SYMPHONIA
Ostervesper und Frühlingskeimen. Vor dem Vorhang.
DER DICHTER
an die Zuschauer
Von Kind auf hat ein Stück mich hingerissen,
darin der Teufel was zu sagen hat,
des Kindes Ahnung wird, im Mann, zum Wissen,
doch hälfe Wissen nicht, würd' es nicht Tat;
würde nicht Regung in Bewusstsein fliessen,
und in Anschauung dies, aus einer Saat:
Es liegt im Kind, wie in des Keims Gewalten,
der volle Trieb zum späteren Gestalten.
Die Bühne zeigt vom Leben die Gebärde,
Unechtheit steht auf ihrer Stirn geprägt;
auf dass sie nicht zum Spiegel-Zerrbild werde,
als Zauberspiegel wirk' sie schön und echt;
gebt zu, dass sie das Wahre nur entwerte,
dem Unglaubhaften wird sie erst gerecht:
und wenn ihr sie, als Wirklichkeit, belachtet,
zwingt sie zum Ernst, als reines Spiel betrachtet.
In dieser Form allein ruft sie nach Tönen,
Musik steht dem Gemeinen abgewandt;
ihr Körper ist die Luft, ihr Klingen Sehnen,
sie schwebt ... Das Wunder ist ihr Heimatland.
Drum hielt ich Umschau unter allen jenen,
die mit dem Wunder wirkten, Hand in Hand:
Ob gut, ob böse, ob verdammt, ob selig,
sie ziehn mich an mit Macht unwiderstehlich.
Von dreien, die ich weiss, der Teufelsritter,
ward einer von dem Bösen selbst gezeugt;
die Jungfrau überfällt's wie ein Gewitter,
aus ihrem Schoss darauf Merlin entsteigt;
den dunklen Mächten späterhin entglitt er,
wenn er sich vor dem Höheren gebeugt:
Allwissenheit, vom Vater mitgegeben,
er nützt sie aus zu einem Segensleben.
Beim zweiten miss ich ganz die Widersprüche,
als Einheit steht er da, ein Mann und echt,
sein Wagmut steigt ins Ungeheuerliche
und tausend Künste weiht er – dem Geschlecht,
wo ist der Zwang, dem Don Giovanni wiche?
Ein solcher wär' als Held mir eben recht:
doch Meister Wolfgang ist's zu gut gelungen,
für immer hat er diesen Sang gesungen.
Der dritte meiner Reih' ist nicht geringer,
ein trotz'ger Geist, ein Einzelner, auch er:
ein Tiefbelesener, ein Höllenzwinger,
vieldeutiger zumal, und sonst auch mehr,
ein schwacher Mensch und doch ein starker Ringer.
Den Zweifel tragen hin und wieder her:
Herr des Gedankens, Diener dem Instinkt,
dem das Erschöpfen keine Lösung bringt.
Das End' ist Schrecken, doch sein Name steht,
die Chronik hält ihn, artet in Legende,
die Dichtung folgt, Unsterblichkeit umweht,
und des Nachbildens, Schmückens ist kein Ende;
als lebensähnlich die Gestalt ersteht,
täuschend bewegt durch unsichtbare Hände:
das Puppenspiel vom Faust zieht durch die Zeiten,
Ergriffenheit und Staunen zu bereiten.
Zu Frankfurt war's, am Tag, und vor den Toren,
unter dem Volk ein Zaubrer fand sich ein;
der griff entschlossen nach des Spiels Figuren,
da schwand die Schau, als wär' sie Dunst und Schein.
Gemächlich erst, und in den alten Spuren,
haucht er den Sinn des Lebens ihnen ein:
sie wachsen fort, ins Mystische gelenkt,
zu Höchst geschleudert und zu Tiefst versenkt.
Und mit dem letzten Spruch von hinnen reist er.
Der Rätselbau zeigt jegliche Gestalt;
von allen Seiten zieht er an die Geister,
er ist die Form für jeglichen Gehalt.
Doch was vermöcht', gen Zauberer, ein Meister!
Des Menschen Lied am Göttlichen verschallt:
also belehrt erkannt' ich meine Ziele
und wandte mich zurück – zum Puppenspiele.
