ERSTES BILD
Daheim
Kleine dürftige Stube. Im Hintergrunde eine niedrige Türe, daneben ein kleines Fenster mit Aussicht in den Wald. Links ein Herd mit einem Rauchfang darüber. An den Wänden hängen Besen in verschiedenen Grössen. Hänsel, an der Türe mit Besenbinden, Gretel, am Herde mit Strumpfstricken beschäftigt, sitzen einander gegenüber.
GRETEL
Suse, liebe Suse, was raschelt im Stroh?
Die Gänse gehen barfuss und haben kein Schuh
Der Schuster hat's Leder, kein Leisten dazu,
drum kann er den Gänslein auch machen kein'...
HÄNSEL
(unterbrechend)
Ei, so geh'n sie halt barfuss!
GRETEL
(fortfahrend)
... Schuh!
HÄNSEL
Eia popeia, das ist eine Not!
Wer schenkt mir einen Dreier zu Zucker und Brot?
Verkauf ich mein Bettlein und leg' mich aufs Stroh,
sticht mich keine Feder und beisst mich kein ...
GRETEL
(unterbrechend)
Ei, wie beisst mich der Hunger!
HÄNSEL
(fortfahrend)
... Floh!
(Er wirft seine Arbeit hin und steht auf)
Ach, käm' doch die Mutter nun endlich nach Haus!
GRETEL
(erhebt sich)
Ach ja, auch ich halt's kaum noch vor Hunger aus!
HÄNSEL
Seit Wochen nichts als trocken Brot;
ist das ein Elend! Potz schwere Not!
GRETEL
Still, Hänsel, denk daran, was Vater sagt,
wenn Mutter manchmal so verzagt:
"Wenn die Not aufs höchste steigt,
Gott der Herr die Hand euch reicht!"
HÄNSEL
Jawohl, das klingt recht schön und glatt.
aber leider wird man davon nicht satt!
Ach, Gretel, wie lang ist's doch schon her,
dass wir nichts Gut's geschmauset mehr
Eierfladen und Butterwecken,
kaum weiss ich noch, wie die tun schmecken.
Ach, Gretel, ich wollt'. . .
GRETEL
(hält ihm den Mund zu)
Still, nicht verdriesslich sein!
Gedulde dich fein, sieh freundlich drein!
Dies lange Gesicht - Hu, welcher Graus!
Siehst ja wie der leibhaftige Griesgram aus!
(Sie nimmt einen Besen zur Hand.)
Griesgram hinaus,
fort aus dem Haus!
Ich will dich lehren,
Herz zu beschweren,
Sorgen zu mehren,
Freuden zu wehren!
Griesgram, Griesgram, gräulicher Wicht,
griesiges, grämiges Galgengesicht.
Packe dich, trolle dich, schäbiger Wicht!
griesiges, grämiges Galgengesicht,
packe dich, trolle dich, schäbiger Wicht!
HÄNSEL
(fasst mit an den Besen)
Griesgram hinaus!
GRETEL
Griesgram hinaus!
HÄNSEL
Halt's nicht mehr aus!
GRETEL
Fort aus dem Haus!
HÄNSEL
Immer mich...
GRETEL
Knurrt auch der Magen,
werd nicht verzagen,
nicht darnach fragen,
schnell dich verjagen!
HÄNSEL
...plagen,
Hungertuch benagen!
Muss ja verzagen,
kann's nicht vertragen!
Griesgram...
BEIDE
Griesgram, Griesgram, gräulicher Wicht
Griesiges, grämiges Galgengesicht,
packe dich, trolle dich...
GRETEL
schäbiger Wicht
HÄNSEL
du Wicht!
GRETEL
So recht! Und willst du nun nicht mehr klagen,
so will ich dir auch ein Geheimnis sagen,
HÄNSEL
Ein Geheimnis! Wird wohl was Rechtes sein!
GRETEL
Ja, hör nur. Brüderchen, darfst dich schon freu'n!
Guck her in den Topf: Milch ist darin,
die schenkte uns heute die Nachbarin.
Die Mutter kocht uns, kehrt sie nach Haus,
gewiss einen leckeren Reisbrei draus.
HÄNSEL
(jubelnd)
Reisbrei! Hei!
(Er tanzt im Zimmer umher)
Reisbrei, Reisbrei, herrlicher Brei!
