ZWEITE SZENE
Saal wie früher
Die Galerie ist vollständig verhängt, ebenso das Balkonfenster rechts (schwere Gardinen) und die Portière links. Der Fauteuil steht weiter vorn links, daneben ein Serviertisch. Die Staffelei ist leer; das Bild Lulus ist verkehrt gegen den Kamin gelehnt. Der Saal ist nur durch eine auf dem Mitteltisch stehende tief verschleierte Stehlampe erhellt. Auch sonst eine gegen die frühere Szene kontrastierende Mattheit, Verstaubtheit, Unbewohntheit des Raumes, der künstlich gegen das Tageslicht draussen abgeschlossen ist. Auf dem Serviertisch Kaffeemaschine, Kaffeeschale und Likör.
ALWA
vor der Eingangstür lautlos und ganz langsam auf- und abgehend; ganz in Gedanken versunken.
GRÄFIN GESCHWITZ
im Lehnsessel; in schwarzem, enganliegendem Kleid, tief in Kissen gebettet, einen Plaid über den Knien.
RODRIGO
als Bedienter gekleidet, breit auf der Ottomane sitzend
Er lässt auf sich warten wie ein Kapellmeister.
GRÄFIN GESCHWITZ
leise zusammenzuckend
Ich beschwöre Sie: sprechen Sie nicht!
Trink! hie und da einen Schluck schwarzen Kaffee.
RODRIGO
Es will mir ganz und gar nicht einleuchten,
dass sie sich dabei sogar noch zu ihrem Vorteil verändert haben soll.
GRÄFIN GESCHWITZ
Sie ist herrlicher anzuschau'n, als ich sie je gekannt habe.
RODRIGO
Wenn ihr die Cholera ebensogut angeschlagen hat wie Ihnen...
GRÄFIN GESCHWITZ
Was uns unter die Erde bringt, gibt ihr Kraft und Gesundheit wieder.
RODRIGO
Das ist alles schön und gut -
ich werde aber doch heute Abend noch nicht mitfahren.
GRÄFIN GESCHWITZ
Sie wollen Ihre Braut am Ende gar allein reisen lassen?
RODRIGO
Erstens fährt doch der Alte mit, um sie im Ernstfall zu verteidigen, und zweitens muss ich hier auch abwarten, bis meine Kostüme fertig sind: Ich habe mir Trikots im zartesten Rosa machen lassen; wenn die im Ausland keinen Erfolg haben, dann will ich Kanalgeruch heissen! -.
Der vorteilhafte Eindruck wird nur durch meinen fürchterlichen Bauch gestört, den ich meiner Mitwirkung in dieser grossartigen Verschwörung zu danken habe: Bei gesunden Gliedern drei Monate lang im Krankenhaus liegen, das muss den heruntergekommensten Landstreicher zum Mastschwein machen.
GRÄFIN GESCHWITZ
sich an Alwa wendend, in verhaltenem Unmut
Und jetzt sagt der Mensch, er fahre nicht mit!
ALWA
aus tiefer Versunkenheit zu sich kommend
Ob Ihnen Ihr Befreiungsplan gelingen wird, scheint mir noch immer zweifelhaft. Aber ich finde keine Worte für die Bewunderung, die mir Ihre Aufopferung, Ihre Tatkraft, Ihre übermenschliche Todesverachtung einflössen. -
Ich weiss nicht, Fräulein von Geschwitz, wie reich Sie sind; aber die Ausgaben für diese Bewerkstelligungen müssen Ihre Vermögensverhältnisse zerrüttet haben. Darf ich Ihnen ein Darlehen von 10'000 Mark anbieten, dessen Herbeischaffung in barem Geld für mich mit keinerlei Schwierigkeiten verbunden wäre?
Auf der Galerie werden Schritte laut
GRÄFIN GESCHWITZ
auf die Schritte lauschend
Da ist er endlich!
Der Vorhang über der Treppe teilt sich und
SCHIGOLCH
im langen schwarzen Gehrock, einen grauen Entoutcas in der Rechten, tritt heraus. Während seines folgenden Auftritts ist sein Sprechen von häufigem Gähnen unterbrochen.
Vermaledeite Finsternis!
GRÄFIN GESCHWITZ
sich mühsam aus der Decke wickelnd
Ich komme schon!
