Herodes und Herodias
HERODES
Wo ist Salome?
Wo ist die Prinzessin?
Warum kam sie nicht wieder zum Bankett,
wie ich ihr befohlen hatte?
Ah! Da ist sie!
HERODIAS
Du sollst sie nicht ansehn.
Fortwährend siehst du sie an!
HERODES
Wie der Mond heute Nacht aussieht!
Ist es nicht ein seltsames Bild?
Es sieht aus, wie ein wahnwitziges Weib,
das überall nach Buhlen sucht.
Wie ein betrunkenes Weib das durch Wolken taumelt.
HERODIAS
Nein, der Mond ist wie der Mond,
das ist alles.
Wir wollen hineingehn.
HERODES
Ich will hier bleiben.
Manassah, leg Teppiche hierher!
Zündet Facklen an!
Ich will noch Wein mit meinen Gästen trinken!
Ah! Ich bin ausgeglitten.
Ich bin in Blut getreten,
das ist ein böses Zeichen.
Warum ist hier Blut?
Und dieser Tote?
Wer ist dieser Tote hier?
Wer ist dieser Tote?
Ich will ihn nicht sehn.
ERSTER SOLDAT
Es ist unser Hauptmann, Herr.
HERODES
Ich erliess keinen Befehl, dass er getötet werde.
ERSTER SOLDAT
Er hat sich selbst getötet, Herr.
HERODES
Das scheint mir seltsam.
Der junge Syrier, er war sehr schön.
Ich erinnre mich, ich sah seine schmachtenden Augen, wenn er Salome ansah.
Fort mit ihm!
Es ist kalt hier. Es weht ein Wind.
Weht nicht ein Wind?
HERODIAS
Nein, es weht kein Wind.
HERODES
Ich sage Euch: es weht ein Wind,
und in der Luft hör ich etwas,
wie das Rauschen von mächt'gen Flügeln.
Hört ihr es nicht?
HERODIAS
Ich höre nichts.
HERODES
Jetzt höre ich es nicht mehr.
Aber ich habe es gehört.
Es war das Wehn des Windes.
Es ist vorüber.
Horch! Hört ihr es nicht?
Das Rauschen von mächt'gen Flügeln.
HERODIAS
Du bist krank.
Wir wollen hineingehn.
HERODES
Ich bin nicht krank.
Aber deine Tochter ist krank zu Tode.
Niemals hab' ich sie so blass gesehn.
HERODIAS
Ich habe dir gesagt, du sollst sie nicht ansehn.
HERODES
Schenkt mir Wein ein!
Salome, komm, trink Wein mit mir,
einen köstlichen Wein.
Cäsar selbst hat ihn mir geschickt.
Tauche deine kleinen Lippen hinein, deine kleinen roten Lippen, dann will ich den Becher leeren.
SALOME
Ich bin nicht durstig, Tetrarch.
HERODES
zu Herodias
Hörst du, wie sie mir antwortet, diese deine Tochter?
HERODIAS
Sie hat recht.
Warum starrst du sie immer an?
HERODES
Bringt reife Früchte!
Salome, komm, iss mit mir von diese Früchten.
Den Abdruck deiner kleinen weissen Zähne in einer Frucht seh' ich so gern.
Beiss nur ein wenig ab, nur ein wenig von dieser Frucht,
dann will ich essen, was übrig ist.
SALOME
Ich bin nicht hungrig, Tetrarch.
HERODES
zu Herodias
Du siehst, wie du diese deine Tochter erzogen hast!
HERODIAS
Meine Tochter und ich stammen aus königlichem Blut.
Dein Vater war Kameeltreiber, dein Vater war ein Dieb
und ein Räuber oben drein.
HERODES
Salome, komm, setz dich zu mir.
Du sollst auf dem Thron deiner Mutter sitzen.
SALOME
Ich bin nicht müde, Tetrarch.