Gibt's Reisbrei, da ist Hänsel dabei!
Wie dick ist der Rahm auf der Milch, lass schmecken!-
(Er leckt den Rahm vom Finger)
Herrjemine! den möcht ich ganz verschlecken!
GRETEL
Wie Hänsel, naschen? Schämst du dich nicht?
(Sie gibt ihm eins auf die Finger.)
Fort mit den Fingern, du naschhafter Wicht!
Und jetzt an die Arbeit zurück, geschwind!
Dass wir bei Zeiten fertig sind!
Kommt Mutter heim und wir taten nicht recht,
dann weisst du - geht's den Faulpelzen schlecht!
HÄNSEL
(steckt die Hände in die Hosentaschen)
Arbeiten? Wo denkst du hin,
danach steht mir nicht mein Sinn.
Immer mich plagen, fällt mir nicht ein,
jetzt lass uns tanzen und fröhlich sein.
GRETEL
Tanzen! Tanzen! Das wär' auch mir eine Lust!
Dazu ein Liedchen aus voller Brust.
Was uns die Muhme gelehrt zu singen:
Tanzliedchen soll jetzt lustig erklingen!
Brüderchen, komm tanz mit mir,
beide Händchen reich' ich dir.
einmal hin, einmal her,
rund herum, es ist nicht schwer!
(Hänsel versucht's, jedoch ungeschickt.)
HÄNSEL
Tanzen soll ich armer Wicht,
Schwesterchen, und kann es nicht.
Darum zeig mir wie es Brauch,
dass ich tanzen lerne auch.
GRETEL
Mit den Füsschen tapp tapp tapp,
mit den Händchen klapp klapp klapp,
einmal hin, einmal her,
rund herum, es ist nicht schwer!
HÄNSEL
Mit den Füsschen
(usw.)
... 'rum, es ist nicht schwer'
GRETEL
Ei. das hast du gut gemacht!
Ei, das hätt' ich nicht gedacht.
Seht mir doch den Hänsel an,
wie der tanzen lernen kann!
Mit dem Köpfchen nick nick nick,
mit dem Fingerchen tick tick tick,
einmal hin, einmal her,
rund herum, es ist nicht schwer
HÄNSEL
Mit dem Köpfchen
(usw.)
... 'rum, es ist nicht schwer'
GRETEL
Brüderchen, nun gib mal acht,
was die Gretel weiter macht!
Lass uns Arm in Arm verschränken,
unsre Schrittchen paarweis Ienken!
Komm!
(Sie fasst Hänsel unter dem Arm)
HÄNSEL
Ich liebe Tanz und liebe Fröhlichkeit,
bin nicht gern allein.
BEIDE
Ich bin kein Freund von Leid und Traurigkeit,
und fröhlich will ich sein!
Ich liebe Tanz
(usw.)
GRETEL
(lässt Hänsel fahren, umtanzt ihn... )
Tra-la-la, ta la la
(usw.)
(... und gibt ihm einen Stoss)
Drehe dich herum, mein lieber Hänsel.
Dreh dich doch herum, mein lieber Hans!
Komm her zu mir, komm her zu mir
zum Ringelreigentanz!
HÄNSEL
Geh weg von mir, geh weg von mir,
ich bin der stolze Hans!
Mit kleinen Mädchen tanz' ich nicht,
das ist mir viel zu dumm!
GRETEL
Geh, stolzer Hans, geh, dummer Hans,
ich krieg dich doch herum.
(Sie umtanzt Hänsel wie vorhin... )
Tra la la, tra la la
(usw.)
(...und gibt ihm einen Stoss.)
Drehe dich herum, mein Iieber Hänsel.
Dreh dich doch herum, mein lieber Hans!
HÄNSEL
(tanzt um Gretel)
Tra la la, tra la la
(usw.)
Ach, Schwesterlein, ach Gretelein,
du hast im Strumpf ein Loch!
GRETEL
Ach, Brüderlein, ach, Hänselein,
du willst mich hänseln noch?
Mit bösen Buben tanz' ich nicht,
das wär' mir viel zu dumm!
HÄNSEL
Nicht böse sein, lieb' Schwesterlein,
ich krieg' dich doch herum!
(Sie umtanzen sich wie vorhin)
GRETEL
jubelnd
Tra la la, tra la la
(usw.)
Drehe dich herum
(usw.)