Besah mir nah die schlicht geformten Bilder,
die waren schöner jetzt, durch höheres Alter;
ich firnisste, hantierte als Vergülder –
(es wirkt die Zeit nicht minder als Zerspalter)
ich schärfte Eines, Andres strich ich milder,
und aus der Larve flog herauf ein Falter:
ins Altgewebte flocht ich neue Maschen,
vergess'nes Muster wird euch überraschen.
So stellt mein Spiel sich wohl lebendig dar,
doch bleibt sein Puppenursprung offenbar.
VORSPIEL I
Wittenberg. Vormittags. Studierzimmer. Hoher gotischer Raum, halb Bibliothek und halb alchemistische Küche, der sich in undeutliche Tiefe verliert; etwas verwittert. Faust, am Herde, mit der Beobachtung eines werdenden chemischen Vorganges beschäftigt und völlig darin vertieft. Nach kurzer Stille tritt Wagner ein
WAGNER
Euerer Magnifizenz Verzeihung ...
Da Faust keine Antwort gibt, verbleibt Wagner in respektvoller Erwartung
Euerer Magnifizenz Verzeihung: allein, es melden sich drei Studenten.
FAUST
Ihr Wunsch?
WAGNER
Sie wollen ein Buch überreichen –.
FAUST
Wagner, wahrhaftig! Ich mag so nicht weiter. Das Leben rollt rascher und – nicht mehr aufwärts. Nicht darf ich so breite Zeit an andre wenden. Und dem hilft doch kein Rat, der sich nicht selber besinnt! – Macht mich bei ihnen entschuldigt.
WAGNER
Euerer Magnifizenz Verzeihung. Es ist keine Arbeit diesmal, die man von Ihnen heischt. Das Buch mag sein eine seltene Handschrift, denn es trägt einen sonderlichen Titel: Clavis Astartis Magica ...
FAUST
in höchster Überraschung
Clavis Astartis –? Irrt Ihr Euch nicht? Wollt Ihr mich gar nasführen! Fangt Ihr Grillen? Seht Ihr Geister?
WAGNER
Nein, nein, ich kann Magnifizenz versichern.
FAUST
mit einfachem Entschluss
Also lasst die Studenten ein.
Wagner ab
FAUST
Faust, Faust, nun erfüllt sich dein Augenblick! Die Zaubermacht in meine Hand gegeben, die ungeheueren Zeichen mir erschlossen, heimliche Gewalten mir geknechtet, und ich kann – ja, ich kann – o, ihr Menschen, die ihr mich gepeinigt.
Hütet euch vor Faust! In seine Hand die Macht gegeben, heimliche Gewalt ihm zu Gebot, er wird euch zwingen, euch bezwingen. Wehe, wehe über euch!
Er lässt den Kopf sinken. ...
Wenn Wagner dennoch irrte ...
vielleicht zum Heile ...?
Faust seufzt tief
WAGNER
tritt ein
Euere Magnifizenz, die Studenten sind hier.
FAUST
gefasst
Sie sollen kommen.
Wagner gibt ein Zeichen nach der Tür hin. Es treten auf drei schwarzgekleidete Studenten
FAUST
Wer seid ihr?
DIE DREI
Studenten aus Krakau.
FAUST
O, mein altes, mein teures Krakau! Eure Gestalten rufen die Jugend mir zurück. Träume! Pläne! Wieviel hatt' ich gehofft! – Seid willkommen.
Die Studenten verneigen sich zu dritt
Und was führt euch zu mir?
DER ERSTE
Dieses Buch leg' ich in Eure Hand.
Faust unterdrückt eine Bewegung des Ungestüms
DER ZWEITE
Von mir erhaltet Ihr den Schlüssel.
DER DRITTE
Diese Briefschaft macht es zu Euerem Eigentum.
FAUST
Wie kommt ein solches Geschenk mir zu?
DIE DREI
Du bist der Meister!
FAUST
Also darf ich es eignen?
DIE DREI
Es ist deines.
FAUST
Und wie soll ich euch dieses vergelten?
DIE DREI
Später. Leb' wohl, Faust.
FAUST
Verweilet, bleibet meine Gäste!
DIE DREI
Leb' wohl, Faust.
FAUST
So saget, dass ich euch wiederseh.
DIE DREI
Vielleicht. Leb' wohl, Faust.
