1
Männerchor:
Der Zar läßt sich photographieren. Der Zar läßt sich photographieren. Der Zar läßt sich photographieren. Der Zar! Der Zar! (Summen)
(Vorhang auf.)
2
(Das Atelier Angéle für Photographie. Spitzwinklig zieht sich der Raum zur Tiefe, hat links das mächtige Fenster, rechts einen breiten Diwan. Auf beiden Seiten vorn weichen die zurück, so entstehen schmale, kurze mit Türen an den Enden. Auf einem halbhohen Lacktisch klingelt das Telefon.)
(Von links kommt der livrierte Boy und hebt den Hörer auf.)
Der Boy:
Hier Atelier Angéle. Wer dort? (in Verwirrung geratend) Wer? Wer? Wer? (fassungslos) Ich werde rufen. (er läßt den Hörer fallen und läuft nach der Tür rechts, die er aufreißt) Romain! Romain!
(Der Gehilfe, in schwarzem Leinenkittel, tritt rechts heraus.)
Der Gehilfe:
Hältst du mich für taub?
Der Boy:
(stammelnd) Am Telefon… Sie müssen sprechen.
Der Gehilfe:
Wer fragt nach mir?
Der Boy:
Sie ruft man nicht.
Der Gehilfe:
Warum muß ich denn kommen?
Der Boy:
Weil dort, weil dort… beeilen Sie sich doch zum Telefon!
Der Gehilfe:
(geht hin, nimmt den Hörer) Hier Atelier. Wer ist denn dort? (sofort verliert er seine Ruhe) Wer ist? Wer ist? Wer ist? Ich werde rufen. (er legt den Hörer schleunigst hin, stürmt nach rechts, rufend) Madame! Madame! Madame!
(Angéle kommt von rechts: schlank, shön, mit einiger Phantastik gekleidet. Der Gehilfe folgt ihr.)
Angéle:
Man schreit nicht so bei mir, Romain. Sie haben peinliche Manieren. Sie bewegen sich in keiner Kaserne. Was haben Sie mir zu sagen? (der Gehilfe holt tief Atem) Leise, leise. Ich habe die besten Ohren der Welt, ich höre Fliegen wispern. Was fällt denn vor?
Der Gehilfe:
(ausbrechend) Sie müssen selbst zum Telefon.
Angéle:
Das Amt des Boy. (sie will sich umwenden)
Der Gehilfe:
Der Boy rief mich. Mir fiel der Hörer weg.
Angéle:
(aufmerksam) Ihr zittert beide!
Der Gehilfe:
(auf den Boy weisend) Der Boy…
Der Boy:
(auf den Gehilfen weisend) Romain…
Der Boy/Der Gehilfe:
Wir beben doch.
(Angéle entschließt sich — tritt an den Lacktisch — nimmt den Hörer auf.)
Angéle:
Hier Atelier Angéle. Wer dort? (sofort lebhaft) Wer? Nein, ich verstehe. Das Hofmarschallamt. Nun bin ich selbst am Telefon… Die Erregung der Angestellten. Diese Ehre verwirrt auch meine Fassung. Wie? Ich hätte eine Bitte ? Nie hätte ich gewagt. Sprechen Sie nicht mehr? Da ist doch wer in der Leitung. Viele Stimmen! Wer redet immer hinein? Wer ist den dort? Wer ist den dort? Halloh! Hier Atelier Angéle. Jetzt sind wir wieder verbunden. Wir waren getrennt.
Der Gehilfe/Der Boy:
Das Hofmarschallamt? Das Hofmarschallamt? Was soll das bedeuten? Was soll das bedeuten?
Angéle:
Zu mir?
Der Gehilfe/Der Boy:
Zu uns?
Angéle:
In zwölf Minuten! Ich werde bereit sein.
Der Gehilfe/Der Boy:
Minuten. Was soll das, was soll das bedeuten?
Angéle:
(sie senkt langsam den Hörer, Gehilfen und Boy ansehend — überwältigt) Der Zar läßt sich photographieren.
Männerchor:
(Summen)
(Stille.)
Angéle:
(sich aufraffend) Den Apparat, Beleuchtung! Halt Romain! Wann hatte ich den Zaren zur Aufnahme eingeladen? Mit einem Brief und noch einem Brief, einer Flut von Briefen? Nicht eine Zeile habe ich geschickt! Was heißt denn das?
Der Gehilfe:
Er wünscht ein Bild von Ihnen. Sie sind in Paris und er verwandelt seinen Wunsch in Ihren Wunsch. Ein Zar läßt immer sich bitten auch wo er begehrt, denn er ist Herrscher von Gottes Gnaden.
Angéle:
Er kommt zu mir, der Zar ins Atelier. Das wird die schönste Stunde meines Lebens sein: einen Zaren vor der Linse. Und morgen wird mein Atelier gestürmt. Ich werde gefeiert wie eine. Ich werde berühmt, berühmt! (zum Gehilfen) Den Apparat in die Mitte. (zum Boy) Den Sessel dorthin. (vor dem Spiegel) Wie seh ich aus? (einen Schal vom Diwan nehmend und sich umtuend) Das ist nicht gut. (sie wirft ihn weg, faßt einen anderen, der über einem Wandschirm hängt) So müßte ich gefallen. (zum Gehilfen) Hol die Kassette. Wir müssen alles vorbereiten. (Gehilfe rechts ab. Zum Boy) Nimm in dem Sessel Platz. Ich stelle vorher ein. (der Boy setzt sich in dem Sessel. Zum Gehilfen, der mit der Kassette kommt) Mehr Licht! (Gehilfe zieht Fenstervorhänge hoch) So kann es bleiben. (zum Boy) Jetzt warst du Zar, mein Boy. Nun bist du wieder Boy, mein Zar. Und wehe dir, wenn du die Tür nicht weit genug vor dem Zaren öffnest. (zum Gehilfen) Sie bleiben noch da hinten. Wenn ich winke, bringen Sie mir dir die Kassette und ziehn sich zurück. Wir wollen es probieren. Wenn es in Minuten klingelt.