HÄNSEL
Tra la la, tra la la
(usw.)
BEIDE
Tanz lustig, heissa, lustig tanz.
Lass dich's nicht gereu'n!
GRETEL
Und ist der Strumpf auch nicht mehr ganz...
HÄNSEL
Und ist der Schuh auch nicht mehr ganz...
GRETEL
Die Mutter strickt dir'n neu'n!
HÄNSEL
Der Schuster flickt dir'n neu'n
Tra la la, tra la la
(usw.)
GRETEL
Dreh dich herum
(usw.)
HÄNSEL
Tra la la, tra la la
(usw.)
(Dann fassen sie sich bei den Händen...)
BEIDE
Tra la la
(usw.)
(... und drehen sich immer schneller im Kreise, bis sie schliesslich das Gleichgewicht verlieren und übereinander auf den Boden hinpurzeln. In diesem Augenblicke geht die Türe auf: die Mutter wird sichtbar, worauf die Kínder schnell vom Boden aufspringen.)
DIE MUTTER
Holla!
GRETEL
Die Mutter!
HÄNSEL
Himmel, die Mutter!
DIE MUTTER
Was ist das für eine Geschichte!
GRETEL
Der Hänsel ...
HÄNSEL
Die Gretel ...
GRETEL
... er wollte ...
HÄNSEL
... ich sollte ...
(Die Mutter tritt herein, schnallt Ihre Kiepe ab und setzt sich nieder.)
DIE MUTTER
Wartet, ihr ungezogenen Wichte!
Nennt ihr das Arbeit, johlen und singen?
wie auf der Kirmes tanzen und springen?
Indess die Eltern vom frühen Morgen
bis in die Nacht sich mühen und sorgen,
(Sie gibt Hänsel einen Puff.)
Dass dich!
Lasst sehn, was habt ihr beschickt?
(Sich umwendend.)
Wie, Gretel? den Strumpf nicht fertig gestrickt?
Und du, du Schlingel, in all' den Stunden
nicht mal die wenigen Besen gebunden?
Ihr unnützes Volk, den Stock will ich holen
und euch den Faulpelz weidlich versohlen!
(In ihrem Eifer hinter den Kindern her, stösst sie den Milchtopf vom Tisch, so dass er klirrend zu Boden fällt.)
Jesses! nun auch den Topf noch zerbrochen!
(weinend)
Was nun zum Abend kochen?
(Sie besieht sich ihren mit Milch begossenen Rock, Hänsel kichert verstohlen.)
Was! Bengel, lachst mich noch aus?
(Mit dem Stock hinter Hänsel her, der zur offenen Türe hinausrennt.)
Wart, kommt nur der Vater nach Haus!
(Mit plötzlicher Heftigkeit einen Korb von der Wand nehmend und ihn Gretel in die Hand drängend.)
Marsch! Fort in den Wald
Dort sucht mir Erdbeeren! Wird es bald?
Und bringt ihr den Korb nicht voll bis zum Rand,
so hau' ich euch, dass ihr fliegt an die Wand!
(Die Kinder laufen in den Wald. Die Mutter setzt sich erschöpft an den Tisch.)
Da liegt nun der gute Topf in Scherben!
Ja, blinder Eifer bringt immer Verderben!
(Sie ringt die Hände.)
Herr Gott, wirf Geld herab!
(Schluchzend.)
Nichts hab' ich zu leben,
kein Krümmchen den Würmern zu essen zu geben!
Kein Tröpfchen im Topfe, kein Krüstchen im Schrank,
schon lange nur Wasser zum Trank!
(Sie stützt den Kopf mit der Hand.)
Müde bin ich, müde zum Sterben! Herrgott, wirf Geld herab!
(Sie legt den Kopf auf den Arm und schläft ein.)
(Man hört eine Stimme von weitem.)
STIMME des VATERS
Ra-la-la-la, ra-la-la-la,
heissa Mutter, ich bin da!
bringe Glück und Gloria!
(Etwas näher)
Ach, wir armen, armen Leute,
alle Tage so wie heute:
In dem Beutel ein grosses Loch,
und im Magen ein gröss'res noch.
Ral-la-la-la, ra-la-la-la,
Hunger ist der beste Koch!
Ral-la-la-la, ra-la-la-la,
Hunger ist der beste Koch!