Sie gehen ab
FAUST
sieht ihnen kopfschüttelnd nach
Sonderlinge!
Wagner tritt wieder ein
FAUST
Habt Ihr den Studenten begegnet? Und wollt Ihr nicht sie geleiten?
WAGNER
Euere Magnifizenz, ich begegnete keinem.
FAUST
Soeben gingen sie.
WAGNER
Ich sah niemanden.
FAUST
Ihr habt sie versäumt. Ach, nun weiss ich, wer sie gewesen.
Der Metallbrei auf dem Herd überkocht mit lautem Geprassel. Wagner eilt geschäftig hinzu
VORSPIEL II
Der nämliche Raum um die Mitternacht
FAUST
Die Sanduhr zeigt die Mitternacht: ich darf beginnen. Rätselvolles Geschenk, nun sollst du dich bewähren.
Faust entschliesst sich und schlägt das Buch des Astartis auf
So wäre dies die erste Handlung!
Er löst seinen Gürtel und bildet mit ihm einen Kreis auf dem Boden; tritt in den Kreis, den Schlüssel in der Hand
Luzifer! Luzifer! Gefallener Engel, du, der Stolzeste, herbei!
Er hebt den Schlüssel, der erstrahlt
Luzifer! Hierher zu mir!
Fahlgrünes Leuchten durchtanzt den Raum. Der Schlüssel erstrahlt mehr und mehr. Eine sichtliche Erregung überfällt Faust
UNSICHTBARER CHOR
Dein Begehr?
FAUST
Entsende mir deine Diener.
CHOR
Du willst?
FAUST
Ich will.
CHOR
Du beharrst?
FAUST
Ja, ich will!
CHOR
Sie kommen! Sie kommen!
Die Studierlampe und der Schlüssel erlöschen. Sechs Zungenflammen schweben im Raum
FAUST
Was tat ich!
Drückende Stille
Wie konnt' es alsobald gelingen? Darf ich mich weiter wagen?
Gedrückt
Ich sollte sie befragen, doch es ekelt mich davor, schon ihre Stimmen könnten mich töten.
CHOR
Frage, immerhin.
FAUST
Wohlan. So sprich, du Erster, du Tiefster: gib deinen Namen.
ERSTE STIMME
Gravis.
FAUST
Sag' an, wie sehr du geschwind bist.
ERSTE STIMME
Wie der Sand in dem Uhrglas.
FAUST
höhnisch
Wie der Sand in dem Uhrglas?
Heftig
Hinweg, kriechendes Wesen. Verlösche.
Die erste Flamme erlischt, für sich
Sie gehorchen.
Laut
Der Zweite! Welcher bist du?
ZWEITE STIMME
Levis. Ich bin geschwind wie das fallende Laub.
FAUST
Der Mensch fällt hurtiger als du: verschwinde.
Die zweite Flamme erlischt
FAUST
bereits sicherer
Gib Rede, Dritter, gleich den andren.
DRITTE STIMME
Ich bin Asmodus. Ich eile wie der Bach, der sich vom Felsen stürzt: über Bergeskämme, durch die Felder sprudelnd, hin bis zum Ozean!
FAUST
Ein Prahler bist du. Dich zieht es nur abwärts: fort mit dir! Fort!
Die dritte Flamme erlischt. Für sich
Mein Hoffen sinkt, ob auch mein Mut sich hebt. Offenbare dich, Vierter.
VIERTE STIMME
Ich bin Fürst Beelzebuth.
CHOR
Beelzebuth.
VIERTE STIMME
Ich schnelle wie die Kugel aus dem Rohre; genügt's dir?
CHOR
Genügt's dir?
FAUST
Nein. Ein Spottfürst! Ist die Flinte nicht etwa Menschenwerk? Ist des Menschen Wunsch, ist denn nicht sein Traum höherzielend, weitertragend? Wie könntest du mir, Faust, genügen? Entweiche.
Die vierte Flamme erlischt
FAUST
– und du, und du, Zweitletzter, nenn' dich, bezeichne dich, Fünfter!
FÜNFTE STIMME
Schaue hier, Megäros –.
CHOR
Schaue hier, Megäros.
FÜNFTE STIMME
- wie der Sturm behende.
