Chrysothemis kommt, laufend, zur Hoftür herein, laut heulend wie ein verwundetes Tier
CHRYSOTHEMIS
schreiend:
Orest!
Orest ist tot!
ELEKTRA
winkt ihr ab, wie von Sinnen:
Sei still!
CHRYSOTHEMIS
Orest ist tot!
ELEKTRA
bewegt die Lippen
CHRYSOTHEMIS
Ich kam hinaus, da wussten sie's schon!
Alle standen herum und alle wussten es schon,
nur wir nicht.
ELEKTRA
Niemand weiss es.
CHRYSOTHEMIS
Alle wissen's!
ELEKTRA
Niemand kann's wissen: denn es ist nicht wahr.
CHRYSOTHEMIS
wirft sich verzweifelt auf den Boden
ELEKTRA
Chrysothemis emporreissend
Es ist nicht wahr!
Es ist nicht wahr! ich sag' dir doch!
es ist nicht wahr!
CHRYSOTHEMIS
Die Fremden standen an der Wand,
die Fremden, die hergeschickt sind, es zu melden:
zwei, ein Alter und ein Junger.
Allen hatten sie's schon erzählt,
im Kreise standen alle um sie herum und alle,
Alle, wussten es schon.
ELEKTRA
mit höchster Kraft
Es ist nicht wahr.
CHRYSOTHEMIS
An uns denkt niemand.
Tot! Elektra, tot!
Gestorben in der Fremde! Tot!
Gestorben dort in fremdem Land.
Von seinen Pferden erschlagen und geschleift.
EIN JUNGER DIENER
kommt eilig aus dem Haus, stolpert über die vor der Schwelle Liegende hinweg:
Platz da! wer lungert so vor einer Tür?
Ah, konnt' mir's denken! Heda, Stallung! he!
EIN ALTER DIENER
finsteren Gesichts, zeigt sich an der Hoftür:
Was soll's im Stall?
EIN JUNGER DIENER
Gesattelt soll werden, und so rasch als möglich!
hörst du? ein Gaul, ein Maultier,
oder meinetwegen auch eine Kuh, nur rasch!
EIN ALTER DIENER
Für wen?
EIN JUNGER DIENER
Für den, der dir's befiehlt.
Da glotzt er! Rasch, für mich!
Sofort! für mich! Trab, trab!
Weil ich hinaus muss auf's Feld, den Herren holen,
weil ich ihm Botschaft zu bringen habe,
grosse Botschaft, wichtig genug,
um eine eurer Mähren im Abgehen zu Tod zu reiten.
EIN ALTER DIENER
auch der Alte verschwindet
ELEKTRA
vor sich hin, leise und sehr energisch:
Nun muss es hier von uns geschehn.
CHRYSOTHEMIS
verwundert fragend
Elektra?
ELEKTRA
Wir!
Wir beide müssen's tun.
CHRYSOTHEMIS
Was, Elektra?
ELEKTRA
Am besten heut', am besten diese Nacht.
CHRYSOTHEMIS
Was, Schwester?
ELEKTRA
Was?
Das Werk, das nun auf uns gefallen ist,
weil er nicht kommen kann
CHRYSOTHEMIS
angstvoll steigernd
Was für ein Werk?
ELEKTRA
Nun müssen du und ich hingehn
und das Weib und ihren Mann erschlagen.
CHRYSOTHEMIS
Schwester, sprichst du von der Mutter?
ELEKTRA
Von ihr. Und auch von ihm.
Ganz ohne Zögern muss es geschehn.
ELEKTRA
Schweig still. Zu sprechen ist nichts.
Nichts gibt es zu bedenken, als nur: wie?
wie wir es tun.
CHRYSOTHEMIS
Ich?
ELEKTRA
Ja. Du und ich.
Wer sonst?
CHRYSOTHEMIS
Wir, wir beide sollen hingehn? Wir? wir zwei?
mit unsern beiden Händen?
ELEKTRA
Dafür lass du mich nur sorgen.
ELEKTRA
Das Beil! das Beil, womit der Vater ―
CHRYSOTHEMIS
Du?
Entsetzliche, du hast es?
ELEKTRA
Für den Bruder bewahrt' ich es.
Nun müssen wir es schwingen.
CHRYSOTHEMIS
Du? diese Arme den Aegisth erschlagen?
ELEKTRA
erst sie, dann ihn, erst ihn, dann sie,
gleichviel.