(Am Fenster wird der Kopf des Besenbinders sichtbar, welcher während des Folgenden in angeheitertem Zustand, mit einem Kober auf dem Rücken, in die Stube tritt.)
Ja, ihr Reichen könnt euch laben,
wir, die nichts zu essen haben,
nagen ach, die ganze Woch',
sieben Tag' an einem Knoch'!
Ral-la-la-la
(usw.)
Ja, ja, der Hunger kocht schon gut,
sofern er kommandieren tut;
allein, was nützt der Kommandör,
fehlt auch im Topf die Zubehör?
Ra-la-la-la, ral-la-la-la,
Kümmel ist mein Leiblikör!
Ral-la-ia-la-la, ral-la-la-la,
(Schwankt tänzelnd zu der Schlafenden und gibt ihr einen derben Schmatz.)
Mutter, schau, was ich bescher'!
DIE MUTTER
(reibt sich die Augen)
Ho ho! Wer speck- specktakelt mir da im Haus
und ral-la-la-lakelt aus 'm Schlaf mich heraus?
DER VATER
I wo!
Das tolle Tier im Magen hier,
das bellte so, das glaube mir!
Ra-la-la-la, ral-la-la-la,
Hunger ist ein tolles Tier!
Ra-la-la-la, ral-la-la-la,
beisst und kratzt, das glaube mir!
DIE MUTTER
So, so!
Das tolle Tier, es ist wohl schier
stark angezecht, das glaube mir!
DER VATER
Nun ja!
's war heut' ein heiterer Tag,
fandst du nicht auch, lieb' Weib?
(Er will sie küssen.)
DIE MUTTER
(stösst ihn ärgerlich von sich)
Ach geh! Du weisst, nicht leiden mag
ich Wirtshaus-Zeitvertreib!
DER VATER
Auch gut!
(Er wendet sich zu seinem Kober.)
So seh'n wir, wenn's beliebt,
was es für heut' zu schmausen gibt!
DIE MUTTER
Höchst einfach ist das Speisregister,
der Abendschmaus, zum Henker ist er!
Teller leer, Keller leer,
und im Beutel ist gar nichts mehr!
DER VATER
Ra-la-la-la, ral-la-la-la,
lustig, Mutter, bin auch noch da,
bringe Glück und Gloria!
(Er nimmt den Kober und kramt aus.)
Schau, Mutter,
wie gefällt dir dies Futter?
DIE MUTTER
Mann, Mann, was seh' ich!
Speck und Butter,
Mehl und Würste -
(Sie hilft ihm beim Auspacken.)
- vierzehn Eier -
Mann, die sind jetztunder teuer!
Bohnen, Zwiebeln, und - Herrjeh!! -
gar ein Viertelpfund Kaffee!
(Der Vater kehrt den Kober vollends um; ein Haufen Kartoffeln rollt zur Erde. Dann fasst er die Mutter am Arm und tanzt mit ihr in der Stube umher.)
DER VATER
Ral-la-la-la, ral-la-la-la,
ral-la-la-la, hop-sas-sa
heute woll'n wir lustig sein.
DIE MUTTER
(stimmt mit ein)
Ral-la-la-la,...
BEIDE
Ral-la-la-la,...
(usw.)
DER VATER
Ja, hör nur, Mütterchen, wie's geschah!
(Er setzt sich nieder, die Mutter kramt inzwischen die Sachen ein, zündet Feuer im Herd an, schlägt Eier in eine Pfanne usw.)
Drüben hinterm Herrenwald,
da gibt's prächt'ge Feste bald:
Kirmes, Hochzeit, Jubiläum,
Böllergeknall und gross Tedeum!
Mein Geschäft kommt nun zur Blüte,
dessen froh sei dein Gemüte!
Wer will feine Feste feiern,
der muss kehren, schrubben und scheuern;
bot drum meine Waren aus,
zog damit von Haus zu Haus:
"Kauft Besen! Kauft Besen! Gute Feger,
feine Bürsten, Spinnejäger! "
Sieh, da verkauft' ich massenweise
meine Ware zu dem höchsten Preise!
Schnell nun her mit Topf und Pfanne,
(Er stösst einige blecherne Gefässe vom Herde hinunter.)
her mit Schüssel, Kessel und Kanne!
Vivat hoch ...
DIE MUTTER
Vivat hoch ...