FAUST
Das klingt nach Etwas, doch es erschöpft nicht. Ich blase, Sturm, dich aus: verwehe.
Die fünfte Flamme erlischt
CHOR
höhnend
Üh!
FAUST
gebietend
Schweiget!
FAUST
tritt aus dem Kreise
Ein einzelner blieb. Ich zög're, die letzte Hoffnung zu zerstören: mir bangt vor der eklen Leere, die folgen muss. So wäre dies der ganze Höllenprunk! Wie steht doch eines Menschen Geist darüber.
In ihm ist des Gottes Hauch. Wie ich euch verachte, die ihr hier gedämmert, und nun dunkelt, ihr Dünkelhaften! Ich kehre mich ab von euch. – Welchem Wahn gab ich mich hin! Arbeit, heilende Welle, in dir bade ich mich rein.
SECHSTE STIMME
Faust!
FAUST
erregt
Wie hell flackert das Licht. Ist es von ihm aus, dass die Stimme ruft? Wie hoch züngelt es auf! Wirst auch nicht mehr vermögen, als die andren, o du lichtere Flamme. Ich mag nichts erfahren von dir.
SECHSTE STIMME
Faust!
FAUST
Noch einmal? Und dringender? So magst du reden.
SECHSTE STIMME
Faust, ich bin geschwind als wie des Menschen Gedanke.
FAUST
betroffen
Als wie des Menschen Gedanke!? Was will ich mehr? Konnt' ich so viel erhoffen? Was will ich mehr denn! Als dass Erfüllung schreite mit dem Wunsche; als dass die Tat zugleich ins Leben trete mit der Absicht! Dein Name?
SECHSTE STIMME
Mephistopheles.
FAUST
»Mephistopheles?« So zeige dich in greifbarer Gestalt.
Mephistopheles tritt unbemerkt ein und verbleibt in serviler Haltung. Er trägt ein anliegendes schwarzes Gewand. – Faust, der noch die Flamme anstarrte, erblickt ihn unerwartet und unterdrückt eine Regung des Widerwillens
FAUST
Willst du mir dienen?
MEPHISTOPHELES
Fragt sich, in welcher Weise?
FAUST
nach Sammlung ringend
Beschaffe mir für meines Lebens Rest
die unbedingte Erfüllung jeden Wunsches,
lass mich die Welt umfassen, – den Osten und den Süden, die mich rufen – lass mich des Menschen Tun vollauf begreifen und ungeahnt erweitern; Gib mir Genie, und gib mir auch sein Leiden, auf dass ich glücklich werde wie kein andrer.
MEPHISTOPHELES
Weiter, nur weiter, falls Ihr etwa nicht zu Ende wär't.
FAUST
O, lass mich die Welt umfassen, der Menschen Tun begreifen, es ungeahnt erweitern; gib mir Genie, gib
mir auch sein Leiden.
MEPHISTOPHELES
Was noch mehr?
FAUST
Mache mich frei!
So dientest du mir recht, bis an die Erschöpfung,
hernach – Jetzt fordre du.
MEPHISTOPHELES
Hernach dienest du mir, fortab.
FAUST
Ich dir dienen? Dir? In aller Zeiten Ewigkeit?! Ich – kann nicht. Ich kann – und will nicht. Mache dich fort.
MEPHISTOPHELES
kalt
Höre, Faust. Draussen stehn die Gläubiger zuhauf; die du hast betrogen. Über dein Mädchen hast du Unglück gebracht: der Bruder trachtet dir nach dem Leben. Die Pfaffen, sie sind hinter dir her: sie wittern, und nicht mit
Unrecht: der Scheiterhaufen wartet deiner!
FAUST
Genug, genug! Ich weiss!
MEPHISTOPHELES
Hehe! So seid ihr Menschen, die ihr unablässig einander aufreizt und jagt!
FAUST
Lass den Gemeinplatz, spar deine Weisheit.
MEPHISTOPHELES
Kommt es einmal zum Letzten,
dann sind meinesgleichen,
dann bin ich geringerer Teufel,
als Retter gefällig zur Stelle.
Höre Faust: Ich gebe dir Reichtum und Macht,
Freuden der Liebe, weitesten Ruhmesglanz, weltli-
chen Ruhm. Offen sind dir die Herrlichkeiten dieser Erde.