CHRYSOTHEMIS
Ich fürchte mich.
ELEKTRA
Es schläft niemand in ihrem Vorgemach.
CHRYSOTHEMIS
Im Schlaf sie morden!
ELEKTRA
Wer schläft, ist ein gebundnes Opfer.
Schliefen sie nicht zusamm',
könnt' ich's allein vollbringen.
So aber musst du mit.
CHRYSOTHEMIS
abwehrend:
Elektra!
ELEKTRA
Du! Du!
denn du bist stark!
Dicht bei Chrysothemis
Wie stark du bist!
dich haben die jungfräulichen Nächte stark gemacht.
Überall ist so viel Kraft in dir!
Sehnen hast du wie ein Füllen.
Schlank sind deine Füsse.
Wie schlank und biegsam leicht umschling ich sie deine Hüften sind!
Du windest dich durch jeden Spalt,
du hebst dich durch's Fenster!
Lass mich deine Arme fühlen:
wie kühl und stark sie sind!
Wie du mich abwehrst,
fühl' ich, was das für Arme sind.
Du könntest erdrükken, was du an dich ziehst.
Du könntest mich, oder einen Mann in deinen Armen ersticken, Überall ist so viel Kraft in dir!
Sie strömt wie kühles verhaltnes Wasser aus dem Fels. Sie flutet mit deinen Haaren auf die starken Schultern herab.
Ich spüre durch die Kühle deiner Haut das warme Blut hindurch, mit meiner Wange spür ich den Flaum auf deinen jungen Armen. Du bist voller Kraft, du bist schön, du bist wie eine Frucht an der Reife Tag.
CHRYSOTHEMIS
Lass mich!
ELEKTRA
Nein: ich halte dich!
Mit meinen traurigen verdorrten Armen
umschling ich deinen Leib, wie du dich sträubst,
ziehst du den Knoten nur noch fester,
ranken will ich mich rings um dich versenken meine Wurzeln in dich und mit meinem Willen dir impfen das Blut!
CHRYSOTHEMIS
Lass mich!
Flüchtet ein paar Schritte. Elektra wild ihr nach, fasst sie am Gewand:
ELEKTRA
Nein!
Ich lass dich nicht.
CHRYSOTHEMIS
Elektra, hör mich.
Du bist so klug, hilf uns aus diesem Haus,
hilf uns ins Freie.
Elektra, hilf uns, hilf uns in's Freie...
ELEKTRA
Von jetzt an will ich deine Schwester sein,
so wie ich niemals deine Schwester war!
Getreu will ich mit dir in deiner Kammer sitzen
und warten auf den Bräutigam,
für ihn will ich dich salben
und ins duftige Bad sollst du mir tauchen wie der junge Schwan und deinen Kopf an meiner Brust verbergen bevor er dich, die durch die Schleier glüht wie eine Fackel, in das Hochzeitsbett mit starken Armen zieht.
CHRYSOTHEMIS
schliesst die Augen:
Nicht, Schwester, nicht.
Sprich nicht ein solches Wort in diesem Haus.
ELEKTRA
O ja! weit mehr als Schwester bin ich dir von diesem Tage an: ich diene dir wie deine Sklavin.
Wenn du liegst in Weh'n, sitz ich an deinem Bette Tag und Nacht, wehr' dir die Fliegen, schöpfe kühles Wasser, und wenn auf einmal auf dem nackten Schoss dir ein Lebendiges liegt, erschreckend fast, so heb' ich's empor, so hoch!
damit sein Lächeln hoch von oben in die tiefsten geheimsten Klüfte deiner Seele fällt und dort das letzte, eisig Grässliche vor dieser Sonne schmilzt und du's in hellen Tränen ausweinen kannst.
CHRYSOTHEMIS
O bring' mich fort!
Ich sterb' in diesem Haus!
ELEKTRA
an den Knieen der Chrysothemis:
Dein Mund ist schön, wenn er sich einmal auftut um zu zürnen! Aus deinem reinen starken Mund muss furchtbar ein Schrei hervorsprüh'n, furchtbar wie der Schrei der Todesgöttin, wenn man unter dir so daliegt, wie nun ich.
CHRYSOTHEMIS
Was redest du?
ELEKTRA
aufstehend:
Denn eh du diesem Haus und mir entkommst,
musst du es tun!