(Draußen heftige Klingel.)
Der Boy:
Es hat geklingelt.
Der Gehilfe:
Ja, ganz laut.
(Erneutes, noch stärkeres Klingeln.)
Angéle:
Schon jetzt!
Der Boy:
Schon wieder!
Der Gehilfe:
Und noch lauter!
Angéle:
Das ist der Zar! Ich stehe hier. (zum Gehilfen) Sie bleiben dort! (zum Boy) Du gehst hinaus! Empfange den Zaren.
(Boy links ab.)
3
(Dann entsteht draußen kurzer Lärm von Stimmen und Schritten, der sich rasch nähert, ein Rudel Menschen in Mänteln — fünf Männer, eine Frau, ein halbwüchsiger Junge und der — dringt ein, den Boy mit sich schleppend.)
Der Anführer:
(mit vorgehaltenem Revolver gegen Angéle und den Gehilfen) Wer schreit? (von einem zum anderen zielend, die Waffe senkend) Man soll nicht schreien! (zu seinen Leuten) Fangt an. Die Zeit ist kostbar. Sie wird mit eines Zaren Blut bezahlt.
Fünf Verschwörer:
Mit eines Zaren Blut!
Der Anführer:
Fangt an!
Männerchor (im Orch.):
Mit eines Zaren Blut!
(Ein Mann springt hinter Angéle und hält ihre Arme auf dem Rücken fest, ein zweiter sich des Gehilfen, ein dritter faßt der Boy auf gleiche Weise.)
Der Gehilfe/Der Boy:
Wie?
Angéle:
Warum?
Der Anführer:
(den Revolver auf sie richtend) Leiser Madame!
Der Gehilfe/Der Boy/Angéle:
Was wollen Sie?
Der Anführer:
Von Ihnen die Erlaubnis, Sie in der nächsten Viertelstunde vertreten zu dürfen. Bewilligen Sie? (er zielt. Angéle verstummt. Die Frau steht in einem losen Gewande, dem Angéles ähnlich, da. Ein Mann und der Halbwüchsige sind. Die Frau stellt sich vor Angéle hin, der Mann vor den Gehilfen, der vor den Boy) Madame erlaubt. (zu seinen Leuten) Vollendet die Verkleidung.
Die falsche Angéle:
(zu Angéle) Ich brauche deinen Schal.
Der falsche Boy:
(zum Boy) Ich trage deinen Jacke.
Der falsche Gehilfe:
(zum Gehilfen) Ich nehme deinen Kittel.
Die falsche Angéle:
Gib her den Schal.
Der falsche Boy:
Gib her die Jacke.
Der falsche Gehilfe:
Gib her den Kittel.
Der Anführer:
(Revolver hebend) Schal! Kittel! Jacke!
(Die Männer, die die drei halten, nehmen ihnen die Sachen weg und reichen sie den anderen.)
Die falsche Angéle:
Du bist gescheitelt. (sie frisiert sich)
Der falsche Boy:
Du hast ein Käppi. (er setzt des Boys Käppi auf)
Der falsche Gehilfe:
Und du hast Locken. (er lockert seine Mähne)
Die falsche Angéle:
Geschminkte Lippen.
Der falsche Boy:
Das Haar gescheitelt.
Der falsche Gehilfe:
Gewölbte Brauen.
Die falsche Angéle/Der falsche Boy/Der falsche Gehilfe:
Vollendet die Maske.
Der Anführer:
Vorzügliche Kopien. (zu den anderen) Bemerkt ihr einen Unterschied?
Fünf Verschwörer:
Wir finden keinen. Es ist gelungen.
Männerchor:
Gelungen!
(Falsche Angéle und falscher Gehilfe treten zum Apparat.)
Der Anführer:
Und jetzt den Apparat. Die Linse weg!
Angéle:
Ach schonen Sie meinen Apparat.
Der Anführer:
(Revolver hoch) Piano Madame.
Angéle:
Sie dürfen ihn nicht berühren. Er ist zur Aufnahme eingestellt. Ich erwarte den Zaren.
Der Anführer:
(mit Hohngelächter) Auch wir erwarten ihn.
Angéle:
Können Sie photographieren?
Der Anführer:
Auf uns’re Art. Sehn Sie unsere Vorkehrungen. Von besonderer Art, doch vollen Erfolg versprechend.
Die falsche Angéle:
(hinterm Apparat visierend) Ist die Öffnung frei? (sich aufrichtend) Gib her die Waffe.
(Der falsche Gehilfe nimmt aus einem Pappkarton eine Pistol, die auf einem kleinen Gestell montiert ist und am Drücker einen Gummischlauch.)
Der Anführer:
Zeig das Madame.
Angéle:
Was ist das?
Der Anführer:
Statt der Kassette ein Pistol und genau so empfindlich wie eine photographische Platte. Kann man besser zielen, als durch das Rohr des Apparates. Hält ein Opfer jemals so still, wie vor dieser Öffnung?
Angéle:
Sie wollen in meinem Atelier den Zaren ermorden?
Der Anführer:
Erraten Madame. Wir gaben Ihnen die Ehre. Wir haben uns für Sie entschieden. Wir haben spioniert und uns’re Leute gesiebt. Passend nach Größe, Haaren, Details. Wir haben auch die Briefe geschrieben, von denen Sie nichts wissen. Ans Hofmarschallamt. Wir vergaßen nicht zu erwähnen, daß Ihnen große Liebenswürdigkeit nachgesagt wird, obwohl es unbescheiden war, sich selbst zu rühmen. Das wir galant hinzu.