HERODIAS
Du siehst, wie sie dich achtet.
HERODES
Bringt mir… was wünsche ich denn?
Ich habe es vergessen.
Ah! Ah! Ich erinnre mich.
DIE STIMME VON JOCHANAAN
Sieh', die Zeit ist gekommen,
der Tag von dem ich sprach, ist da.
HERODIAS
Heiss' ihn schweigen!
Dieser Mensch beschimpft mich!
HERODES
Er hat nichts gegen dich gesagt.
Überdies ist er ein sehr grosser Prophet.
HERODIAS
Ich glaube nicht an Propheten.
Aber du, du hast Angst vor ihm.
HERODES
Ich habe vor niemanden Angst.
HERODIAS
Ich sage dir, du hast Angst vor ihm.
Warum lieferst du ihn nicht den Juden aus,
die seit Monaten nach ihm schreien?
ERSTER JUDE
Wahrhaftig, Herr, es wäre besser,
ihn in unsre Hände zu geben!
HERODES
Genug davon!
Ich werde ihn nicht in Eure Hände geben.
Er ist ein heil'ger Mann.
Er ist ein Mann, der Gott geschaut hat.
ERSTER JUDE
Das kann nicht sein.
Seit dem Propheten Elias hat niemand Gott gesehn.
Er war der letzte, der Gott von Angesicht geschaut.
In unsern Tagen zeigt sich Gott nicht.
Gott verbirgt sich.
Darum ist grosses Übel über das Land gekommen,
grosses Übel.
ZWEITER JUDE
In Wahrheit weiss niemand,
ob Elias in der Tat Gott gesehen hat.
Möglicherweise war es nur
der Schatten Gottes, was er sah.
DRITTER JUDE
Gott ist zu keiner Zeit verborgen.
Er zeigt sich zu allen Zeiten und an allen Orten.
Gott ist im schlimmen ebenso wie im guten.
VIERTER JUDE
zu dritter Jude
Du solltest das nicht sagen,
es ist eine sehr gefährliche Lehre aus Alexandria.
Und die Griechen sind Heiden.
FÜNFTER JUDE
Niemand kann sagen, wie Gott wirkt.
Seine Wege sind sehr dunkel.
Wir können nur unser Haupt unter seinen Willen beugen,
denn Gott ist sehr stark.
ERSTER JUDE
Du sagst die Wahrheit.
Fürwahr, Gott ist furchtbar.
Aber was diesen Menschen angeht,
der hat Gott nie gesehn.
Seit dem Propheten Elias hat niemand Gott gesehn.
Er war der letzte, usw.
ZWEITER JUDE
In Wahrheit weiss niemand, usw.
Gott ist furchtbar,
er bricht den Starken in Stücke,
den Starken wie den Schwachen,
denn jeder gilt ihm gleich.
Möglicherweise, usw.
DRITTER JUDE
Gott ist zu keiner Zeit verborgen, usw.
VIERTER JUDE
Du solltest das nicht sagen, usw.
Sie sind nicht einmal beschnitten.
Niemand kann sagen, wie Gott wirkt,
denn Gott ist sehr stark.
Er bricht den Starken wie den Schwachen in Stücke.
Gott ist stark.
FÜNFTER JUDE
Niemand kann sagen, wie Gott wirkt, usw.
Es kann sein dass die Dinge, die wie gut nennen, sehr schlimm sind, und die Dinge, die wir schlimm nennen, sehr gut sind.
Wir wissen von nichts etwas.
HERODIAS
zu Herodes
Heiss' sie schweigen,
sie langweilen mich.
HERODES
Doch' hab ich davon sprechen hören, Jochanaan sei in Wahrheit Euer Prophet Elias.
ERSTER JUDE
Dass kann nicht sein.
Seit den Tagen des Propheten Elias sind
mehr als dreihundert Jahre vergangen.
ERSTER NAZARENER
Mir ist sicher, dass er der Prophet Elias ist.