BEIDE
... die Besenbinder!
(Der Vater setzt die Kümmelflasche an den Mund, hält jedoch plötzlich inne.)
DER VATER
Doch halt, wo bleiben die Kinder?
Hänsel, Gretel, wo steckt der Hans?
DIE MUTTER
Wo er steckt?
(Sie zuckt verlegen die Achseln.)
Ja, wüsste man's!
Doch das weiss ich klar wie Tag,
dass der Topf zu Scherben brach.
DER VATER
Was? Der neue Topf entzwei?
DIE MUTTER
Und am Boden quoll der Brei!
DER VATER
(wütend mit der Faust auf den Tisch schlagend)
Donnerkeil! So haben die Rangen
wieder Unfug angefangen?
DIE MUTTER
(hastig)
Unfug viel und Arbeit keine
hatten sie getrieben hier alleine;
hörte schon draussen sie johlen,
hopsen und springen wie wilde Fohlen,
na, da wusst' ich nicht, wo mir stand der Kopf...
DER VATER
Und vor Zorn ...
DIE MUTTER
... und vor Zorn zerbrach ...
DER VATER
... brach ...
BEIDE
... der Topf!
DER VATER, dann BEIDE
(lachend)
Ha ha ha ha ha
(usw.)
DER VATER
(die Mutter lacht weiter)
Na, Zornmütterchen, nimm mir's nicht krumm:
solche Zorntöpfe find' ich recht dumm!
(Die Mutter schweigt.)
Doch sag, wo mögen die Kinderchen wohl sein?
DIE MUTTER
(schnippisch)
Meinethalben am Ilsenstein!
DER VATER
(entsetzt)
Am Ilsenstein! Ei, juckt dich das Fell?
(Er holt einen Besen von der Wand.)
DIE MUTTER
(mit verächtlicher Miene)
Den Besen, den lass nur an seiner Stell!
(Er lässt den Besen fallen und ringt die Hände.)
DER VATER
Wenn sie sich verirrten im Walde dort,
in der Nacht ohne Stern' und Mond!
DIE MUTTER
O Himmel!
DER VATER
Kennst du nicht den schauerlich düstern Ort,
weisst nicht, dass die Böse dort wohnt?
DIE MUTTER
(betroffen)
Die Böse? Wen meinst du?
DER VATER
Die Knusperhexe!
DIE MUTTER
Die Knusperhexe!
Der Vater nimmt den Besen wieder vom Boden.
Mein! Sag doch, was soll denn der Besen?
DER VATER
Der Besen, der Besen, was macht man damit,
was macht man damit?
Es reiten drauf, es reiten drauf die Hexen!
Eine Hex', steinalt,
haust tief im Wald,
vom Teufel selber hat sie Gewalt.
Um Mitternacht,
wenn Niemand wacht,
dann reitet sie aus zur Hexenjagd.
Zum Schornstein hinaus,
auf dem Besen, o Graus,
über Berg und Kluft,
über Tal und Schlucht,
durch Nebelduft,
im Sturm durch die Luft:
ja, so reiten, ja, so reiten,
juchheissa, die Hexen!
DIE MUTTER
Entsetzlich! Doch die Knusperhex?
DER VATER
Ja, bei Tag o Graus,
zum Hexenschmaus
im Knisper-Knasper-Knusperhaus
die Kinderlein,
Armsünderlein,
mit Zauberkuchen lockt sie hinein.
Doch übel gesinnt
ergreift sie geschwind
das arme Kuchen knuspernde Kind,
in den Ofen, hitzhell,
schiebt's die Hexe blitzschnell,
dann kommen zur Stell',
gebräunet das Fell,
aus dem Ofen, aus dem Ofen
die Lebkuchenkinder!
DIE MUTTER
Und die Lebkuchenkinder?
DER VATER
Sie werden gefressen!
DIE MUTTER
Von der Hexe?
DER VATER
Von der Hexe!
DIE MUTTER
(die Hände ringend)
O Graus!
Hilf Himmel! Die Kinder!
Ich halt's nicht mehr aus!
(Sie rennt aus dem Hause.)
DER VATER
He, Alte, wart doch, nimm mich mit!
Wir wollen ja beide zum Hexenritt!
(Er nimmt die Kümmelflasche vom Tische und eilt ihr nach.)
Hexenritt
(Vorspiel zum 2. Bild)