ZWEITER AUFZUG
ERSTER AUFTRITT
Sultan Soliman und Osmin, Oberster der Leibwache
Nr. 9 - Melologo
SOLIMAN
Zaide entflohen!
Kann ich den entsetzlichen Schimpf überleben?
Von einem Christenhunde,
von einem Sklaven lässt sie sich verführen!
Die Schlange,
die sich so gegen die Liebe eines Sultans
gewehrt hat.
Warum -
warum habe ich sie nicht verachtet,
diese Undankbare?
Warum musste mir ihre gleissnerische Sittsamkeit
mein Herz entflammen?
Warum gestattete ich der Heuchlerin
so ungewöhnliche Freiheiten?
O Verräterei!
OSMIN
Grossmächtigster Sultan!
Das Haupt dieser Verräterei ist leicht zu erraten.
Allazim ist ebenfalls entflohen.
Aber seid gewiss, Herr, man wird sie einholen, ehe sie
die Grenzen eures Gebiets erreichen können.
Ich erwarte mit jedem Augenblick
die Einbringung der Flüchtigen.
SOLIMAN
O Mahomed, lass es wahr sein.
Beim ersten Anblick will ich die verräterische Brut
in Stücke hauen lassen.
Ich werde mein Herz in Stein verwandeln,
die grenzenlose Beleidigung
der treulosen Sklavenbuhlerin rächen.
Verfluchte Liebe!
Folter des Herzens!
Verwünschen will ich auf immer die Süssigkeit,
die du unserer betrogenen Einbildung
in der Ferne vorspiegeln
und beim Ziele der Wirklichkeit
so schlecht gewähren kannst.
Fort aus meinem Busen!
Fort!
Jede Art dir zu fronen ist mir verhasst!
Unedler Zwang bringt mir Ekel,
durch Geschenke erobern ist Schande für mich.
Fort also,
weg mit der schandvollen Dienstbarkeit!
Und es soll mir nicht genug sein,
die Fessel zu zerreissen!
Grausam!
Grausam will ich auch ihre gefühlte Bürde rächen!
ZWEITER AUFTRITT
Arie
SOLIMAN
Der stolze Löw' lässt sich zwar zähmen,
er nimmt vom Schmeichler Fessel an,
doch will man sklavisch ihn beschämen,
steigt seine Wut bis zum Tyrann.
Er brüllet mit furchtbarer Stimme
und schleudert im wütenden Grimme
die Ketten in Trümmern zur Erd',
und was ihm entgegen,
wird von seinen Schlägen
zum Tode, zum Tode verheert.
DRITTER AUFTRITT
Monolog
OSMIN
Nun, so wären wir den Allazim los! Und wer wird zur rechten Hand des Sultans? Wer wird mächtig und reich?
Ha, ha, ha, ich selber, Osmin! Die Gelegenheit lass ich mir nicht entgeh'n!
Nr. 10 - Arie
OSMIN
Wer hungrig bei der Tafel sitzt
und schmachtend Speis' und Trank nicht nützt,
mag selbst sein Glück nicht machen.
Er ist fürwahr ein ganzer Narr.
Wer soll nicht drüber lachen? Ha…ha!
Wer schnatternd über Kälte lärmt
und sich bei naher Glut nicht wärmt,
mag selbst sein Glück nicht machen.
Er ist fürwahr, etc.
Wer winselt, jammert, schreit und flucht,
und was er hat, erst ängstlich sucht,
mag selbst sein Glück nicht machen.
Er ist fürwahr, etc.
VIERTER AUFTRITT
Dialog
SOLIMAN
Da steht ihr also vor mir, Verräter! Ha, ha, ha, ha! Glaubtet ihr meinen Häschern zu entfliehen?
Bringt sie ins Gefängnis! Schon morgen werden sie mit den grössten Qualen hingerichtet!
ZAIDE
Oh grosser Soliman, ist das die Liebe und die Zärtlichkeit, die ihr gegen mich zu fühlen vorgabt?
SOLIMAN
Schweigt, Zaide! Du, Allazim, der sie zur Flucht verleitet, wirst zusehen, wie sie vor deinen Augen gezüchtigt werden.
Nr. 11 - Arie
SOLIMAN
Ich bin so bös' auch als gut.
Ich lohne die Verdienste
mit reichlichem Gewinnste;
doch reizt man meine Wut,
so hab' ich auch wohl Waffen,
das Laster zu bestrafen,
und diese fordern Blut.
FÜNFTER AUFTRITT
Monolog
ZAIDE
Weshalb muss ich im dunklen Kerker schmachten? Weshalb? Nur weil ich die Freiheit liebte? - Ich soll Folter und Tod erleiden, weil ich nicht Sklavin sein will.
Nr. 12 - Arie
ZAIDE
Trostlos schluchzet Philomele,
in dem Käfig eingeschränkt,
und beweint mit reger Kehle,
dass man ihre Freiheit kränkt.
Tag und Nacht mag sie nicht schlafen,
hüpfend sucht sie Raum zur Flucht.
Ach, wer könnte sie wohl strafen,
wenn sie findet, was sie sucht.
SECHSTER AUFTRITT
Dialog
SOLIMAN
Hört, Zaide, ich werde euch die Freiheit schenken, aber um eine Bedingung: dass du mir die Wahrheit gestehst! - Warum bist du entflohen, da ich dir alle Vergünstigung gewährte?