Angéle:
Schändlich!
Der Anführer:
Wie lockt man einen Zar, der sich in Paris ? Cherchez la femme? Am Telefon sie uns fast verraten. Drum haben die Verbindung wir gestört. Wir passen auf. sind wir. Seit Wochen schon geht die Jagd. Hier verröchelt das Wild im Schulß aus dem Photographenkasten.
Die falsche Angéle:
(zum falschen Boy) Nimm Platz im Sessel. Ich stelle ein.
(Der falsche Boy setzt sich in den Sessel.)
Angéle:
Erbarmen! Erbarmen!
Der Anführer:
Mit ihm?
Angéle:
Mit mir, mit mir! Ich bin ruiniert, wenn das geschieht.
Der Anführer/Fünf Verschwörer:
Es muß geschehen. Es muß geschehen.
Der Anführer:
Es trifft ihn mitten ins Herz.
Fünf Verschwörer:
Er stirbt.
(Die falsche Angéle bedeckt den Apparat mit dem schwarzen Tuch.)
Der Anführer:
Tretet heran. Vereinigt die Hände auf diesem schwarzen Tuch (man tut es) und dem was darunter lauert. Soll dieser wohlgezielte Schluß Signal für alle werden, die nach Befreiung lechzen?
Die falsche Angéle/Der falsche Boy/Der falsche Gehilfe/Fünf Verschwörer:
Er soll!
Der Anführer:
Muß dieser scharfgezielte Schuß hier fallen, um allen das Tor der Freiheit zu öffnen?
Die falsche Angéle/Der falsche Boy/Der falsche Gehilfe/Fünf Verschwörer:
Er muß!
Der Anführer:
Kann dieser unausweichlich gezielte Schuß die letzten Fesseln unsrer Brüder lösen?
Die falsche Angéle/Der falsche Boy/Der falsche Gehilfe/Fünf Verschwörer:
Er kann!
Die falsche Angéle:
Ich töte den Tyrannen. Noch heute fällt sein Haupt! Wir schwören! Wir schwören! Wir schwören, er stirbt.
Der falsche Boy/Der falsche Gehilfe/Fünf Verschwörer:
Signal für alle werden, das Tor der Freiheit , die letzten Fesseln unsrer Brüder lösen. Wir schwören! Wir schwören! Wir schwören, er stirbt.
Männerchor:
Er soll! Er muß! Er kann! Wir schwören! Wir schwören. Wir schwören, er stirbt.
Der Boy/Der Gehilfe:
O schonet unsern Apparat! Erbarmen für uns! O habt Erbarmen! O habt Erbarmen für uns!
Angéle:
O schonet meinen Apparat! Erbarmen für mich! O habt Erbarmen! O habt Erbarmen! O schonet meinen Apparat, so schonet mich, o habt Erbarmen!
Der Anführer:
(zurücktretend) Macht jene stumm.
Angéle:
Erbarmen!
(Man verbindet mit Taschentüchern Angéle, dem Boy und dem Gehilfen den Mund.)
Der Anführer:
(auf die falsche Angéle, den falschen Boy und Gehilfen weisend) Kommt! Laßt sie allein!
(Angéle, Gehilfen und Boy werden rechts.)
Der Anführer:
(zur falschen Angéle) Wir warten. Deine Hand?
Die falsche Angéle:
Ruhig!
Der Anführer:
Triff den Tyrannen ins Herz. (er folgt den andern — ab)
Die falsche Angéle:
Verhängt die Fenster. (ironisch) Ich brauche kein Licht. Meine Kugel findet auch im Dunkel ihren Weg. (der falsche Gehilfe hat die herabgelassen) Das ist die richtige Beleuchtung, um die Vertauschung der Personen gründlich zu vollenden.
(Es klingelt draußen.)
Der falsche Gehilfe:
Er kommt.
Die falsche Angéle:
Bleib im Hintergrund. Ich stehe hier.
Der falsche Boy:
Ich gehe. (links ab)
Die falsche Angéle:
Empfang den Zaren!
(Zuerst erscheinen zwei Kriminalbeamte, den falschen Boy mit sich führend.)
Männerchor:
Dort unter dem Tuch. Dort unter dem schwarzen Tuch. Lauert der Schuß, lauert der Schuß, der das Signal zur Befreiung gibt, der das Tor zur Freiheit öffnen soll, der die letzten Fesseln unsrer Brüder löst, der den Tyrannen ins Herz trifft.
1. Beamter:
Madame — auf Anordnung des haben wir für die Sicherheit des Zaren zu bürgen. Vor seinem Eintritt wir eine Durchsuchung des Ateliers und der Personen vornehmen. Wir bitten Sie, sich diesem Zwange bereitwillig zu fügen. (zum 2. Beamten) Kontrollieren Sie den Raum, ich vollziehe die Leibesvisitation. (vor der falschen Angéle) Gestatten Sie, Madame! (er betastet sie — zurücktretend) Danke! (zum falschen Gehilfen) Wer sind Sie hier?
Der falsche Gehilfe:
Gehilfe bei Madame Angéle.
1. Beamter:
(betastet ihn) Danke! (zum falschen Boy) Du?
Der falsche Boy:
Boy bei Madame Angéle.
1. Beamter:
(betastet ihn) Danke. (zum 2. Beamten) Nichts gefunden?
2. Beamter:
Nichts.
1. Beamter:
(zu Angéle) Sind Waffen versteckt? (die falsche Angéle schüttelt den Kopf)
2. Beamter:
(will das schwarze Tuch lüften) Unter diesem Tuch?
1. Beamter:
(schlägt es nieder) Der photographische Apparat. (zu Angéle) Wir sind zufrieden.