CHRYSOTHEMIS
will reden
ELEKTRA
hält ihr den Mund zu
Dir führt kein Weg hinaus als der.
Ich lass' dich nicht, eh du mir Mund auf Mund es zugeschworen, dass du es tun wirst.
CHRYSOTHEMIS
windet sich los:
Lass mich!
ELEKTRA
fasst sie wieder:
Schwör', du kommst heut Nacht, wenn alles still ist, an den Fuss der Treppe.
CHRYSOTHEMIS
Lass mich!
ELEKTRA
hält sie am Gewand:
Mädchen, sträub' dich nicht!
es bleibt kein Tropfen Blut am Leibe haften:
schnell schlüpfst du aus dem blutigen Gewand
mit reinem Leib ins hochzeitliche Hemd.
CHRYSOTHEMIS
Lass mich!
ELEKTRA
Sei nicht zu feige! Was du jetzt an Schaudern überwindest, wird vergolten mit Wonneschaudern Nacht für Nacht ―
CHRYSOTHEMIS
Ich kann nicht!
ELEKTRA
Sag, dass du kommen wirst!
CHRYSOTHEMIS
Ich kann nicht!
ELEKTRA
Sieh, ich lieg' vor dir,
ich küsse deine Füsse!
CHRYSOTHEMIS
ins Haustor entspringend:
Ich kann nicht!
ELEKTRA
Sei verflucht!
mit wilder Entschlossenheit
Nun denn allein!
Sie fängt an der Wand des Hauses, seitwärts der Türschwelle, eifrig zu graben an, lautlos, wie ein Tier. Elektra hält mit Graben inne sieht sich um, gräbt wieder. Elektra sieht sich von Neuem um und lauscht. Elektra gräbt wieder. Orest steht in der Hoftür, von der letzten Helle sich schwarz abhebend. Er tritt herein. Elektra blickt auf ihn. Er dreht sich langsam um, so dass sein Blick auf sie fällt. Elektra fährt heftig auf
ELEKTRA
zitternd
Was willst du, fremder Mensch?
was treibst du dich zur dunklen Stunde hier herum, belauerst, was andre tun!
Ich hab' hier ein Geschäft.
Was kümmert's dich!
Lass mich in Ruh!
OREST
Ich muss hier warten.
ELEKTRA
Warten?
OREST
Doch du bist hier aus dem Haus?
bist eine von den Mägden dieses Hauses?
ELEKTRA
Ja, ich diene hier im Haus.
Du aber hast hier nichts zu schaffen.
Freu dich und geh.
OREST
Ich sagte dir, ich muss hier warten, bis sie mich rufen
ELEKTRA
Die da drinnen? Du lügst.
Weiss ich doch gut, der Herr ist nicht zu Haus'.
Und sie, was sollte sie mit dir?
OREST
Ich und noch einer, der mit mir ist,
wir haben einen Auftrag an die Frau.
OREST
Wir sind an sie geschickt, weil wir bezeugen können, dass ihr Sohn Orest gestorben ist vor unsern Augen.
Denn ihn erschlugen seine eignen Pferde.
Ich war so alt wie er und sein Gefährte bei Tag und Nacht.
ELEKTRA
Muss ich dich noch sehn?
Schleppst du dich hierher in meinen traurigen Winkel, Herold des Unglücks!
Kannst du nicht die Botschaft austrompeten dort, wo sie sich freu'n!
Dein Aug' da starrt mich an und seins ist Gallert.
Dein Mund geht auf und zu und seiner ist mit Erde vollgefropft.
Du lebst, und er, der besser war als du und edler tausendmal, und tausendmal so wichtig, dass er lebte. er ist hin!
OREST
Lass den Orest.
Er freute sich zu sehr an seinem Leben,
die Götter droben vertragen nicht den allzuhellen Laut der Lust. So musste er denn sterben.
ELEKTRA
Doch ich! doch ich!
da liegen, und zu wissen, dass das Kind nie wieder kommt, nie wieder kommt. Dass das Kind da drunten in den Klüften des Grausens lungert,
dass die da drinnen leben und sich freuen, dass dies Gezücht in seiner Höhle lebt und isst und trinkt und schläft und ich hier droben wie nicht das Tier des Waldes einsam und grässlich lebt ich hier droben allein.
OREST
Wer bist denn du?
ELEKTRA
Was kümmert's dich, wer ich bin.