FAUST
Ende!
MEPHISTOPHELES
Und draussen drängen die Gläubiger, lauert der Bruder, wittern die Pfaffen, sie fordern, sie morden, sie brennen!
Lacht lautlos
FAUST
Ich weiss, ich weiss! Ende!
MEPHISTOPHELES
So stehn die Dinge. Wähle!
Verbeugt sich ironisch
FAUST
ruhig
Schlau wusstest du die Schlingen zu legen.
MEPHISTOPHELES
Schlag' ein.
FAUST
Niemals!
Klopfen an der Tür
MEPHISTOPHELES
Deine Schergen stehn dahinter. Ein Wort von dir, und sie sind nicht mehr!
Stärkeres Klopfen
FAUST
dumpf
Töte sie.
MEPHISTOPHELES
kalt
Es ist geschehn.
Faust sinkt in einen Stuhl
Möchtet Ihr das Übrige abwarten?
FAUST
bezwungen
Kaum! – Ich geb mich dir. Aber jetzt – verlass mich.
MEPHISTOPHELES
lauernd
Nur noch ein Geringes.
FAUST
heftig
Fort, fort, fort! Ich kann dich nicht ertragen!
MEPHISTOPHELES
kreuzt die Arme, abwartend
Du musst es lernen.
CHOR
Credo in unum Deum. Patrem omnipotentem, creatorem coeli et terrae visibilium, omnium et invisibilium.
FAUST
in schmerzhafter Anspannung
Was verlangst du noch?
MEPHISTOPHELES
Ein kurzes Schreiben, mit deinem Blut gezeichnet, rot auf weiss.
FAUST
So gib her.
MEPHISTOPHELES
Brav.
FAUST
Wo ist mein Wille, wo mein Stolz geblieben! Unseliger Faust, das Höllenwerk begann.
Tritt an das Fenster
Wie wird mir
Es wird Tag. Osterchor. Glocken
CHOR
Et resurrexit tertia die – secundum scripturam et ascendit in coelum, – sedet ad dextera Patris.
FAUST
Ostertag! Da ziehen die Guten zum Münster. Oh, Tag meiner Kindheit!
MEPHISTOPHELES
Kehr' dich nicht an das Gesäusel.
MÄNNER
Et iterum venturus est – cum gloria judicare vivos, – vivos et mortuos.
FAUST
Du, Faust, bist nun ein Toter. Ich werde gerichtet! Wer hilft mir?
Ein Rabe fliegt herbei, Feder im Schnabel, die Mephistopheles ihm abnimmt
MEPHISTOPHELES
Ein Mann, Faust, du hast dein Wort zu halten: Vollziehe!
FAUST
abwehrend
Noch hat es Zeit. Fauch mich nicht an.
Verzweifelt
Es gibt kein Erbarmen. Es gibt keine Seligkeit, keine Vergeltung, den Himmel nicht und nicht die Höllen-schrecken: dem Jenseits trotz' ich!
MEPHISTOPHELES
Tüchtig, tüchtig! Das nenn' ich fortgeschritten: nun seid Ihr eben auf der rechten Fährte!
FAUST
zitternd, indem er Mephistopheles das unterschriebene Blatt entgegenstreckt
Hier – nach Schwinden meiner Frist – es wird sich zeigen – vielleicht unterliegst noch du – bin ich – nicht dein Herr –
Er fällt ohnmächtig nieder
CHOR
Gloria in excelsis Deo et in terra pax.
Mephistopheles weidet sich eine Zeitlang an dem Anblick seines Opfers – und entreisst ihm das Blatt
MEPHISTOPHELES
Gefangen!
Die Bühne wird stetig heller. Von dem Fenster her, und wie durch alle Ritzen, fluten Morgensonnenstrahlen in das Gewölbe herein.
CHOR DER MÄNNER UND FRAUEN
Allelujah!
Vorhang.
ZWISCHENSPIEL
Uralte romanische Kapelle im Münster. Kahle graue Wände, Holzbänke, ein Kruzifix. Orgelspiel vom Hauptschiffe her vernehmbar. Gretchens Bruder, durchaus in Eisen gekleidet, ist (fast von hinten anzusehen), knieend im Gebet
DER SOLDAT
Du, der du nicht allein der Gott der Milde und der Gnade bist; zu Zeiten auch des Zornes, und der Rache, und der Schlachten, als der du mir bist vertrauter: erhöre mein Gebet!
