DER MALER
wieder nach vorne kommend
Ist denn das eine Art zu scherzen?
DR. SCHÖN
auf einen Sessel deutend
Bitte.
DER MALER
Was ist denn?
DR. SCHÖN
Bitte!
DER MALER
sich setzend
Nun?
DR. SCHÖN
sich ebenfalls setzend
Du hast eine halbe Million geheiratet …
DER MALER
Daraus kann man mir keinen Vorwurf machen.
DR. SCHÖN
Du hast Dir einen Namen geschaffen, Du kannst unbehelligt malen,
Du brauchst Dir keinen Wunsch zu versagen
DER MALER
Was habt Ihr beide gegen mich?
DR. SCHÖN
Du hast eine Frau, die einen Mann verdient, den sie achten kann.
DER MALER
Achtet sie mich denn nicht?
DR. SCHÖN
Nein!
DER MALER
Warum nicht? Sprich! So sprich doch endlich!
DR. SCHÖN
Nimm sie etwas mehr unter Aufsicht.
DER MALER
Ich sie?
DR. SCHÖN
Wir sind keine Kinder, wir tändeln nicht, wir leben...
DER MALER
Was tut sie denn?
DR. SCHÖN
eindringlich
Du hast eine halbe Million geheiratet.
DER MALER
erhebt sich, ausser sich
Sie ... sie …Was tut sie?
DR. SCHÖN
nimmt ihn bei der Schulter und nötigt ihn, sich zu setzen
Bedenke, was Du ihr zu verdanken hast...
DER MALER
Was tut sie - Mensch!
DR. SCHÖN
und dann, ... und dann mach' Dich dafür verantwortlich und nicht sonst jemand.
DER MALER
Mit wem? ... Mit wem?..
DR. SCHÖN
Wenn wir uns schiessen sollten.
DER MALER
endlich verstehend
O Gott! O Gott!
DR. SCHÖN
Kein "O Gott", geschehen ist geschehen! Ich komme nicht hierher, um Skandal zu machen.
Ich komme, um Dich vor dem Skandal zu retten.
DER MALER
Du hast sie nicht verstanden...
DR. SCHÖN
ausweichend
Vielleicht. Aber ich kann Dich in Deiner Blindheit nicht so weiter leben sehen.
Das Mädchen verdient, eine anständige Frau zu sein.
Sie hat sich, seit ich sie kenne, zu ihrem Besten verwandelt.
DER MALER
Seit... Seit Du... seit Du sie kennst? Seit wann kennst Du sie denn?
DR. SCHÖN
Seit ihrem zwölften Jahr.
DER MALER
Davon hat sie mir nichts gesagt.
DR. SCHÖN
Sie verkaufte Blumen vor dem Alhambra-Café,
jeden Abend zwischen zwölf und zwei.
DER MALER
Davon hat sie mir nichts gesagt.
DR. SCHÖN
Daran hat sie recht getan.
DER MALER
Sie sagte, sie sei bei einer Tante aufgewachsen.
DR. SCHÖN
Das war die Frau, der ich sie übergab; sie war die beste Schülerin.
DER MALER
Und woher kannte Dr. Goll sie denn?
DR. SCHÖN
Durch mich. - Es war nach dem Tod meiner Frau,
als ich die ersten Beziehungen zu meiner jetzigen Verlobten anknüpfte.
Sie stellte sich dazwischen. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, meine Frau zu werden.
DER MALER
Und als ihr Mann dann starb?
DR. SCHÖN
Du hast eine halbe Million geheiratet.
DER MALER
von jetzt an mehr und mehr in sich zusammenbrechend
Und dabei sagte sie mir, als ich sie kennen lernte, sie habe noch nie geliebt.
DR. SCHÖN
Bei einer Herkunft, wie sie Mignon hat,
kannst Du unmöglich mit den Begriffen der bürgerlichen Gesellschaft rechnen.
DER MALER
Von wem sprichst Du denn?
DR. SCHÖN
Von Deiner Frau!
DER MALER
Von Eva?
DR. SCHÖN
Ich nannte sie Mignon.
DER MALER
Ich meinte, sie hiesse Nelly.
DR. SCHÖN
So nannte sie Dr. Goll.
DER MALER
Ich nannte sie Eva...
DR. SCHÖN
Wie sie eigentlich hiess, weiss ich nicht.