RODRIGO
sich träg auf der Ottomane räkelnd
Ihre gräfliche Gnaden haben drei Tage lang kein Tageslicht geseh'n.
SCHIGOLCH
der indessen mühsam über die Treppe heruntergekommen ist
Seit heute früh - laufe - ich weg'n der Pässe - und weg'n der Koffer herum.
GRÄFIN GESCHWITZ
die aufzustehen versucht, zu Schigolch
Helfen Sie mir!
RODRIGO
wie früher
Ich kann Euch ein gutes Hotel in Paris empfehlen;
die Leute sind Berliner...
GRÄFIN GESCHWITZ
wie früher
So helfen Sie mir doch!
RODRIGO
fortsetzend
… dort seid Ihr sicherer vor der Polizei als anderswo.
GRÄFIN GESCHWITZ
die mit Unterstützung Schigolchs aufgestanden ist, zu diesem
Er will Sie nämlich - heut' Abend - allein - mit ihr reisen lassen.
SCHIGOLCH
zu Rodrigo
Sie fürchten sich wohl vor der Ansteckung?
RODRIGO
Es kann ihr jedenfalls nicht schaden,
wenn sie sich vor unseren Flitterwochen noch etwas auslüftet.
ALWA
eine Brieftasche in der Hand, zur Geschwitz
Diese Tasche enthält 10'000 Mark.
GRÄFIN GESCHWITZ
an einer Stuhllehne gestützt, am Mitteltisch stehend
Ich danke, nein.
ALWA
Ich bitte Sie, sie zu nehmen.
GRÄFIN GESCHWITZ
zu Schigolch
Kommen Sie doch endlich!
SCHIGOLCH
Geduld, mein Fräulein, - es ist ja nur ein Katzensprung - zum Spital.
Tief Atem holend
In fünf Minuten - bin ich mit ihr hier.
GRÄFIN GESCHWITZ
So geh'n wir endlich!
RODRIGO
für sich
…"mit ihr"…
ALWA
zur Mitteltür zeigend
Hier geh'n Sie näher.
Geleitet beide zur Tür.
GRÄFIN GESCHWITZ und SCHIGOLCH
ab
RODRIG
allein mit Alwa, sich brüsk auf der Ottomane aufrichtend
Sie wollten der verrückten Rakete noch Geld geben!?
ALWA
Was geht Sie das an?
RODRIGO
Meine Vermögensverhältnisse sind auch zerrüttet. -
Zuerst habe ich volle drei Monate im Krankenhaus gelegen, um das Terrain zu sondieren, nachdem ich mir die Qualitäten zu einem so ausgedehnten Aufenthalt auch erst mühsam zusammenhausiert hatte. - Jetzt spiele ich hier bei Ihnen, Herr Doktor, den Kammerdiener, damit keine fremde Bedienung ins Haus kommt.
Und schliesslich gedenke ich ja, aus ihr die "graziöseste Luftgymnastikerin der Jetztzeit" zu machen,
und setze deshalb gern mein Leben aufs Spiel. -
Wo hat je ein Bräutigam mehr für seine Braut getan?!
ALWA
Fräulein von Geschwitz hat Ihnen doch jeden Pfennig, den Sie ausgegeben haben, zurückerstattet.
Soviel ich weiss, beziehen Sie ausserdem noch ein monatliches Salair von 500 Mark von ihr.
Es fällt einem manchmal ziemlich schwer, an Ihre Liebe zu der unglücklichen Mörderin zu glauben.
Dagegen bin ich fest davon überzeugt, dass Sie, wenn Ihnen das heroische Unternehmen der Gräfin Geschwitz nicht zugute gekommen wäre, heute ohne einen Pfennig irgendwo betrunken im Rinnstein lägen. -
RODRIGO
Und was wäre aus Ihnen geworden, wenn Sie das Käseblatt, das Ihr Vater redigierte, nicht um zwei Millionen veräussert hätten? Was arbeiten Sie denn?
Sie haben eine Schauderoper geschrieben, in der die Waden meiner Braut die beiden Hauptfiguren sind, und das kein Hoftheater zur Aufführung bringt. Sie Nachtjacke Sie! Sie Schnodderlumpen!!
Es klopft
ALWA
Wer ist das?