OREST
Du musst verwandtes Blut zu denen sein,
die starben, Agamemnon und Orest.
ELEKTRA
Verwandt?
ich bin dies Blut!
ich bin das hündisch vergossene Blut
des Königs Agamemnon!
Elektra heiss' ich.
OREST
Nein!
ELEKTRA
Er leugnet's ab.
Er bläst auf mich und nimmt mir meinen Namen.
OREST
Elektra!
ELEKTRA
Weil ich nicht Vater hab',
OREST
Elektra!
ELEKTRA
noch Bruder,
bin ich der Spott der Buben!
OREST
Elektra! Elektra!
So seh' ich sie?
ich seh' sie wirklich? du?
So haben sie dich darben lassen oder ―
sie haben dich geschlagen?
ELEKTRA
Lass mein Kleid,
wühl nicht mit deinem Blick daran.
OREST
Was haben sie gemacht mit deinen Nächten!
Furchtbar sind deine Augen.
ELEKTRA
Lass mich!
OREST
Hohl sind deine Wangen!
ELEKTRA
Geh ins Haus, drin hab' ich eine Schwester,
die bewahrt sich für Freudenfeste auf!
OREST
Elektra, hör mich.
ELEKTRA
Ich will nicht wissen, wer du bist.
Ich will niemand sehen!
OREST
Hör mich an,
ich hab' nicht Zeit. Hör zu.
Orestes lebt.
ELEKTRA
wirft sich herum
OREST
Wenn du dich regst,
verrätst du ihn.
ELEKTRA
So ist er frei? wo ist er?
OREST
Er ist unversehrt wie ich.
ELEKTRA
So rett ihn doch! bevor sie ihn erwürgen.
OREST
Bei meines Vaters Leichnam!
dazu kam ich her!
ELEKTRA
von seinen Ton getroffen:
Wer bist denn du?
Der alte finstre Diener stürzt, gefolgt von drei andern Dienern, aus dem Hof lautlos herein, wirft sich vor Orest nieder, küsst seine Füsse, die andern Orests Hände und den Saum seines Gewandes
ELEKTRA
kaum ihrer mächtig:
Wer bist du denn? Ich fürchte mich.
OREST
sanft:
Die Hunde auf dem Hof erkennen mich,
und meine Schwester nicht?
ELEKTRA
aufschreiend:
Orest!
ELEKTRA
ganz leise, bebend:
Orest! Orest! Orest!
Es rührt sich niemand.
O lass deine Augen mich sehn!
Traumbild, mir geschenktes Traumbild,
schöner als alle Träume.
Hehres, unbegreifliches, erhabenes Gesicht,
o bleib bei mir! Lös nicht
in Luft dich auf, vergeh mir nicht, vergeh mir nicht,
es sei denn,
das ich jetzt gleich sterben muss und du dich anzeigst und mich hollen kommst:
dann sterb ich seliger als ich gelebt.
Orest! Orest! Orest!
Nein, du sollst mich nicht umarmen!
Tritt weg, ich schäme mich vor dir.
Ich weiss nicht, wie du mich ansiehst.
Ich bin nur mehr der Leichnam deiner Schwester,
mein armes Kind.
Ich weiss, es schaudert dich vor mir.
Und war doch eines Königs Tochter!
Ich glaube, ich war schön:
wenn ich die Lampe ausblies vor meinem Spiegel,
fühlt ich es mit keuschem Schauer.
Ich fühlt' es, wie der dünne Strahl des Mondes
in meines Körpers weisser Nacktheit badete
so wie in einem Weiher,
und mein Haar war solches Haar,
vor dem die Männer zittern,
dies Haar, versträhnt, beschmutzt, erniedrigt,
verstehst du's, Bruder?
Ich habe alles, was ich war, hingeben müssen.
Meine Scham hab' ich geopfert,
die Scham, die süsser als Alles ist, die Scham,
die wie der Silberdunst, der milchige des Monds,
um jedes Weib herum ist und das Grässliche
von ihr und ihrer Seele weghält,
Verstehst du's, Bruder!
diese süssen Schauder hab' ich dem Vater opfern müssen.
Meinst du, wenn ich an meinem Leib mich freute, drangen seine Seufzer, drang nicht sein Stöhnen an mein Bette?
Eifersüchtig sind die Toten:
und er schickte mir den Hass, den hohläugigen Hass als Bräutigam.