Männerchor:
Dort unter dem Tuch. Dort unter dem schwarzen Tuch.
(Die beiden Beamten postieren sich bei der Tür links und verbeugen sich tief nach draußen.)
4
(Der Zar, unauffälliger Gentleman in hellem und sein Begleiter: Respektsperson mit weißem Zipfelbart, in Gehrock und Zylinder — kommen. Der Zar mustert in einiger Entfernung Angéle. Die falsche Angéle will ihm entgegen. Der Zar kommt ihr zuvor. Die falsche Angéle will ihm die Hand küssen.)
Der Zar:
Ich bin Monsieur, die Ehre meinerseits, Madame. (er küßt ihr die Hand)
Die falsche Angéle:
(mit verstecktem Hohn) Wie gnädig!
Der Zar:
Sind Sie enttäuscht?
Die falsche Angéle:
Warum soll ich enttäuscht sein?
Der Zar:
Sie wollten ja den Zaren photographieren?
Die falsche Angéle:
(erschrickt) Wollen Sie mir nicht zur Aufnahme sitzen?
Der Zar:
Nicht als Zar. Als Mensch, der auf den Straßen geht mit anderen Menschen, die alle seinesgleichen sind.
Die falsche Angéle:
(lächelnd) Das wird das beste Bild, wenn Sie sich still wie jedermann vor meiner Kamera verhalten.
Der Zar:
Sie sollen Ihre Freude an mir haben. (sich umblickend) Wo sind wir hier?
Die falsche Angéle:
Hoch überm Boulevard.
Der Zar:
(zum Fenster tretend) Wo ist Paris?
Die falsche Angéle:
(überleitend) Versunken in der Tiefe.
Der Zar:
(schiebt einen Fenstervorhang beiseite) Wie ist diese Aussicht auf Paris. Der Eiffelturm, der wie ein Riesenspargel. Montmartre! Moulin rouge! Bei Nacht noch interessanter. Paris! Paris! Versunken in der Tiefe. Und dort das Ei der Kuppel vom Invalidendom. Da ruht Napoleon. Der ist nun tot, ganz tod. (zu Angéle , dicht vor ihr) Ich möchte nicht in diesem Augenblick Napoleon sein. Verstehen Sie das Madame?
Die falsche Angéle:
Wünschen Sie, daß ich begreife, Monsieur?
Der Zar:
Monsieur wünscht dringend. (während er seine Augen in ihre Augen versenkt, vollführt er hinterrücks winkende Gesten nach seinem Begleiter. Der Begleiter bemerkt, zögert. Nachdrücklich) Monsieur wünscht dringender. (der Begleiter bedeutet die beiden Kriminalbeamten, sich zu entfernen. Die beiden links ab. Der Zar blickt sich um und sieht den noch anwesenden Begleiter. Er stampft mit dem Fuß auf. Dann zu Angéle) Wir haben Zuschauer.
Die falsche Angéle:
Wo sehen Sie?
Der Zar:
An allen Wänden die Bilder von Herren und Damen. Wer sind sie? Erklären Sie mir die Galerie der Wirklichkeit, die sie hier fixierten. (er tritt vor eine Photographie an der rechten Wand) Wer ist der Träger dieses linienzarten Kopfes?
Die falsche Angéle:
(nehben ihm, unsicher) Das ist ein Mann.
Der Zar:
Vielleicht ein Weib. Wer kann das heute unterschieden? (das nächste Bild betrachtend) Vor diesem Bild hab’ ich keine Zweifel. Der Ansatz eines Busen überrennt das Kleid. Wie heißt die schöne Dame?
Die falsche Angéle:
Mir entfiel der Name.
Der Zar:
(vor einem anderen Bildnis) Und diese hier ist splitterfasernackt. Wahrhaftig kühn, doch , weil der Körper vollendet ebenmäßig aufgebaut. Bezaubernde Figur. Wer ist die Venus?
Die falsche Angéle:
Eine Dame der Gesellschaft.
Der Zar:
Pardon! Ich fragte nicht. (vor dem nächsten) Ein Hund! Ein kleines, liebes Tier, das wie ein Kind mich anblickt. Lieben Sie die Tiere?
Die falsche Angéle:
(fanatisch) Mit Inbrunst auch die Tiere.
Der Zar:
Sie haben Gemüt. Wie reizend. (dann sehr eilig nach links hinübergehend) Was zeigt die andre Wand? (halblaut zum Begleiter) Verschwinden Sie!
Der Begleiter:
Ich bitte…
Der Zar:
und ich befehle! (der Begleiter links ab. Die Bilderreiche rascher abschreitend) Jedes Portrait ist bewunderungswürdig. Sie haben die Elite menschlicher Charaktere versammelt. Werde ich nicht das Ensemble stören?
Die falsche Angéle:
(heftig) Reif zur Zerstörung ist alles!
Der Zar:
Ich werde unterliegen in diesem Wettstreit mit den Köpfen an der Wand. Ich fürchte mich, Madame. Ich fürchte die Blamage.
Die falsche Angéle:
Sie wollen nicht?
Der Zar:
Ich bin zu feige. (der Zar verhindert sie am Kniefall und hält sie fest. Eindringlich) Dann ohne Zeugen. Wir werden allein sein. (sie loslassend) Wenn man mir aufs Gesicht sieht, kann ich mich nicht halten wie ich will. Madame entscheidet (er steht abgewandt gegen das Fenster)
Männerchor:
Dort unter dem Tuch. Dort unter dem schwarzen Tuch.
Die falsche Angéle:
(die falsche Angéle sieht vom falschen Gehilfen zum falschen Boy. Diese nicken und entfernen sich nach rechts. Ab) Wir sind allein.