ERSTER JUDE
Das kann nicht sein, usw.
DIE ANDEREN JUDE
Keineswegs, er ist nicht der Prophet Elias.
HERODIAS
Heiss' sie schweigen!
DIE STIMME VON JOCHANAAN
Siehe, der Tag ist nahe,
der Tag des Herrn,
und ich höre auf den Bergen die Schritte Dessen,
der sein wird der Erlöser der Welt.
HERODES
Was soll das heissen, der Erlöser der Welt?
ERSTER NAZARENER
Der Messias ist gekommen.
ERSTER JUDE
Der Messias ist nicht gekommen.
ERSTER NAZARENER
Er ist gekommen,
und allenthalben tut er Wunder.
Bei einer Hochzeit in Galiläa
bat er Wasser in Wein verwandelt.
Er heilte zwei Aussätzige von Kapernaum.
ZWEITER NAZARENER
Durch blosses Berühren!
ERSTER NAZARENER
Er hat auch Blinde geheilt.
Man hat ihn auf einem Berge im Gespräch mit Engeln gesehn!
HERODIAS
Oho! Ich glaube nicht an Wunder,
ich habe ihrer zu viele gesehn!
ERSTER NAZARENER
Die Tochter des Jarus hat er von den Toten erweckt.
HERODES
Wie, er erweckt die Toten?
ERSTER und ZWEITER NAZARENER
Jawohl. Er erweckt die Toten.
HERODES
Ich verbiete ihm, das zu tun.
Es wäre schrecklich, wenn die Toten wiederkämen!
Wo ist der Mann zur Zeit?
ERSTER NAZARENER
Herr, er ist überall, aber es ist schwer, ihn zu finden.
HERODES
Der Mann muss gefunden werden.
ZWEITER NAZARENER
Er heisst, in Samaria weile er jetzt.
ERSTER NAZARENER
Vor ein paar Tagen verliess er Samaria, ich glaube, im Augenblick ist er in der Nähe von Jerusalem.
HERODES
So hört:
ich verbiete ihm die Toten zu erwecken!
Es müsste schrecklich sein,
wenn die Toten wiederkämen!
DIE STIMME VON JOCHANAAN
O, über dieses geile Weib, die Tochter Babylons,
so spricht der Herr, unser Gott!
HERODIAS
Befiehl ihm, er soll schweigen.
DIE STIMME VON JOCHANAAN
Eine Menge Menschen wird sich gegen sie sammeln,
und sie werden Steine nehmen und sie steinigen!
HERODIAS
Wahrhaftig,
er ist schändlich!
DIE STIMME VON JOCHANAAN
Die Kriegshauptleute werden sie mit ihren Schwertern durchbohren, sie werden sie mit ihren Schilden zermalmen!
HERODIAS
Er soll schweigen! Er soll schweigen!
DIE STIMME VON JOCHANAAN
Es ist so, dass ich alle Verruchtheit austilgen werde
dass ich alle Weiber lehren werde, nicht auf den Wegen ihrer Greuel zu wandeln!
HERODIAS
Du hörst, was er gegen mich sagt,
du duldest es, dass er die schmähe,
die dein Weib ist?
HERODES
Er hat deinem Namen nicht genannt.
DIE STIMME VON JOCHANAAN
Es kommt ein Tag, da wird die Sonne finster werden wie ein schwarzes Tuch.
Und der Mond wird werden wie Blut,
und die Sterne des Himmels werden zur Erde fallen wie unreife Feigen vom Feigenbaum.
Es kommt ein Tag, wo die Kön'ge der Erde erzittern.
HERODIAS
Ha, ha! Dieser Prophet schwatzt wie ein Betrunkener.
Aber ich kann den Klang seiner Stimme nicht ertragen,
ich hasse seine Stimme.
Befiehl ihm, er soll schweigen.
HERODES
Tanz für mich, Salome.