So bin ich eine Prophetin immerfort gewesen und habe nichts hervorgebracht aus mir und meinem Leib als Flüche und Verzweiflung.
Was schaust du ängstlich um dich?
sprich zu mir!
sprich doch!
Du zitterst ja am ganzen Leib!
OREST
Lass zittern diesen Leib.
Er ahnt welchen Weg ich ihn führe.
ELEKTRA
Du wirst es tun?
Allein?
Du armes Kind.
OREST
Die diese Tat mir auferlegt,
ELEKTRA
Du wirst es tun!
OREST
die Götter, werden da sein, mir zu helfen.
Ich will es tun,
ich will es eilig tun.
ELEKTRA
Der ist selig, der tun darf!
Die Tat ist wie ein Bette, auf dem die Seele ausruht,
wie ein Bett von Balsam, drauf die Seele ruhen kann,
die eine Wunde ist, ein Brand, ein Eiter und eine Flamme!
OREST
Ich werde es tun! Ich werde es tun!
ELEKTRA
Der ist selig, der seine Tat zu tun kommt,
selig der, der ihn ersehnt,
selig der ihn erschaut!
Selig, wer ihn erkennt,
selig, wer ihn berührt!
Selig, wer ihm das Beil aus der Erde gräbt,
selig, wer ihm die Fakkel hält, selig,
selig, wer ihm öffnet die Tür.
Der Pfleger Orests steht in der Hoftür, ein starker Greis mit blitzenden Augen
DER PFLEGER DES OREST
Seid ihr von Sinnen, dass ihr euren Mund nicht bändigt, wo ein Hauch, ein Laut, ein Nichts uns und das Werk verderben kann ―
Zu Orest in fliegender Eile
Sie wartet drinnen.
Ihre Mägde suchen nach dir.
Es ist kein Mann im Haus. Orest!
Orest reckt sich auf, seinen Schauder bezwingend. Die Tür des Hauses erhellt sich. Es erscheint eine Dienerin mit einer Fackel, hinter ihr die Vertraute. Elektra ist zurückgesprungen, steht im Dunkel. Die Vertraute verneigt sich gegen die beiden Fremden, winkt, ihr hinein zu folgen. Die Dienerin befestigt die Fackel an einem eisernen Ring im Türpfosten. Orest und der Pfleger gehen hinein. Orest schliesst einen Augenblick, schwindelnd, die Augen, der Pfleger ist dicht hinter ihm, sie tauschen einen schnellen Blick. Die Tür schliesst sich hinter ihnen
ELEKTRA
allein, in entsetzlicher Spannung. Sie läuft auf einem Strich vor der Tür hin und her, mit gesenkten Kopf, wie das gefangene Tier im Käfig. Steht plötzlich still
Ich habe ihm das Beil nicht geben können!
Sie sind gegangen und ich habe ihm
das Beil nicht geben können.
Es sind keine Götter im Himmel!
Abermals ein furchtbares Warten. Von ferne tönt drinnen, gellend, der Schrei Klytämnestras.
ELEKTRA
schreit auf wie ein Dämon:
Triff noch einmal!
Von drinnen ein zweiter Schrei. Aus dem Wohngebäude links kommen Chrysothemis und eine Schar Dienerinnen heraus. Elektra steht in der Tür, mit dem Rücken an die Tür gepresst
CHRYSOTHEMIS
Es muss etwas geschehen sein.
ERSTE MAGD
Sie schreit so aus dem Schlaf.
ZWEITE MAGD
Es müssen Männer drin sein.
Ich habe Männer gehen hören.
DRITTE MAGD
Alle Türen sind verriegelt.
VIERTE MAGD
Es sind Mörder!
Es sind Mörder im Haus!
ERSTE MAGD
schreit auf:
Oh!
ZWEITE und DRITTE MAGD, sechs andere DIENERINEN
Was ist?
ERSTE MAGD
Seht ihr denn nicht: dort in der Tür steht einer!
CHRYSOTHEMIS
Das ist Elektra! das ist ja Elektra!
ERSTE, ZWEITE, DRITTE und VIERTE MAGD
Elektra, Elektra!
ERSTE UND ZWEITE MAGD
Warum spricht sie denn nicht?
CHRYSOTHEMIS
Elektra, warum sprichst du denn nicht?
VIERTE MAGD
Ich will hinaus und Männer holen.