(Zar dreht sich um.)
5
Die falsche Angéle:
Ich bitte dort im Sessel Platz zu nehmen.
Der Zar:
(Zar auf dem Wege dahin vor ihr stehenbleibend) Wie groß wird meine Schuld?
Die falsche Angéle:
Zu groß ist schon die Schuld.
Der Zar:
Weil ich so spät zu Ihnen finde?
Die falsche Angéle:
Spät, doch nie zu spät!
Der Zar:
Ich hätte früher kommen sollen, doch konnt’ ich nicht aus Ihren Worten lesen, daß Sie so sind.
Die falsche Angéle:
Jetzt büßen Sie mit einem Bild für das.
Der Zar:
Geht dann die Rechnung auf?
Die falsche Angéle:
Glatt und ohne Rest.
Der Zar:
Doch wie wird mir vergütet?
Die falsche Angéle:
Wofür?
Der Zar:
Daß ich den Zaren Ihnen präsentierte. Das ist nicht billig. Wie bezahlt man Fürsten, Madame?
Die falsche Angéle:
Nach der Aufnahme, Monsieur, wenn Ihnen noch Zeit bleibt.
Der Zar:
Wir haben Zeit, Madame. Im Sessel?
Die falsche Angéle:
Im Sessel.
Der Zar:
(schlendert hin — setzt sich auf die Sessellehne) Doch nicht auf dem Polster. Das wieder nur Parade. Ich sitze so.
Die falsche Angéle:
Ich stelle anders ein. (sie beginnt den Apparat zu richten)
Der Zar:
Ich will ein Bild von mir, das mich erinnert an einen Menschen, der ich bin. Ich werde es ansehn, wenn ich über Krieg und Frieden bestimmen soll und werde fragen: Warum wollen das die Völker? Wäre ich Volk, mir grüne Felder und wimmelnde Herden lieber, oder am strudelnden Bach die Angel werfen nach schimmernden Fischen. Ich könnte keinen Menschen töten.
Die falsche Angéle:
(unterm Tuch hervortauchend) So ich bin fertig. Jetzt…
Der Zar:
Ich sitze nicht bequem. Die Lehne drückt mich. Ich will doch unten sitzen. Sonst ist das Bild gefährdet.
Die falsche Angéle:
Ein Augenblick genügt mir…
Der Zar:
(sitzt schon im Sessel) Verlieren Sie schon die Geduld?
Die falsche Angéle:
Ich habe lang auf diesen Augenblick gewartet. Es geht um mehr als um Sekunden. (er zieht ein Zigarettenetui aus der Brusttasche und entnimmt eine Zigarette. Sie stellt den Apparat von neuem ein)
Der Zar:
Mit einer Zigarette bekommt es mehr Bewegung. Wie denken Sie?
Die falsche Angéle:
(rasch aufblickend) Wo tragen Sie denn das Etui?
Der Zar:
(er steckt das Etui wieder ein) Hier auf dem Herzen. Warum fragen Sie?
Die falsche Angéle:
(tritt zu ihm) Ich fragte, weil es Falten gibt. Ich möchte den Rock breit aufgeschlagen. (sie klappt die linke die Jacketseite zurück)
Der Zar:
Sieht das denn schön aus?
Die falsche Angéle:
Es ist schön für Photographie.
Der Zar:
Genügt des Licht? Es ist ja Dämmerung. Wie lang muß ich sitzen stock–steif–still?
Die falsche Angéle:
Ich habe Blitzlicht in der Kamera.
Der Zar:
Werd’ ich erschrecken?
Die falsche Angéle:
Das wird sich finden!
Der Zar:
Sie glauben fest, ich werde gut getroffen?
Die falsche Angéle:
Ich treffe wie der Schütze seine Scheibe.
Der Zar:
Bravo!
Die falsche Angéle:
Ich zähle bis drei.
Männerchor:
Der Zar läßt sich photographieren!
Der Zar:
Bravo!
Die falsche Angéle:
und dann drück ich los!
Männerchor:
Der Zar läßt sich photographieren!
Der Zar:
Ich sammle mich. (er verhält sich ganz ruhig)
Die falsche Angéle:
(die falsche Angéle faßt den Ball und biginnt zu zählen) … eins… zwei…
Der Zar:
(vollführt eine abwehrende Bewegung) Halt, Madame! (erhebt sich)
Die falsche Angéle:
Steh’n Sie doch nicht auf!
Der Zar:
Erlauben Sie, daß wir die Rollen tauschen: Ich bin der Photograph, und Madame sitzt.
Die falsche Angéle:
Was wollen Sie?
Der Zar:
Ich wünsche Sie zu photographieren.
Die falsche Angéle:
Warum?
Der Zar:
Weils eine Laune ist.
Die falsche Angéle:
Das ist doch kindlich!
Der Zar:
Ich pflege meinen Launen zu gehorchen, denn wer befiehlt mir sonst? In jedem von uns will etwas niederknien. Vor Gott, vor Launen, wie man’s nennen will. Ist das so närrisch?
Die falsche Angéle:
Es ist unmöglich!
Der Zar:
Ist es denn gar so schwer?
Die falsche Angéle:
Es ist unmöglich. Sie würden meinen Apparat zerstören. Es ist unmöglich. Es ist unmöglich.
Der Zar:
Ich bin kein Tölpel! Ich bin sehr gelehrig, wenn Sie mich unterweisen. Sie haben eingestellt. Ich nehme diesen Ball!
Die falsche Angéle:
Den Ball nicht berühren.
Der Zar:
Ich drücke erst, wenn Sie im Sessel sitzen. Darf ich bitten, Madame?