DER MALER
Sie weiss es vielleicht...
DR. SCHÖN
Bei einem Vater, wie ihn Mignon hat, ist sie ja das helle Wunder!
DER MALER
Er ist im Irrenhaus gestorben.
DR. SCHÖN
Er war ja eben hier.
DER MALER
Wer war da?
DR. SCHÖN
Ihr Vater!
DER MALER
Hier bei mir?
DR. SCHÖN
Er drückte sich, als ich kam. Da stehen ja noch die Gläser...
DER MALER
Alles Lüge!
DR. SCHÖN
ermutigend
Lass Sie Autorität fühlen; sie verlangt nicht mehr,
als unbedingt Gehorsam leisten zu dürfen.
DER MALER
kopfschüttelnd
Sie sagt, er sei im Irrenhaus gestorben...
Sie sagte, sie habe noch nie geliebt...
DR. SCHÖN
Mach mit Dir selber den Anfang! Raff' Dich zusammen!
DER MALER
...geschworen hat sie bei dem Grabe ihrer Mutter...
DR. SCHÖN
Sie hat ihre Mutter nicht gekannt; geschweige das Grab
DER MALER
O Gott! O Gott! O Gott!
DR. SCHÖN
Was hast Du?
DER MALER
Einen fürchterlichen Schmerz...
DR. SCHÖN
Wahr' sie Dir, weil sie Dein ist.
DER MAHLER
auf die Brust deutend
… hier, hier.
DR. SCHÖN
Du hast eine halbe...
DER MALER
Wenn ich weinen könnte!
DR. SCHÖN
Der Moment ist entscheidend...
DER MALER
Oh, wenn ich schreien könnte!
DR. SCHÖN
Sie ist Dir verloren, wenn Du den Augenblick versäumst.
DER MALER
sich erhebend, anscheinend ruhig
Du hast recht …, ganz recht.
DR. SCHÖN
sich ebenfalls erhebend
Wo willst Du hin?
DER MALER
Mit ihr sprechen.
DR. SCHÖN
seine Hand ergreifend
Recht so!
Begleitet ihn zur Tür
DER MALER
ab
DR. SCHÖN
allein zurückkommend
Das war ein Stück Arbeit.
Nach einer Pause nach links schauend
Er hatte sie doch vorher ins Atlier gebracht. .. ?
Fürchterliches Stöhnen von rechts
DR. SCHÖN
eilt an die Tür rechts, findet sie verschlossen
Mach auf! Mach auf!
LULU
links aus der Portière tretend
Was ist.
DR. SCHÖN
Mach auf!
LULU
kommt die Stufen herab
Das ist grauenvoll.
DR. SCHÖN
Hast Du kein Beil in der Küche?
LULU
Er wird schon aufmachen...
DR. SCHÖN
Ich mag sie nicht eintreten.
LULU
Wenn er sich ausgeweint hat.
DR. SCHÖN
Gegen die Tür pochend
Mach auf!
Zu Lulu
Hol mir ein Beil.
Es läutet auf dem Korridor. Lulu und Schön starren sich an.
DR. SCHÖN
schleicht nach hinten, bleibt in der Tür stehen
Ich darf mich jetzt hier nicht sehen lassen.
LULU
Vielleicht der Kunsthändler..
Es läutet wieder
LULU
schleicht nach der Tür
DR. SCHÖN
hält sie auf
Aber wenn wir nicht antworten... Man ist sonst auch nicht immer bei der Hand.
Geht auf Fussspitzen hinaus
LULU
allein, kehrt zu der verschlossenen Tür zurück und horcht
DR. SCHÖN
Alwa hereinführend
Sei bitte ruhig!
ALWA
aufgeregt
In Paris ist Revolution ausgebrochen.
DR. SCHÖN
Sei ruhig!
ALWA
zu Lulu
Sie sind totenbleich...
DR. SCHÖN
an der Tür rüttelnd
Walter, Walter!
LULU
Gott erbarm Dich...
DR. SCHÖN
Wo ist das Beil?
LULU
Wenn eines da ist...
Zögernd nach rechts hinten ab
ALWA
Er mystifiziert uns.
DR. SCHÖN
In Paris ist Revolution ausgebrochen?
ALWA
In der Redaktion weiss keiner, was er schreiben soll!
DR. SCHÖN
gegen die Tür pochend
Walter!
ALWA
Soll ich sie eintreten?