Läuft rechts hinaus
CHRYSOTHEMIS
Mach uns doch die Tür auf,
Elektra! Elektra!
6 DIENERINNEN
Elektra, lass uns in's Haus!
VIERTE MAGD
zurückkommend:
Zurück!
Aegisth! Zurück in unsre Kammern! schnell!
Aegisth kommt durch den Hof!
Wenn er uns findet
und wenn im Hause was geschehen ist,
lässt er uns töten.
6 DIENERINNEN
Aegisth!
ERSTE, ZWEITE und DRITTE MAGD
Aegisth!
CHRYSOTHEMIS
Zurück!
ALLE
zurück! zurück!
Sie verschwinden im Hause links. Aegisth tritt rechts durch die Hoftür auf
AEGISTH
an der Tür stehend bleibend:
He! Lichter! Lichter!
Ist niemand da, zu leuchten?
Rührt sich keiner von allen diesen Schuften?
Kann das Volk mir keine Zucht annehmen!
ELEKTRA
nimmt die Fackel von dem Ring, läuft hinunter, ihm entgegen, und verneigt sich vor ihm
AEGISTH
erschrickt vor der wirren Gestalt im zuckenden Licht,weicht zurück:
Was ist das für ein unheimliches Weib?
Ich hab' verboten, dass ein unbekanntes Gesicht mir in die Nähe kommt!
Erkennt sie, zornig.
Was, du?
Wer heisst dich, mir entgegentritten?
ELEKTRA
Darf ich nicht leuchten?
AEGISTH
Nun, dich geht die Neuigkeit ja doch vor allen an.
Wo find' ich die fremden Männer, die das von Orest uns melden?
ELEKTRA
Drinnen. Eine liebe Wirtin fanden sie vor,
und sie ergetzen sich mit ihr.
AEGISTH
Und melden also wirklich, dass er gestorben ist,
und melden so, dass nicht zu zweifeln ist?
ELEKTRA
O Herr, sie melden's nicht mit Worten bloss,
nein, mit leibhaftigen Zeichen,
an denen auch kein Zweifel möglich ist.
AEGISTH
Was hast du in der Stimme?
Und was ist in dich gefahren,
dass du nach dem Mund mir redest?
Was taumelst du so hin und her mit deinem Licht!
ELEKTRA
Es ist nichts anderes, als dass ich endlich klug ward
und zu denen mich halte, die die Stärkern sind.
Erlaubst du, dass ich voran dir leuchte?
AEGISTH
etwas zaudernd
Bis zur Tür.
Was tanzest du? Gib Obacht.
ELEKTRA
indem sie ihn, wie in einem unheimlichen Tanz, umkreist, sich plötzlich tief bückend:
Hier! die Stufen, dass du nicht fällst.
AEGISTH
an der Haustür:
Warum ist hier kein Licht?
Wer sind die dort?
ELEKTRA
Die sind's, die in Person dir aufzuwarten wünschen, Herr.
Und ich, die so oft durch freche unbescheidne Näh' dich störte, will nun endlich lernen, mich im rechten Augenblick zurückzuziehen.
Aegisth geht ins Haus. Stille. Lärm drinnen.
AEGISTH
erscheint an einem kleinen Fenster, reisst den Vorhang weg, schreiend:
Helft! Mörder! helft dem Herren! Mörder, Mörder!
Sie morden mich!
Hört mich niemand?
hört mich niemand?
Er wird weggezerrt. Noch einmal erscheint Aegisths Gesicht am Fenster
ELEKTRA
reckt sich auf:
Agamemnon hört dich!
AEGISTH
er wird fortgerissen:
Weh mir!
Elektra steht, furchtbar atmend, gegen das Haus gekehrt. Die Frauen kommen von links herausgelaufen, Chrysothemis unter ihnen. Wie besinnungslos laufen sie gegen die Hoftür. Dort machen sie plötzlich Halt, wenden sich
CHRYSOTHEMIS
Elektra! Schwester! komm mit uns!
O komm mit uns!
es ist der Bruder drin im Haus!
es ist Orest, der es getan hat!
Stimmen hinter der Scene im Hause Orest! Orest! Orest! Getümmel im Hause, Stimmengewirr, aus dem sich ab und zu die Rufe des Chors: "Orest" bestimmter abheben
Komm!