RODRIGO
Das ist meine Braut! Seit einem vollen Jahre habe ich sie nicht geseh'n.
ALWA
Die können doch noch nicht zurück sein.
RODRIGO
Zum Henker, so schliessen Sie doch auf!
ALWA
Verstecken Sie sich!
RODRIGO
ist mit einem Sprung hinter der Portière links vorn, während Alwa aufschliesst.
DER GYMNASIAST
tritt hastig, den Hut in der Hand, ein
ALWA
Mit wem habe ich...
ihn erkennend
Sie? Was wünschen Sie? Wo kommen Sie her?
DER GYMNASIAST
noch etwas atemlos
Aus der - Korrektionsanstalt, aus der ich heute früh - ausgebrochen bin.
ALWA
Und was woll'n Sie von mir?
DER GYMNASIAST
Bitte, helfen Sie mir: Ich habe einen Plan, um die Frau zu befrei'n.
ALWA
Von wem sprechen Sie denn? -
Was ist das für ein Plan? - und was woll'n Sie von mir?
DER GYMNASIAST
Die Frau kann Ihnen unmöglich so gleichgültig sein, dass ich Ihnen das sagen muss. -
Was Sie vor dem Untersuchungsrichter zu Protokoll gaben, hat ihr mehr genutzt, als alles, was der Verteidiger sagte.
ALWA
Sie waren ihr bester Entlastungszeuge!
DER GYMNASIAST
Aber man glaubte mir nicht; ich wurde nicht vereidigt.
RODRIGO
tritt aus der Portière heraus; mit absichtlich schlecht gespielter Verstellung
Wünschen der Herr Baron den Kaffee im Klavier-Zimmer - oder auf der Veranda serviert?
DER GYMNASIAST
Wo kommt der Mensch her?
Aus derselben Tür! Er sprang aus derselben Tür heraus!
ALWA
Ich habe ihn in Dienst genommen; er ist zuverlässig.
DER GYMNASIAST
Ich Dummkopf!
RODRIGO
wieder seine wahre Gestalt zeigend
Sie haben uns gefehlt. Wenn Sie mir noch einmal unter die Augen kommen,
dann schlage ich Ihnen den Kürbis zu Brei zusammen!
ALWA
Seien Sie doch ruhig!
DER GYMNASIAST
Ich Dummkopf!
RODRIGO
zum Gymnasiasten
Wissen Sie denn nicht, dass die Frau seit drei Wochen tot ist?
DER GYMNASIAST
Das ist nicht wahr!
RODRIGO
Was wissen denn Sie?
Zieht eine Zeitung aus der Tasche
Bitte lesen Sie! ... Da ...: "Die Mörderin des Doktor Schön an der Cholera..."
DER GYMNASIAST
in das Zeitungsblatt sehend
"Die Mörderin des Dr. Schön an der Cholera -
RODRIGO
der dem Gymnasiasten die Fortsetzung verbergen wollte, mit dem Zeigefinger an der betreffenden Stelle
",... an der Cholera".
DER GYMNASIAST
erkrankt."
Rodrigo das Blatt aus der Hand reissend
Da steht nicht, dass sie gestorben ist.
RODRIGO
Was will sie denn sonst? Sie liegt seit drei Wochen auf dem Friedhof
gleich links um die Ecke neben dem Misthaufen!
DER GYMNASIAST
zu Alwa
Ist es wahr, dass sie tot ist?
ALWA
Gott sei Dank, ja!
DER GYMNASIAST
mit einem Blick auf die leere Staffelei
Mein Leben ist so wenig mehr wert, und ich hätte es gern ihrem Glück geopfert. -
Ach was:... ich pfeif' drauf! - Irgendwie werd' ich nun doch wohl zum Teufel geh'n!
RODRIGO
mit Geste
Und jetzt: Hinaus!
ALWA
Also geh'n Sie jetzt, bitte.
Will ihn zur Tür geleiten.
DER GYMNASIAST
Ich Dummkopf!
RODRIGO
packt den Gymnasiasten
Hinaus!
und wirft ihn zur Mitteltür hinaus. - Zurückkommend
Nimmt mich Wunder, dass Sie dem Lümmel nicht auch Ihr Portemonnaie zur Verfügung gestellt haben.