DR. SCHÖN
Das kann ich selbst...
LULU
kommt schnell mit dem Küchenbeil
ALWA
zu Lulu
Geben Sie her!
nimmt es und zwängt es zwischen Pfosten und Türschloss
DR. SCHÖN
Du musst es kräftiger fassen.
ALWA
Es kracht schon.
Die Tür springt aus dem Schloss, er lässt das Beil fallen und taumelt zurück.
LULU
auf die Tür deutend zu Schön
Nach Ihnen.
ALWA
Grässlich...
sinkt auf die Chaiselongue
DR. SCHÖN
weicht zuerst zurück, wischt sich den Schweiss von der Stirn und tritt ein
LULU
Was ist?
nähert sich der Tür; sich am Türpfosten haltend, schreit jäh auf
Oh, Oh,
zu Alwa eilend
Ich kann nicht hierbleiben.
ALWA
Grauenhaft
LULU
Alwa bei der Hand nehmend
Kommen Sie!
ALWA
Wohin?
LULU
Ich kann nicht allein sein...
ALWA
geleitet sie zur Tür links, von wo er - ihr nachblickend - wieder nach vorne kommt
LULU
ab
DR. SCHÖN
von rechts kommend, sich im Zimmer umblickend
Sie ist fort?
ALWA
Auf ihrem Zimmer; sie zieht sich um.
DR. SCHÖN
nach rechts deutend
Da liegt meine Verlobung!
ALWA
Das ist der Fluch Deines Spiels.
DR. SCHÖN
Schrei es durch die Strassen!
ALWA
Hättest Du, als meine Mutter starb, an dem Mädchen anständig gehandelt!
DR. SCHÖN
wie früher
Da verblutet meine Verlobung...
LULU
auf den Stufen links, im Automantel
ALWA
Wo wollen Sie denn hin?
LULU
Hinaus! Ich bleibe nicht länger hier.
DR. SCHÖN
Was willst Du der Polizei sagen?
LULU
Nichts! Sprich Du mit ihr.
DR. SCHÖN
nach rechts deutend, im Ton höchster Empörung
Der Narr! Das ist sein Dank!
ALWA
Mässige Dich, bitte.
LULU
Wir sind unter uns.
ALWA
Und wie!
führt sie zur Chaiselongue
LULU
sich setzend
Es ist ihm wohl ein Licht aufgegangen?
ALWA
ebenfalls Platz nehmend
Er wollte seinem Geschick nichts schuldig bleiben.
LULU
Er hatte immer gleich Todesgedanken.
ALWA
Er hatte, was sich ein Mensch nur erträumen kann.
LULU
Er hat es teuer bezahlt.
ALWA
Er hatte, was wir nicht haben...
LULU
Vor zehn Minuten lag er noch hier.
DR. SCHÖN
der während dieses letzten Dialoges nach hinten gegangen war, wo er telephonierte - man vernahm hie und da die Worte, wie Selbstmord....Hals durchschnitten.., mit dem Rasiermesser … Verfolgungswahn..., ja: Verfolgungswahn... - kommt wieder nach vorne
Jetzt kann ich mich von der Welt zurückziehen.
LULU
Schreiben Sie ein Feuilleton! Geben Sie ein Extrablatt heraus!
DR. SCHÖN
Extrablatt...
indem er plötzlich seine Fassung wieder gewinnt
In Paris ist Revolution ausgebrochen?
ALWA
Unsre Redakteure sind wie vor den Kopf getroffen.
Keiner weiss...
DR. SCHÖN
Das muss mir hinweghelfen. Wenn nur schon die Polizei käme!
Es läutet.
ALWA
Da ist sie
LULU
Ja, das wird sie sein.
DR. SCHÖN
will zur Tür
LULU
Schön zurückhaltend
Warten Sie! Sie haben Blut. Warten Sie, ich wische es weg.
Benetzt ihr Taschentuch mit Parfum und wischt Schön das Blut von der Hand.
DR. SCHÖN
Es ist Deines Gatten Blut.
LULU
Es lässt keine Spuren.
DR. SCHÖN
Ungeheuer!
LULU
Sie heiraten mich ja doch!
Es läutet wieder
LULU
zur Ausgangstür gewendet
Nur Geduld, Kinder!
DR. SCHÖN
geht rasch nach hinten, während der Vorhang rasch fällt.