Die falsche Angéle:
Ich kann nicht sitzen. Mir würde schwindeln, wenn ich bedenke… daß der Zar…
Der Zar:
Vergessen Sie den Zaren, wie ich ihn vergaß. Monsieur macht eine Aufnahme von Madame und das im Augenblick!
Die falsche Angéle:
Sie dürfen nicht bei dem Entschluß beharren.
Der Zar:
Unweigerlich, Madame. Der Sessel erwartet Sie.
Die falsche Angéle:
Ich bin nicht vorbereitet. Ich bin müde und abgespannt.
Der Zar:
Jetzt sind Sie schön wie nie in der Verwirrung. Ihr Bild will ich bewahren, einziges Souvenir de Paris.
Die falsche Angéle:
Ach schonen Sie meinen Apparat. Ach schonen, ach schonen Sie mich. Ich muß mich sammeln. Es gelingt noch. Sitzen Sie mir inzwischen.
Der Zar:
Erst die Dame.
Die falsche Angéle:
Lächerlich Etiquette!
Der Zar:
Sind Sie bereit?
Die falsche Angéle:
Nach Ihnen.
Der Zar:
(mit Bewegung zum Ball) Dann bleibt die Platte leer. Ich drücke den Ball, wenn Sie mir nicht gehorchen.
Die falsche Angéle:
(inh zurückhaltend) Ich tut es. Doch warten Sie, bis sich mein Blut beruhigt.
Der Zar:
Ich warte.
Die falsche Angéle:
(mit gequältem Lächeln) Wie ein Herz doch klopfen kann, wenn es überrascht ist. Wie ein gefangener Vogel hinter Käfigstäben die Flügel schlägt. Hat denn ein Herz so ungeheure Macht, den Menschen umzuwerfen. Ich muß mich stützen rechts und links und taumle doch. (sie verstummt hilflos)
Der Zar:
Erregt Sie nicht die Sprache? Wir wollen schweigen. Bei drei beginne ich und zähle bei der Aufnahme bis?
Die falsche Angéle:
(gehaucht) Bis…
Der Zar:
Nun, wie lang?
Die falsche Angéle:
bis ich verbiete.
Der Zar:
Fertig! (er hält den Ball) Nun eins, nun zwei… Nun…
Die falsche Angéle:
(springt auf — läuft zu ihm) Mein Herz, mein Herz! Hören Sie doch mein Herz! Hat je ein Herz so fürchterlich geschlagen? Sie müssen. Geben Sie die Hand. Spürten Sie schon ein Herz so übermächtig toben?
Der Zar:
(sieht sie an — nach einer Pause) Jetzt klopft auch mein Herz stärker.
Die falsche Angéle:
Rasch wie meins?
Der Zar:
Ich glaube ja.
Die falsche Angéle:
Wo pocht es? (sie legt die Hand auf seine Brust)
Der Zar:
Hier. (er preßt die Hände mit seiner fest)
Die falsche Angéle:
Ich fühle nichts, nur die harte Dose.
Der Zar:
(er zieht die Zigarettendose aus der Tasche und schleudert sie auf den Boden) Versperrt sie noch den Weg zum Herzen?
Die falsche Angéle:
Jetzt liegt es frei!
Der Zar:
Angéle, Angéle. (er will sie küssen)
Die falsche Angéle:
(sie entschlüpft ihm) Erst das Bild!
Der Zar:
Was für ein Bild?
Die falsche Angéle:
Das ich verlange, wenn ich mehr gewähren soll. Da ist der Sessel. Monsieur soll entscheiden.
Der Zar:
(nickt) Sie überrumpeln meine launenhaften. Schon fliehen sie. Adieu, ihr Himmlischen. Es bleibt das irdische. Madame, ich sitze.
Die falsche Angéle:
Endlich sitzen Sie, so wie ich wünschte.
Der Zar:
Und halte nun still bis sie mich wecken wie einen Toten.
Die falsche Angéle:
Das wird einem Gott nicht gelingen.
Der Zar:
Doch einer Göttin!
Die falsche Angéle:
(den Ball nehmend) Achtung Monsieur! Ich wieder eins… Ich zähle wieder zwei… Ich zähle wie–…
(Die Tür links wird aufgerissen. Der Begleiter tritt rasch ein.)
6
Männerchor:
(Summen)
Der Begleiter:
Nachricht von der Polizeipräfektur. Komplott ist aufgedeckt. Haussuchung hat Material geliefert. Man ist auf der Spur verdächtiger Personen, die sich hier verbergen. Dringende Bitte des Polizeipräfekten, das Atelier nicht zu verlassen, bis entsprechende Maßnahmen durchgeführt sind. Man umzingelt den. Schärfste Kontrolle sämtlicher Bewohner wird hier vorgenommen. In zehn Minuten kommt Polizei.
(Der Zar hat sich aus dem Sessel erhoben, winkt mit lässiger Geste. Begleiter ab. Die falsche steht wie versteinert.)
Der Zar:
Erschraken Sie? Ich bin’s gewohnt. Ein Sport, der sehr beliebt ist. Menschenjägerei. Mal kracht eine Bombe. Die übliche Methode, langweilig längst. Erfindet Neues auf dem Gebiet des Attentats, ich wäre dankbar für die Abwechslung. (die falsche Angéle rührt sich nicht. Vor ihr) Sie sind ja weiß wie Kreide. Angst, Madame, daß hier die Bombe platzt und diesen sammetreichen Teint verdirbt? Keine Furcht, hier bin ich sicher, das Atelier ist , doch bleiben uns nur zehn Minuten. Ist das nicht zu wenig für Photographie und Liebe?
Die falsche Angéle:
(sich aufraffend) Die Zeit genügt.
Der Zar:
(will sie an sich ziehen) Für Liebe?
Die falsche Angéle:
(entwindet sich ihm) Für Photographie.
Der Zar:
Die Zeit ist knapp.