ALWA
Ich verbitte mir Ihre Unflätigkeiten! Der Junge ist im kleinen Finger mehr wert als Sie!
Oben auf der Galerie werden schleppende Schritte hörbar
RODRIGO
Da kommt sie, meine Braut: die zukünftige "pompöseste Luftgymnastikerin der Jetztzeit".
Über der Treppe teilt sich der Vorhang, und
LULU
im schwarzen Kleid der Geschwitz, auf Schigolchs Arm gestützt, schleppt sich langsam die Treppe herunter.
SCHIGOLCH
Hü, kleine Lulu: - wir müssen heut' noch über die Grenze.
RODRIGO
Lulu mit blöden Augen anglotzend
Himmel, Tod und Wolkenbruch!
LULU
sich vor Rodrigo und Schigolch noch ganz hinfällig stellend
Langsam! Ich kann nicht so schnell...
RODRIGO
sich immer mehr in Wut hineinsteigernd
Woher nimmst Du die Schamlosigkeit,
mit einem solchen Wolfsgesicht hier zu erscheinen?
SCHIGOLCH
Halt' die Schnauze!
RODRIGO
Ich laufe nach der Polizei! Ich mache Anzeige!
So was will sich in Trikots sehen lassen!
ALWA
Ich bitte Sie, die Frau nicht zu beschimpfen.
RODRIGO
Beschimpfen nennen Sie das!
Ich habe mir dieses Skelettes wegen diesen Bauch angefressen. Ich bin erwerbsunfähig.
Aber mich soll hier auf der Stelle der Blitz erschlagen, wenn ich mir nicht eine Lebensrente
aus Ihren Betrügereien herausknoble.
Schon im Abgehen
Ich laufe auf die Polizei! Glückliche Reise!
ab
SCHIGOLCH
Lauf! ... lauf!
LULU
Der wird sich hüten!
SCHIGOLCH
Den sind wir los!
ALWA
Gott sei Dank!
SCHIGOLCH
wichtigtuerisch
Und jetzt besorge ich die Schlafwagenbillette.
Zu Lulu
In einer halben Stunde hol' ich Dich.
LULU
Schon gut...
SCHIGOLCH
zu Alwa
Guten Morgen, Doktor!
ALWA
Guten Abend!
SCHIGOLCH
Angenehme Ruhe! - Auf Wiederseh'n! - Viel Vergnügen!
ab
LULU
sich leicht erhebend und von hier an ohne jede Verstellung, im muntersten Ton
O Freiheit! Hergott im Himmel!
ALWA
Willst Du nicht trinken?
LULU
Seit zwei Jahren hab' ich kein Zimmer geseh'n: Gardinen, ein Diwan und Bilder...
ALWA
ihr ein Glas reichend
Benediktiner.
LULU
Das erinnert an vergangene Zeiten.
Trinkt, sich dabei im Zimmer umsehend
Wo ist denn mein Bild?
ALWA
der sich ebenfalls ein Glas eingeschenkt hat, zum Kamin zeigend
Hier! Ich habe es mit der Vorderseite gegen den Kamin gelehnt.
LULU
Du hast es nicht angeseh'n, während ich fort war?
ALWA
Die Geschwitz hätte es gern in ihrer Wohnung aufgehängt,
aber sie hatte Hausdurchsuchungen zu gewärtigen!
LULU
froh
Nun kommt das arme Ungeheuer
statt meiner ins Gefängnis!
ALWA
Ich begreife noch jetzt nicht, wie die Ereignisse eigentlich zusammenhängen.
LULU
O, die Geschwitz hat das sehr klug eingerichtet; ich bewundere ihren Erfindungsgeist.
In Hamburg muss diesen Sommer doch die Cholera so furchtbar gewütet haben.
Darauf gründete sie ihren Plan zu meiner Befreiung.
Sie nahm hier einen Krankenpflegerinnenkursus, und als sie die nötigen Zeugnisse hatte, reiste sie damit nach Hamburg und pflegte die Cholerakranken.
Bei der ersten Gelegenheit, die sich bot, zog sie dann die Unterkleider an, in denen eben eine Kranke gestorben war, und die eigentlich hätten verbrannt werden müssen.