Ich hatte nichts auf der Welt, als mein Geschwister, nicht Eltern, noch Weib und nichts, das mir's ersetze. Man hat es mir genommen, hat es verdorben:
Lass du den Mann mich finden und lass ihm Recht geschehn. Herr, der du nicht allein der Gott der Milde und der Gnade, erhöre mein Gebet!
Er versinkt im Gebet
Faust und Mephistopheles am Eingang
MEPHISTOPHELES
Der Mann sinnt auf deinen Tod.
FAUST
Räum ihn aus dem Wege.
MEPHISTOPHELES
Auf deine Rechnung.
FAUST
Nein, ich will meine Hände rein wahren! Such ein andres.
MEPHISTOPHELES
Wenn er dich jetzt erkennt, kein andrer Ausweg, als dass du selbst ihn tötest.
FAUST
Find einen andren.
Der Soldat macht eine Bewegung
MEPHISTOPHELES
Aufgepasst!
FAUST
gequält
Nicht ich, nicht ich –
MEPHISTOPHELES
Er oder du.
FAUST
Er schleppt sein Leben in eitler Qual, ich bin ein Mann der Tat. –
MEPHISTOPHELES
Einverstanden.
Faust und Mephistopheles ziehen sich eilig zurück
DER SOLDAT
stöhnend
Den Mann, den Mann, den ich suche! Erbarmen!
Versinkt im Gebet
Mephistopheles als grauer Mönch tritt langsam auf und kniet Seite an Seite des Soldaten nieder
MEPHISTOPHELES
Möchtest du mir nicht beichten?
DER SOLDAT
Ich habe nicht an Bösem was getan.
MEPHISTOPHELES
Aber du hast welches vor.
DER SOLDAT
Ich habe vor, was Rechtens ist. Weisst du's, brauch ich zu beichten um so weniger.
MEPHISTOPHELES
Vielleicht wär's doch an der rechten Zeit!
DER SOLDAT
Gott ist bei mir. Du bist mir lästig.
MEPHISTOPHELES
Wer weiss, deine Stunde ist nicht weit.
DER SOLDAT
Teufelsmönch, zeig deine Fratze! Ich bin ein offener Mann.
MEPHISTOPHELES
Du wirst sie bald sehen.
DER SOLDAT
Hervor damit!
MEPHISTOPHELES
Geduld, sieh lieber nach der Tür! Hurtig. Wehr dich!
Springt auf, Entfernte Trommeln und Trompeten
MEPHISTOPHELES
triumphierend
Man rückt heran. Es sind ihrer sechs gegen Einen. Sticht dich nicht deine Rauflust? Meine Fratze? Da!
Er streckt ihm die Zunge. Mephistopheles schleicht in einen Beichtstuhl. Der Soldat zieht entsetzt seinen Degen und stellt sich mit dem Rücken gegen die Wand. Es dämmert tief. An der Tür zeigt sich der Leutnant, der eine Patrouille anführt
LEUTNANT
Dort! Seht ihn! Verkrochen in der Kirche, der unsern Hauptmann niederschlug von hinten: Gleiches mit Gleichem, haut den Mann zu Boden! Der Oberst wird's uns danken!
Sie kämpfen. Kurz darauf fällt der Soldat erschlagen
MEPHISTOPHELES
aus dem Beichtstuhl, mit gereckten Armen
Hier? Am heiligen Ort? Ihr seid des Teufels! Mürbe für die Hölle! Im übrigen: gut gemacht, und meinen Segen.
LEUTNANT
Der Mönch ist toll. Lasst ihn laufen.
Die Soldaten ziehen ab
MEPHISTOPHELES
Möcht euch wohl nicht anders raten. Ziehn wir die Rechnung: vorerst, Kirchenschändung; Bruder Soldat, mit einem Mordplan, ab; der weise Faust ladet's auf sein Gewissen: drei Ratten in einer Falle.
Ein Strahl des Mondes senkt sich auf den am Boden hingestreckten Toten. Langsam fällt der Vorhang