und die Harmonika?
SCHIGOLCH
Hat falsche Luft, wie ich mit meinem Asthma
Leert sein Glas
Nun erzähl' Du mal! Lange nicht gesehen. Wie geht's Dir denn?
Treibst Du immer noch französisch?
LULU
dumpf
Ich liege - und schlafe...
SCHIGOLCH
Das ist vornehm! Und weiter...
LULU
Und strecke mich, - bis es knackt.
SCHIGOLCH
Und wenn es geknackt hat?
LULU
Was interessiert Dich das?
SCHIGOLCH
Was mich das interessiert? Was mich das interessiert?...
Ich wollte lieber bis zur jüngsten Posaune leben und auf alle himmlischen Freuden Verzicht leisten,als meine Lulu hienieden in Entbehrung zurücklassen,
ihre Knie streichelnd
meine kleine Lulu.
LULU
Dass Du mich Lulu nennst!
SCHIGOLCH
Lulu, nicht? Hab' ich Dich jemals anders genannt?
LULU
Ich heisse seit Menschengedenken nicht mehr Lulu.
Und wie lange ist's her, dass ich tanzte? - Jetzt bin ich ja nur...
SCHIGOLCH
Was bist Du?
LULU
Geste des Schauderns
... ein Tier ...
Die elektrische Klingel draussen ertönt.
LULU
erhebt sich rasch
SCHIGOLCH
versteht, dass er geben muss und erhebt sich schwerfällig
LULU
will ihn geleiten
SCHIGOLCH
Ich finde selbst hinaus.
ab
LULU
ihn begleitend
Leere Bühne
DR. SCHÖN
eintretend, von Lulu gefolgt
Was tut denn Ihr Vater da?
LULU
Was haben Sie?!
DR. SCHÖN
nach vorne kommend
Wenn ich Ihr Mann wäre, käme mir dieser Mensch nicht über die Schwelle.
LULU
Sie können getrost "Du" sagen; er ist nicht hier.
DR. SCHÖN
Ich danke für die Ehre.
LULU
Ich versteh' nicht.
DR. SCHÖN
Das weiss ich!
ihr einen Sessel bietend
Darüber möchte ich nämlich gerne mit Ihnen sprechen.
LULU
sich setzend, etwas unsicher
Warum haben Sie mir denn das nicht gestern gesagt?
DR. SCHÖN
Bitte jetzt nichts von gestern;
ich habe es Ihnen vor zwei Jahren schon gesagt.
LULU
nervös
Ach so!
DR. SCHÖN
Ich bitte Dich, Deine Besuche bei mir einzustellen.
LULU
wieder sicherer geworden
Ach so!
DR. SCHÖN
Wenn Walter nicht so ein Kindergemüt wäre, - -
LULU
Er ist kein Kindergemüt!
DR. SCHÖN
- wäre er Deinen Seitensprüngen schon längst auf die Spur gekommen.
LULU
Er sieht nichts; er sieht mich nicht und sich nicht. Er ist blind, blind, blind...
DR. SCHÖN
Wenn dem die Augen aufgehn!
LULU
Er kennt mich gar nicht. Was bin ich ihm?! Er nennt mich Schätzchen und kleines Vögelchen.
Ich bin ihm nichts als Weib und nichts als Weib. -
DR. SCHÖN
Kommen wir zu Ende!
LULU
Bitte, wie Sie wünschen!
DR. SCHÖN
Ich habe Dich verheiratet. Ich habe Dich zweimal verheiratet. Du lebst in Luxus.
Ich habe Deinem Mann eine Position geschaffen.
Wenn das Dir nicht genügt, und er nichts merkt: Meinetwegen!
Aber lass mich dabei aus dem Spiel.
LULU
Was fürchten Sie denn jetzt noch, wo Sie am Ziel Ihrer Wünsche sind?
DR. SCHÖN
Am Ziel meiner Wünsche! Ich habe mich verlobt. Endlich!
Ich will meine Braut unter ein reines Dach führen.
LULU
Sie ist ja zum Entzücken aufgeblüht -
DR. SCHÖN
Sie sieht einem nicht mehr so ernsthaft durch den Kopf. -
LULU
Trotzdem können wir uns treffen, wo es Ihnen angemessen scheint.
DR. SCHÖN
Wir werden uns nirgends treffen …
LULU
Sie glauben selber nicht an das, was Sie sagen.
DR. SCHÖN
… es sei denn in Gesellschaft Ihres Mannes.
LULU
"Meines Mannes"...
in ganz verändertem Ton
Wenn ich einem Menschen auf dieser Welt angehöre, gehöre ich Ihnen.
Ohne Sie wäre ich - ich, will nicht sagen, wo.
Sie haben mich bei der Hand genommen, mir zu essen gegeben, mich kleiden lassen,
als ich Ihnen die Uhr stehlen wollte. - Glauben Sie, das vergisst sich?
Wer ausser Ihnen auf der ganzen Welt hat je etwas für mich übrig gehabt?
DR. SCHÖN
Lass mich aus dem Spiel! Wenn Du mir verpflichtet bist,
dann wirf Dich mir nicht zum drittenmal in den Weg! -
Was hilft mir Dein Verheiratetsein, wenn man Dich zu jeder Stunde des Tages bei mir ein- und ausgehen sieht. -
Ich habe gehofft: mit einem gesunden jungen Mann, wie ihn sich eine junge Frau nicht besser wünschen kann, wirst Du Dich endlich zufrieden geben.
LULU
Ach so!
DR. SCHÖN
Ich muss endlich zur Ruhe kommen:
meine weit verzweigten Geschäfte verlangen das. Ich werde heiraten...
LULU
Was kann ich gegen Ihre Heirat haben?
DR. SCHÖN
Dann lass mich endlich frei!
LULU
Aber Sie täuschen sich, wenn Sie glauben, dass Sie auf Grund Ihrer Heirat
mir Ihre Verachtung zum Ausdruck bringen dürfen.
DR. SCHÖN
Verachtung? - Wenn etwas verachtenswert ist, so Deine Intriguen.
LULU
Bin ich etwa eifersüchtig auf das Kind?
Das fällt mir gar nicht ein.
DR. SCHÖN
Wieso das Kind? Das Kind ist kaum ein ganzes Jahr jünger als Du.
DER MALER
einen Pinsel in der Hand, links unter der Portière
Was ist denn los?
LULU
zu Schön
Nun reden Sie doch.
DER MALER
Was habt Ihr denn?
LULU
Nichts, was Dich betrifft …
DR. SCHÖN
rasch zu Lulu
Ruhig!
LULU
… man hat mich satt.
DER MALER
führt Lulu nach links zum Ateliereingang
DR. SCHÖN
blättert in einem der Bücher, die auf demTisch liegen. Für sich
Es musste zur Sprache kommen... Ich muss endlich die Hände frei haben...
LULU
rasch ab