Am selben Morgen reiste sie noch hierher und kam zu mir ins Gefängnis, in meine Zelle; als die Aufseherin draussen war, vertauschten wir beide dann rasch unsere Unterkleider.
ALWA
Das also war die Ursache, weshalb die Geschwitz und Du
am gleichen Tage an der Cholera erkrankten?!
LULU
Gewiss! Das war der Grund. -
Die Geschwitz wurde aus ihrer Wohnung natürlich sofort in die Isolierbaracke beim Krankenhaus gebracht.
Aber mit mir wusste man auch nirgends anders hin. So lagen wir in einem Zimmer in der Isolierbaracke hinter dem Kran- kenhaus, und die Geschwitz bot vom ersten Tag an alle ihre Künste auf, um unsere Gesichter einander so ähnlich wie möglich zu machen.
Vorgestern wurde sie als geheilt entlassen. Eben nun kam sie wieder und sagte, sie habe ihre Uhr vergessen.
Ich zog ihre Kleider an, sie schlüpfte in meinen Gefängniskittel, und dann ging ich fort.
Vergnügt
Jetzt liegt sie dort drüben als die Mörderin des Doktor Schön. -
ALWA
indem er das Bild auf die Staffelei stellt
Mit Deinem Bild kannst Du es immer noch aufnehmen.
LULU
Aber im Gesicht bin ich doch schmäler geworden.
ALWA
Du sahst schrecklich elend aus, als Du herein kamst.
LULU
Das musste ich, um uns den Athleten vom Hals zu schaffen. - Komm, gib mir einen Kuss!
ALWA
In Deinen Augen schimmert es wie der Wasserspiegel in einem tiefen Brunnen, in dem man einen Stein geworfen hat.
LULU
Komm!
Sie zieht ihn neben sich auf den Diwan
ALWA
küsst sie mit grosser Innigkeit. - Sich dann von ihr sachte loslösend
Deine Lippen sind allerdings etwas schmal geworden.
LULU
Graut Dir vor mir?
Sich ihm wieder inbrünstig nähernd und ihn leidenschaft!ich küssend
ALWA
Oh! ... Oh! ... - Ich werde einen Dithyrambus schreiben über Deine Herrlichkeit.
LULU
als ob nichts geschehen wäre
Ich ärgere mich nur über das scheussliche Schuhwerk.
ALWA
Das beeinträchtigt Deine Reize nicht. - Komm, süsses Herz!
LULU
Ruhig! - Ich habe Deinen Vater erschossen.
ALWA
Deswegen liebe ich Dich nicht weniger. - Komm! - Einen Kuss! Einen Kuss!! - Einen Kuss!!!
LULU
Beug' den Kopf zurück!
Sie küsst ihn mit Bedacht -
ALWA
Wenn Deine beiden grossen Kinderaugen nicht wären,
müsste ich Dich für die abgefeimteste Dirne halten,
die je einen Mann ins Verderben gestürzt.
LULU
aufgeräumt
Wollte Gott, ich wäre das!
Vergräbt ihre Hände in sein Haar
Komm mit mir heute über die Grenze!
Dann können wir uns sehen, so oft wir wollen.
ALWA
… uns sehen, so oft wir wollen.
LULU
so oft wir wollen …
ALWA
so oft wir wollen …?
LULU
so - oft - wir …
ALWA
Durch dieses Kleid empfinde ich Deinen Wuchs wie Musik. -
Diese Knöchel: - ein Grazioso; dieses reizende Anschwellen: - ein Cantabile;
diese Knie: - ein Mysterioso; und das gewaltige Andante der Wollust. -
Wie friedlich sich die beiden schlanken Rivalen in dem Bewusstsein aneinanderschmiegen,
dass keiner dem andern an Schönheit gleichkommt, bis die launische Gebieterin erwacht, und die beiden Nebenbuhler wie zwei Pole auseinanderweichen. -
Ich werde Dein Lob singen, dass Dir die Sinne vergehen
LULU
Du kommst also heute doch mit mir … ? Kommst Du!
ALWA
Du hast mich um den Verstand gebracht …
Verbirgt sein Haupt in ihrem Schoss.
LULU
Ist das noch der Diwan, - auf dem sich - Dein Vater - verblutet hat? -
ALWA
Schweig - Schweig …
Vorhang