Die falsche Angéle:
Sie genügt für beides. Sitzen Sie mir erst.
Der Zar:
Das wäre Diebstahl an dem schönsten Glück.
Die falsche Angéle:
Es wird noch größer, wenn Sie sich vorher meinem Willen fügen.
Der Zar:
Was Sie verheißen, klingt so wunderbar.
Die falsche Angéle:
Zum Sessel. (sie führt ihn hin)
Der Zar:
(setzt sich) Es dauert ewig.
Die falsche Angéle:
(hinterm Apparat) Ich muß doch zielen. (sie verschwindet unter dem schwarzen Tuch)
Der Zar:
Geht es nicht rascher?
Die falsche Angéle:
Ich zähle nicht mehr…
Der Zar:
Lästiges Eins-zwei-drei.
Die falsche Angéle:
(auftauchend) … und drücke den Ball. (sie nimmt ihn)
Der Zar:
(steht auf, eilt zu ihr, faßt ihre Hände) Wie sind Sie, Angéle! Zwei schwarze Monde schwimmen Ihre Augen in Wogen Bluts, das diese Wangen färbt. Ich sah noch keine Frau in solchem Aufruhr. Ein Bild! Ein Bild, das diesen Zauber bannt! (er führt sie zum Sessel und drückt sie nieder) Sitzen Sie mir schnell.
Die falsche Angéle:
Gilt nicht Ihr Wort, daß Sie zuerst…?
Der Zar:
(sich über sie beugend) Nichts hat Bestand, wo diese Lippen lachen. Erst ihr Bild zum ewigen Gedenken. (er läuft zum Apparat) Ist eingestellt?
Die falsche Angéle:
(sich hin und her bewegend) Es trifft mich nicht.
Der Zar:
Zu mir den Blick!
Die falsche Angéle:
Helfen Sie mir. Ich bin so ungeschickt.
Der Zar:
(tritt vor sie, hält ihren Kopf zwischen seinen) So drücken Sie den Kopf auf die Lehne.
Die falsche Angéle:
(umschlingt ihn) Wie kann ich ruhig sitzen, wenn ich liebe?
Der Zar:
(sinkt in die Knie und küßt Angéle) Wir wollen uns lieben, Angéle. Wir wollen uns lieben,. Wir wollen uns lieben, Angéle.
Die falsche Angéle:
Mit tausend Küssen versprechen wir uns Liebe. (sie richtet den Zaren in derselben Stellung wie vorher zum Photographieren auf) Ich will dir alles gewähren nach dem Bilde.
Der Zar:
(starrt ihr nach) Sie betrügen. (springt auf)
Die falsche Angéle:
(will den Ball nehmen) Wer liebt, stirbt.
Der Zar:
Das ist Komödie. Sie bleiben Photograph im Taumel noch.
Die falsche Angéle:
(stammelnd) Ein Bild, das mich erinnert.
Der Zar:
Das könnten Sie in jedem Laden kaufen. En face und im Profil. Zivil, in Uniform. In Hut, mit Krone. Ich bin im Handel, doch Sie sind rar. Und müßt ich Sie an diesen Sessel. Ich will das Bild, (er hat sie in den Sessel zurückgeführt) kein Wort, keine Regung. Ich drücke (er tritt an den Apparat) blindlings… (die falsche Angéle verläßt den Sessel) … ab.
Die falsche Angéle:
(bei ihm) Noch einen Kuß! (zum Sessel strebend) Und dann! (Sie drängt ihn in den Sessel und will zum Apparat zurück) Und dann!
Der Zar:
(hält sie fest) Wohin?
Die falsche Angéle:
Photographieren.
Der Zar:
Wenn einer hier photographiert, bin ichs. (er sie in den Sessel, will zum Apparat)
Die falsche Angéle:
(umschlingt ihn) Ich bins, der photographiert. (wieder drückt sie ihn in den Sessel und will zum Apparat)
Der Zar:
Ich bins, der photographiert.
Die falsche Angéle:
Ich bins. Ich bins. Ich! Ich! Ich! Ich! Ich! Ich! Ich will das Bild. Ich will das Bild. Lieber, das Bild. Lieber, das Bild. O Gott! O Gott! O Gott!
Der Zar:
Ich bins. Ich bins. Ich! Ich! Ich! Ich! Ich! Ich will das Bild. Ich will das Bild. Das will Souvenir de Paris. Das will Souvenir de Paris. Das Souvenir. Angéle! Angéle! Angéle! Angéle!
7
Der Begleiter:
(tritt rasch von links ein) Vom Polizeipräfekten neue Nachricht. Die Spuren der Verschwörung führen hier ins Atelier Angéle. Es soll sofort zur Durchsuchung aller Räume bei Madame Angéle geschritten werden. Die beiden Polizeibeamten draußen haben den Befehl. Indessen ist die gesamte Polizeimacht alarmiert.
Männerchor:
(Summen)
Der Zar:
(ruhig) Man wartet. (Begleiter ab. Zu Angéle) Man wird nicht warten. Man wird hier eindringen. Erst sind es zwei, dann zwanzig, dann wie Sand am Meer. (die falsche Angéle erhebt sich aus dem Sessel) Kann ich’s verhindern? Über alles soll ein Zar gebieten, nur nicht über sein Leben. Denn ich bin ein Prinzip.
Die falsche Angéle:
Kommt Polizei?
Der Zar:
Nun stirbt der Traum Paris. Eiserne Tore fallen zu, die mich verwahren. Kein Bummel mehr in Boulevards nach Montmartre. Nun stirbt der Traum Paris.
Männerchor:
(Summen)
Der Zar:
(sehr ruhig) Tot bin ich wie Napoleon. Ist das nicht jämmerlich?