HERODIAS
Ich will nicht haben, dass sie tanzt.
SALOME
Ich habe keine Lust zu tanzen, Tetrarch.
HERODES
Salome Tochter der Herodias, tanz für mich!
SALOME
Ich will nicht tanzen, Tetrarch.
HERODIAS
Du siehst, wie sie dir gehorcht.
DIE STIMME VON JOCHANAAN
Er wird auf seinem Throne sitzen, er wird gekleidet sein in Scharlach und Purpur.
Und der Engel de Herrn wird ihn darniederschlagen.
Er wird von den Würmern gefressen werden.
HERODES
Salome, Salome, tanz für mich, ich bitte dich.
Ich bin traurig heute Nacht, drum tanz für mich.
Salome, tanz für mich!
Wenn du für mich tanzest,
kannst du von mir begehren was du willst.
Ich werde es dir geben.
SALOME
Willst du mir wirklich alles geben,
was ich von dir begehre, Tetrarch?
HERODIAS
Tanze nicht, meine Tochter.
HERODES
Alles, alles, was du von mir begehren wirst,
und wär's die Hälfte meines Königreichs.
SALOME
Du schwörst, Tetrarch?
HERODES
Ich schwör' es, Salome.
SALOME
Wobei willst du das beschwören, Tetrarch?
HERODES
Bei meinem Leben,
bei meiner Krone,
bei meinen Göttern.
HERODIAS
Tanze nicht, meine Tochter!
HERODES
O Salome, Salome, tanz für mich!
SALOME
Du hast einen Eid Geschworen, Tetrarch.
HERODES
Ich habe einen Eid geschworen.
HERODIAS
Meine Tochter, tanze nicht.
HERODES
Und wär's die Hälfte meines Königreichs.
Du wirst schön sein als Königin, unermesslich schön.
Ah! Es ist kalt hier.
Es weht ein eis'ger Wind, und ich höre…
warum höre ich in der Luft dieses Rauschen von Flügeln?
Ah! Es ist doch so, als ob ein ungeheurer,
schwarzer Vogel über der Terrasse schwebte?
Warum kann ich ihn nicht sehn, diesen Vogel?
Dieses Rauschen ist schrecklich.
Es ist ein schneidender Wind.
Aber nein, er ist nicht kalt, er ist heiss.
Giesst mir Wasser über die Hände,
gebt mir Schnee zu essen,
macht mir den Mantel los.
Schnell, schnell, macht mir den Mantel los!
Doch nein! Lasst ihn!
Dieser Kranz drückt mich.
Diese Rosen sind wie Feuer.
Ah! Jetzt kann ich atmen.
Jetzt bin ich glücklich.
Willst du für mich tanzen, Salome?
HERODIAS
Ich will nicht haben, dass sie tanze!
SALOME
Ich will für dich tanzen.
DIE STIMME VON JOCHANAAN
Wer ist der, der von Edom kommt?
Wer ist der, der von Bosra kommt,
dessen Kleid mit Purpur gefärbt ist,
der in der Schönheit seiner Gewänder leuchtet,
der mächtig in seiner Grösse wandelt?
Warum ist dein Kleid mit Scharlach gefleckt?
HERODIAS
Wir wollen hineingehn.
Die Stimme dieses Menschen macht mich wahnsinnig.
Ich will nicht haben, dass meine Tochter tanzt, während er immer dazwischen schreit.
Ich will nicht haben, dass sie tanzt, während du sie auf solche Art ansiehst.
Mit einem Wort: Ich will nicht haben, dass sie tanzt.
HERODES
Steh nicht auf, mein Weib, meine Königin.
Es wird dir nichts helfen,
ich gehe nicht hinein, bevor sie getanzt hat.
Tanze, Salome, tanz für mich!
HERODIAS
Tanze nicht, meine Tochter!
SALOME
Ich bin bereit, Tetrarch.
Salome tanzt