ZAIDE
Grosser Soliman, die Sehnsucht nach der Heimat hat mich getrieben!
Und - eure Grossmut möge mir verzeihen - ich kann euch nicht lieben! Ihn, Gornatz, lieb' ich über alles!
SOLIMAN
Du sprichst aus, was ich befürchtet habe. Meine Rache wird grausam sein. Du hieltest mich für ein Lamm, aber du wirst erfahren, dass ich ein Tiger bin.
Nr. 13 - Arie
ZAIDE
Tiger! wetze nur die Klauen,
freu' dich der erschlichnen Beut'.
Straf' ein törichtes Vertrauen
auf verstellte Zärtlichkeit .
Komm' nur schnell und töt' uns beide,
saug' der Unschuld warmes Blut.
Tiger! reiss' das Herz vom Eingeweide
und ersätt'ge deine Wut.
Ach mein Gomatz! mit uns Armen
hat das Schicksal kein Erbarmen.
Nur der Tod
endigt unsre herbe Not.
Tiger! wetze nur die Klauen, etc.
SIEBENTER AUFTRITT
Dialog
SOLIMAN
Nun zu dir, Allazim, warum hast du mein Vertrauen getäuscht? Du warst mein Sklave, aber gab ich dir nicht alles?
ALLAZIM
Nur meine Freiheit nicht! Kann ein Mensch ohne Freiheit glücklich sein?
SOLIMAN
Ich habe viele Sklaven. Wie könnt' ich mich um das Glück jedes einzelnen kümmern?
Nr. 14 - Arie
ALLAZIM
Ihr Mächtigen seht ungerühr
auf eure Sklaven nieder,
und weil euch Glück und Anseh'n ziert,
verkennt ihr eure Brüder.
Nur der kennt Mitleid, Huld und Gnad',
der, eh' man ihn zum Rang erhoben,
des wandelbaren Schicksals Proben
im niedern Staub gesammelt hat.
Dialog
SOLIMAN
Es ist umsonst. Führt sie hinweg!
ALLAZIM
leise
O grausames Geschick! Heut' bringt mich eine gute Tat ums Leben und eine andere gute Tat bracht' einst mich um die Freiheit.
SOLIMAN
Was sprichst du da? Was ist deiner dunklen Worte Sinn?
ALLAZIM
Vor fünfzehn Jahren war's. Das spanische Kriegsschiff, das ich als Kapitän befehligte, lag bei Oran. Vor unsern Augen kaperten Piraten eine friedliche türkische Galeere. Wir eilten ihr zu Hilfe, und es gelang uns, sie zu befreien und den Angreifer zu verjagen. Dabei jedoch gerieten wir in eine ganze Flotte von Piraten. Gefangenschaft war unser Los.
SOLIMAN
O Wunder! Wie, Allazim, du warst der edle Kapitän, der damals mich vor den Piraten gerettet hat? Und das blieb mir fünfzehn Jahre lang verschwiegen! Man nehme ihm sofort die Eisen ab!
ALLAZIM
Grosser Sultan, ich könnt' nicht glücklich leben, wenn ihr nicht auch den beiden Gnade schenken würdet.
SOLIMAN
Vergeblich bittest du, mein edler Freund, sie sollen meine ganze Rache spüren!
ACHTER AUFTRITT
Nr. 15 - Quartett
GOMATZ
Freundin! stille deine Tränen,
lass den Tod die Liebe krönen.
ALLAZIM
Welch ein Schmerz! mein Herze bricht.
SOLIMAN
Alle Tränen nützen nicht.
ZAIDE
Lass mich, Herr, allein verderben,
ich bin schuldig, Gomatz nicht.
SOLIMAN
Alle beide müsst ihr sterben!
ALLAZIM
Welch ein Schmerz! mein Herze bricht!
ZAIDE, GOMATZ
Himmel, höre doch mein Flehen,
lass allein (mit ihr) mich untergehen.
ALLAZIM
Soliman, ach hör' mein Flehen,
lass sie nicht zugrunde gehen.
SOLIMAN
Fort, vergebens ist dein Flehen,
lass sie nur zugrunde gehen.
ZAIDE, GOMATZ
Ach das Leben hat für mich
keine Reize mehr in sich (ohne dich).
ALLAZIM
Mitleid, Herr, erhöre mich,
Mitleid, Herr, besänft'ge dich.
SOLIMAN
Fort, umsonst bemühst du dich,
geh'. dein Fleh'n beleidigt mich.
Dialog
ALLAZIM
O grosser Soliman, ich bedarf nicht deiner Dankbarkeit. Gewähre sie lieber diesen jungen Menschen, die noch das Leben vor sich haben. Fünfzehn Jahre habe ich dir gedient, drum nimm mein altes Leben jetzt an ihrer Stelle und lass mich für Zaide und Gomatz sterben.
SOLIMAN
Dein Edelmut, Allazim, hat den Weg zu meinem Herzen gefunden. Ein Muselmann kann ebenso grossmütig sein wie ein Spanier. Befreit sie denn und bringt sie auf ein Schiff, das in ihre Heimat segelt. Leb wohl, Zaide. Leb wohl, Gomatz, trachte sie zu verdienen. - Aber du, Allazim, verlass mich nicht. Hilf mir, so edel zu sein wie du. Es befiehlt nicht dein Herr, es bittet dich dein Bruder.