(Die falsche Angéle, nach einigem Zögern, geht zum Grammophon, legt eine Platte auf, setzt an.)
8
(Die falsche Angéle hat es jetzt nur noch darauf abgesehen, sich unbemerkt aus dem Staube zu machen.)
Der Zar:
Musik in diesem Augenblick.
Die falsche Angéle:
(verführerisch) Der Tango Angéle. (sie blickt nach der Tür rechts, nach der Tür links. Dann sie nach der Tür links und schließt ab.)
Der Zar:
Was tuen Sie?
Die falsche Angéle:
Ich schloß die Tür.
Der Zar:
Warum?
Die falsche Angéle:
Die Polizei soll uns nicht überraschen, wenn wir uns lieben.
Der Zar:
(leidenschaftlich) Gewährung noch im letzten Augenblick?
Die falsche Angéle:
Wir werden selig sein!
Der Zar:
(lachend) Bedingungslos und ohne Photographie?
Die falsche Angéle:
(sie wirft sich an ihn und umschlingt ihn) Nur Liebe. Nur Liebe.
Der Zar:
Gewährung noch im letzten Augenblick! !
Die falsche Angéle:
(sie drängt ihn gegen den Diwan) Geliebter!
Der Zar:
(er läßt sich fallen) Komm!
Die falsche Angéle:
(befreit sich aus seinen Armen) Erwarte mich.
Der Zar:
Wo bleibst du?
Die falsche Angéle:
Du sollst nicht sehen, wenn ich mich entkleide!
(Sie drückt ihn nieder und häuft Kissen auf ihn, die ihn fast verdecken. Der Zar liegt still. Sie nach der Tür rechts, reißt sie auf: Sofort treten der Anführer, der falsche Gehilfe, der falsche Boy und die Verschwörer heraus.)
Der Anführer:
(fast geflüstert) Wo ist der Zar?
Die falsche Angéle:
Dort unter Kissen.
Der Anführer:
Getötet?
Die falsche Angéle:
Mißlungen! Wie sind entdeckt. Wir müssen fliehen über die Dächer.
Fünf Verschwörer:
Wir sind verloren. Wir müssen fliehen. Die Polizei ist uns auf der Spur. Wir müssen entfliehen.
Die falsche Angéle/Der falsche Boy/Der falsche Gehilfe/Der Anführer:
Polizei kommt. Polizei sperrt alle Straßen. Wir sind verloren. Sie sind uns auf der Spur.
Die falsche Angéle:
Legt die Verkleidung ab.
(Der falsche Gehilfe und der falsche Boy tun es, sie selbst wirft den bunten Schleier ab: links wird geklopft.)
Die falsche Angéle/Der falsche Boy/Der falsche Gehilfe/Der Anführer/Fünf:
Es klopft! Was ist das?
Die falsche Angéle:
Schon die Polizei?
Die falsche Angéle/Der falsche Boy/Der falsche Gehilfe/Der Anführer:
Schnell fort! (alle ab rechts)
9
(Sofort kommen von rechts die echte Angéle, der echte Gehilfe und der echte Boy — sich die umgebundenen Taschentücher abstreifend, klopfen.)
Angéle:
(mit kurzem Blick nach dem Zaren) Noch unter Kissen! Zieht eure Kittel an! Hier ist der Schal. (sie kostümiert sich hastig) Es darf nichts in meinem Atelier verändert sein. Man würde mich und euch verdächtigen. (zum Gehilfen) Du bist im Hintergrund! (zum Boy) Du machst die Tür auf. (Klopfen immer lauter) Halt! Es wer an den Ball rühren. Ich löse noch den Schuß. In diesem Lärm verschwindet der Knall!
(Hier hat sich das Klopfen gegen die Tür zu donnerndem Hämmern gesteigert. Sie drückt auf den Ball, ein feuriger Strahl fährt aus dem Kasten.)
(Angéle winkt dem Boy. Der Boy öffnet links. Der Begleiter — an der Spitze prächtig uniformierter Offiziere — dringt ein. Polizisten folgen.)
Der Zar:
(hat sich aus den Kissen herausgewühlt, sitzend, benommen) Was war das? (er zieht die Luft ein) Pulver?
Angéle:
(liebenswürdig) Magnesium. Ich prüfte die Belichtung. Zu schwach. (zum Gehilfen) Den schärferen Apparat! (zum Boy) Die Vorhänge auf!
(Im Hintergrund großer Truppenaufmarsch bis zum Schluß.)
(Der Gehilfe rollt den Apparat beiseite und schiebt aus einem Wandschirm einen anderen in die Mitte. Der Boy macht das Fenster frei.)
Der Zar:
(betrachtet verwundert Angéle) Sind Sie denn Angéle?
Angéle:
Jetzt bei Tageslicht!
Der Zar:
Wie das verändert! (zu den Offizieren) Bin denn ich der Zar?
Offiziere:
(die Säbel schwingend) Den wir mit unserm Leben vor den Meuchelmördern schützen, den wir mit unserm Leben vor den schützen.
Der Zar:
(sich erhebend) Dann machen wir das Bild! (er geht langsam nach dem Sessel und läßt sich nieder)
Männerchor:
Der Zar läßt sich photographieren. Der Zar läßt sich photographieren. Der Zar. Der Zar. Der Zar…
(Offiziere marschieren in den Hintergrund und stellen sich in Parade auf.)
Der Zar:
Sind Sie bereit? (Angéle verneigt sich zustimmend) Ich auch. (er sitzt still)
Angéle:
(faßt den Ball, ruft) Eins… Zwei… (die Offiziere salutieren während der Aufnahme. Die Polizisten stehen stramm. Sie drückt den Ball) … Drei!
Männerchor:
Der Zar läßt sich photographieren.
(Vorhang rasch.)