Er steht im Vorsaal,
alle sind um ihn,
und küssen seine Füsse,
alle, die Aegisth von Herzen hassten,
haben sich geworfen auf die andern,
überall in allen Höfen liegen Tote,
alle, die leben, sind mit Blut bespritzt und haben selbst Wunden,
und doch strahlen alle, alle umarmen sich ―
Draussen wachsender Lärm, der sich jedoch, wenn Elektra beginnt, mehr und mehr nach den äusseren Höfen rechts und im Hintergrunde verzogen hat. die Frauen sind hinausgelaufen, Chrysothemis allein, von draussen fällt Licht herein
und jauchzen, tausend Fackeln sind angezündet.
Hörst du nicht, so hörst du denn nicht?
ELEKTRA
auf der Schwelle kauernd:
Ob ich nicht höre?
ob ich die Musik nicht höre?
sie kommt doch aus mir.
Die Tausende, die Fackeln tragen und deren Tritte, deren uferlose Myriaden Tritte überall die Erde dumpf dröhnen machen,
alle warten auf mich:
ich weiss doch, dass sie alle warten,
weil ich den Reigen führen muss,
und ich kann nicht,
der Ozean, der ungeheure, der zwanzigfache Ozean begräbt mir jedes Glied mit seiner Wucht,
ich kann mich nicht heben!
CHRYSOTHEMIS
fast schreiend vor Erregung:
Hörst du denn nicht,
sie tragen ihn, sie tragen ihn auf ihren Händen,
ELEKTRA
springt auf. Vor sich hin, ohne auf Chrysothemis zu achten
Wir sind bei den Göttern, wir Vollbringenden.
Sie fahren dahin wie die Schärfe des Schwerts
durch uns, die Götter,
CHRYSOTHEMIS
allen sind die Gesichter verwandelt,
allen schimmern die Augen
und die alten Wangen von Tränen!
Alle weinen, hörst du's nicht?
ELEKTRA
aber ihre Herrlichkeit ist nicht zu viel für uns!
Ich habe Finsternis gesät und ernte Lust über Lust.
CHRYSOTHEMIS
Gut sind die Götter, gut!
ELEKTRA
Ich war ein schwarzer Leichnam unter Lebenden,
CHRYSOTHEMIS
Es fängt ein Leben für dich und mich und alle Menschen an.
ELEKTRA
und diese Stunde bin ich das Feuer des Lebens,
und meine Flamme verbrenn die Finsternis der Welt.
CHRYSOTHEMIS
Die über schwänglich guten Götter sind's,
die das geben haben.
ELEKTRA
Mein Gesicht muss weisser sein
als das weissglüh'nde Gesicht des Monds.
CHRYSOTHEMIS
Wer hat uns je geliebt?
ELEKTRA
Wenn einer auf mich sieht, muss er den Tod empfangen oder muss vergehn vor Lust.
CHRYSOTHEMIS
Wer hat uns je geliebt?
ELEKTRA
Seht ihr denn mein Gesicht?
Seht ihr das Licht, das von mir ausgeht?
CHRYSOTHEMIS
Nun ist der Bruder da,
und Liebe fliesst über uns wie Öl und Myrrhen.
Liebe ist Alles! Wer kann leben ohne Liebe?
ELEKTRA
Ai! Liebe tötet,
aber keiner fährt dahin und hat die Liebe nicht gekannt!
CHRYSOTHEMIS
Elektra, ich muss bei meinem Bruder stehn!
Sie läuft hinaus
Elektra schreitet von der Schwelle herunter. Sie hat den Kopf zurückgeworfen wie eine Mänade. Sie wirft die Kniee, sie reckt die Arme aus, es ist ein namenloser Tanz, in welchem sie nach vorwärts schreitet
CHRYSOTHEMIS
erscheint wieder an der Tür, hinter ihr Fackeln, Gedräng, Gesichter von Männern und Frauen:
Elektra!
ELEKTRA
bleibt stehen, sieht starr auf sie hin:
Schweig, und tanze.
Alle müssen herbei!
hier schliesst euch an!
Ich trage die Last des Glückes,
und ich tanze vor euch her.
Wer glücklich ist wie wir,
dem ziemt nur eins:
schweigen und tanzen!
Sie tut noch einige Schritte des angespanntesten Triumphes... Elektra stürzt zusammen. Chrysothemis zu ihr. Elektra liegt starr
CHRYSOTHEMIS
läuft an die Tür des Hauses, schlägt daran:
Orest! Orest!
Stille
Vorhang